Hemd mit Sport-Shorts. Bluse, Blazer und Jogginghose. Der eigene Chef im Sweater statt Anzug. Solche Fotos aus Deutschlands Homeoffices gab es in den vergangenen Monaten zuhauf in den sozialen Netzwerken. Nutzerinnen und Nutzer stellten selbstironisch ihre Daheim-Outfits dar oder gaben Tipps, wie man im Falle eines spontanen Videoanrufs in Sekundenschnelle vom Schlabber-Look in eine halbwegs professionelle Montur kommt.
Die Pandemie hat die Arbeitswelt längst auf den Kopf gestellt. Das Homeoffice ist nicht mehr wegzudenken; Unternehmen erdenken neue Arbeitswelten und wollen zugleich viele ihrer Beschäftigten zumindest für einige Tage pro Woche zurück in die Büros holen. Was macht das mit den Kleiderregeln? Vor allem in den Branchen, in denen bislang ein strikter Dresscode herrschte?
Jüngst hatte eine Studie der Beratung Bearingpoint erste Antworten zur post-pandemischen Arbeitskleidung geliefert. Bürokleidung ändere sich wesentlich, knapp zwei Drittel der befragten Bürotätigen aus den Branchen Automotive und industrielle Fertigung, Öffentlicher Sektor und Banking wollen auch im Unternehmen T-Shirts und Sweater tragen. Die Pandemie sei außerdem endgültig der Sargnagel für die Krawatte, heißt es weiter. Nur noch zwei Prozent der Befragten wollen sie oder ein Halstuch täglich umbinden: „Sie wird nun auch im Middle Management ausgemustert“, heißt es von den Studienautoren. Ein weiteres Kernergebnis: Viele Bürotätige hätten kräftig gespart dank weniger Ausgaben für formale Kleidung, im Schnitt jährlich 700 Euro. Berufseinsteiger kennen diese Kosten teils gar nicht.
Allerdings gaben zugleich vier der fünf Befragten an, allein die formale Bürokleidung rechtfertige höhere Stundensätze für Beraterinnen und Berater. Zwischen den Dresscodes Business Formal und Casual liege demnach eine Kluft von 20 Prozent als „Präsentationswert“.
Der Respekt geht nicht durch das Sweatshirt verloren
Carl Tillessen ist Autor und Trendanalyst des Deutschen-Mode-Instituts. „Dresscodes lockern sich nicht von einem auf den anderen Tag“, erklärt er. „Aber eine Entwicklung, die sonst wohl ein Jahrzehnt gedauert hätte, hat sich nun in eineinhalb Jahren vollzogen.“ Die Pandemie sei eine Art Zeitenwende für Bürokleidung. „Solche Ereignisse, die unseren Alltag einschneidend verändern, hinterlassen Spuren in unserer Kleidung - mehr als Wirtschaftskrisen oder Kriege, die unseren Alltag oft kaum beeinträchtigen.“
Ein wichtiger Punkt für Sweater und T-Shirt sei sicher die Bequemlichkeit, die Beschäftigte nicht mehr missen möchten. Zudem, sagt Tillessen, gingen den Dresscode-Verfechtern die Argumente aus. Denn die Respektsbekundung durch formale Kleidung war immer das Hauptargument, das hochgehalten wurde. „Jetzt sind sich Mitarbeiter und Kunde oder Führungskraft beim Videocall im Sweatshirt begegnet und man hat gemerkt, dass der Respekt deshalb nicht verloren geht.“
Das bedeuten die verschiedenen Business-Dresscodes
Bedeutet gehobene Freizeitkleidung, also: Baumwollhose, Polohemd, Jackett. Beim Business Casual putzen sich die Leute mehr heraus: Frauen tragen Kostüm oder Hosenanzug, nicht zu hohe Schuhabsätze, unsichtbare Zehen. Männer tragen eine Kombination, die Krawatte kann im Schrank bleiben.
Meist bei Einladungen nach der Arbeit. Konservativ: Er trägt Anzug, aber keine Brauntöne. Sie: Kostüm oder Hosenanzug, aber keine großen Handtaschen mit Schulterriemen. Einzig richtig: Clutchbags – kleine Handtäschchen ohne Riemen. Rocklänge: nie kürzer als eine Handbreit über dem Knie.
Damen: halblange, elegante Kleider
Herren: dunkelgraue oder schwarze Anzüge.
Gerne zu Abendanlässen.
Er: Smoking, Hemd mit Doppelmanschetten, Kummerbund und Einstecktuch, schwarze Fliege, schwarze Schuhe.
Sie: schwarze lange Robe, Tasche (kleiner als der Kopf). Accessoires gerne farbig.
Er: Frack, weiße Weste mit tiefem Ausschnitt, Stehkragenhemd mit verdeckter Knopfleiste, weiße Fliege, Lackschuhe.
Sie: bodenlanges Abendkleid in Schwarz, Weiß oder Grau (Schultern bei Ankunft bedeckt). Zum Ballkleid geschlossene Schuhe mit Seidenstrümpfen. Findet der Ball im Hochsommer statt, auch hohe Sandaletten – dann ohne Strümpfe.
Zu eleganten Partys und Vernissagen ab 16 Uhr.
Er: dunkler Anzug, Hose mit Bügelfalte, einfarbiges Hemd, dunkle Krawatte, lässiger Schnürschuh.
Sie: das kleine Schwarze. Schultern, Dekolleté und Bein dürfen gezeigt werden.
Werden oft falsch zugeknöpft. So ist es richtig: Zweireiher immer geschlossen. Sakko mit zwei Knöpfen: ein Knopf geschlossen, wahlweise der untere oder der obere. Drei-Knopf-Sakko: beide oberen Knöpfe zu oder nur der mittlere. Vier-Knopf-Sakko: die beiden mittleren oder die drei oberen Knöpfe geschlossen. Fünf-Knopf-Sakko: alle Knöpfe bis auf den untersten bleiben zu. Frack: wird immer offen getragen. Weste: alle Knöpfe bis auf den untersten bleiben geschlossen.
Unter Sakkos tabu! Die Hemdmanschette muss unter dem Ärmel herausschauen. Richtig: Die Ärmel des Sakkos enden knapp über dem Handrücken, die Hemdmanschette schaut darunter einen Zentimeter heraus.
Klassisch aus weißer Baumwolle, modern aus farbiger Seide oder Kaschmir. Hat nie (!) dasselbe Muster wie die Krawatte, passt aber farblich dazu.
Sie reicht exakt bis zur Gürtelschnalle, nicht länger, nicht kürzer. Der Knoten darf nie so dick werden, dass er den Kragen vom Hemd abdrückt.
Ungepflegte Galoschen enttarnen jedes stilvolle Outfit als Verkleidung. Das Minimum ist ein Paar schwarzer Schnürschuhe aus Leder. Etwa ein Oxford – glatt mit schlichter Kappe. In Braun passt er auch zu Sportjacketts oder Tweedanzügen. Der Semi-Brogue eignet sich zu gemusterten Anzügen und weichen Stoffen. Auch er hat eine Kappe, die weist aber dezente Lochmuster wie beim Brogue auf. Der wird auch Budapester genannt und passt mit seinem typischen Lochmuster auf der geschwungenen Kappe und den Seitenflügeln zu Anzügen aller Art. Wirkt aber stets etwas konservativ.
Bequem könne auch ein gut geschnittener Anzug oder ein konfektioniertes Kostüm sein, wenn die Passform stimmt, betont wiederum Katharina Starlay. Sie berät Unternehmen dabei, Stil-Leitfäden zu entwickeln, betreibt den Stil-Blog „Stilclub“ und ist außerdem Mitglied im Deutschen Knigge-Rat. Die allgemeine Lässigkeit sei eine „Uniform der Neuzeit“ geworden.
Diesen Einheitslook beschreibt sie so: „Im Business vielfach weiße Sneakers, Jeans und Sakko oder Jacke. Die Orientierungslosigkeit ist groß.“ Die Dresscodes hätten Beschäftigten Schutz und Orientierung geboten. Die freiwillige Uniformierung zeige, dass Beschäftigte genau das suchten. Und im Hinblick auf die Verarbeitung von Kleidung sagt Starlay: „Wie will ich vermitteln, dass ich qualitätsvoll arbeite, wenn meine Erscheinung ausdrückt, dass mich Qualität nicht interessiert?“ Gut und sorgfältig gekleidet zu sein, drücke weiterhin Höflichkeit und Respekt aus.
Wer jetzt noch kostenlose Corona-Tests bekommt
Schnelltests auf Staats- und damit Steuerzahlerkosten an Teststationen oder in Apotheken soll es nur noch für bestimmte Gruppen geben. Andere müssen drei Euro zuzahlen.
Bisher hatte jeder, auch ohne Corona-Symptome oder konkreten Anlass, Anspruch auf mindestens einen kostenlosen Schnelltest pro Woche durch geschultes Personal inklusive Testbescheid, der meist direkt aufs Smartphone kommt und als Nachweis genutzt werden kann. Das kostenlose Angebot wird jetzt, bis auf Ausnahmen, „ausgesetzt“, wie es im Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums für die neue Corona-Testverordnung heißt. Die überarbeitete Verordnung und die neuen Regeln sollen laut Ministerium ab 30. Juni 2022 gelten.
Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. Das sind zum Beispiel Frauen im ersten Schwangerschaftsdrittel. Auch Haushaltsangehörige von Infizierten, Kinder bis fünf Jahre und Bewohner und Besucher von Pflegeheimen, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung und Kliniken sollen sich weiterhin kostenlos testen lassen können. Das gilt dem Entwurf zufolge ebenso für Menschen, die nach einer Corona-Infektion einen Beleg dafür brauchen, dass sie wieder negativ sind, damit sie etwa zurück zur Arbeit können.
Die Drei-Euro-Tests sind für Besucher von Familienfeiern, Konzerten oder einer anderen „Veranstaltung in einem Innenraum“ am selben Tag gedacht. Das soll dabei helfen, sogenannte Super-Spreader-Events zu verhindern, bei denen sich viele Menschen auf einmal anstecken.
Einen Drei-Euro-Test soll auch bekommen, wer eine rote Corona-Warnapp hat oder wer vorhat, andere Menschen ab 60 oder mit Vorerkrankung zu treffen.
Da kann ja jeder behaupten, „ich will meine kranke Oma besuchen“ – wie soll das kontrolliert werden? Dazu heißt es in der Begründung zum Verordnungsentwurf, solche Besuche müssten „glaubhaft“ gemacht werden. Beim Drei-Euro-Test muss zum Beispiel grundsätzlich unterschrieben werden, dass der Test wegen eines geplanten Konzertbesuchs, einer Familienfeier oder eines Besuchs bei einem vorerkrankten Angehörigen gemacht wird.
Ob das potenzielle Betrüger ausreichend abschreckt, wird sich zeigen. Als Beleg kann zusätzlich auch ein Konzertticket vorgezeigt werden. Beim Angehörigenbesuch oder der Familienfeier wird es mit Belegen schwierig.
Weil es zu teuer wurde. Die kostenlosen Tests hatten nach Angaben von Gesundheitsminister Lauterbach zuletzt eine Milliarde Euro pro Monat verschlungen. Es gibt sie mit kurzer Unterbrechung im vergangenen Herbst seit dem Frühjahr 2021.
Lauterbach zufolge sieht das neue Konzept noch Kosten von 2,7 Milliarden Euro bis Jahresende vor. Würde die derzeitige Praxis beibehalten, wäre es 5 Milliarden Euro.
Wenn sie mit Unternehmen nun neue und durchaus lockerere Dresscodes entwirft, dann trifft sie sich mit einer möglichst repräsentativen Gruppe von Beschäftigten in Workshops: Ältere und jüngere, verschiedene Jobprofile und Hierarchien, verschiedene Körpertypen. Sie alle sollen sich dabei einbringen, eine Kleiderordnung auf den Weg zu bringen, die für möglichst viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und zur Marke passt.
Kleidung im Job: Erfolg sieht jetzt anders aus
Tillessen erklärt die wandelnde Kleidungskultur auch mit einer grundsätzlichen Veränderung der Wirtschaft. Der Schub, den die Digitalisierung und das mobile Arbeiten durch die Pandemie bekamen, wirke sich auch auf Trends in der Kleidung aus. Menschen tendierten dazu, sich modisch auf die Seite der Gewinner zu schlagen, erklärt Tillessen. So hätten sich modische Vorbilder ausgetauscht. „Früher war das modische Vorbild die Wall Street, jetzt ist es das Silicon Valley“, sagt der Trendforscher. „Niemand will wie Old Economy aussehen.“ Tech-Milliardäre kommen heutzutage nicht im Nadelstreifen-Dreiteiler daher, sondern im Hoodie. „Erfolg sieht anders aus als früher.“
Fragt man Starlay, was bei Bürokleidung künftig weiter wichtig sein wird, antwortet sie: „Dass sie gepflegt ist, passt und sitzt. Maßkonfektion etwa macht Kunden zum Designer, wenn sie selbst Stoffe, Schnitte und Futter auswählen und ist heute in der Preis-Leistung längst marktgängig.“ Mit Blick auf Nachhaltigkeit plädiert sie insbesondere für wertige und langlebige Kleidung aus gutem Material.
Tillessen sieht dabei gestrickte Stoffe statt gewebten auf dem Vormarsch. Insgesamt greifen Geschäftsleute in den Läden zwar weniger zum Anzug. Wenn, dann dürfte er jedoch in mutigeren Farben und Musterungen mehr Spaß machen als früher. „Der Anzug als graue Bürouniform ist durch.“
Dennoch: Beschäftigte wollten sich in ihren Hierarchien durchaus sozial abgrenzen. „Auch wenn der Chef im Hoodie herumläuft – das ist nicht der Hoodie des Praktikanten.“ Wenn sich Führungskräfte früher durch eine Handstichnaht am Revers des Sakkos von ihren Mitarbeitern abhoben, so geschehe dies heute durch die teure Sweatshirt-Marke oder eine limitierte Sneaker-Auflage.
Wo die neue Lässigkeit endet
Und was ist mit der Jogginghose? Sowohl Tillessen als auch Starlay sind sich einig, dass die nicht aus grauem Jersey ins Büro kommt. Starlay verweist auf vornehme Jogpants, die sich nur durch Bündchen und Kordelzug von einer normalen Stoffhose unterscheiden. Tillessen sagt, die neue Lässigkeit sei nicht mit Nachlässigkeit zu verwechseln. „Wir tragen nicht die Jogginghose im Büro, in der wir einige Staffeln Breaking Bad geschaut haben.“ Neue Dresscodes funktionierten viel mehr nach dem Prinzip Polohemd: Kleidungsstücke, die Bequemlichkeit mit Förmlichkeit kombinieren.
Die Studie von Bearingpoint nennt ein Kleidungskonzept der Zukunft xDresscodes. Das soll bedeuten, dass es viele verschiedene anlassbezogene Kleidungsregeln gibt. Was Over- und Underdressed ist, könnte so für jede Büro-Situation neu festgelegt werden. Letztlich sei die Uneinigkeit beim Dresscode ein Stellvertreterkrieg der agilen Transformation, schlussfolgern die Studienmacher.
Könnte es sein, dass die bewährten Anzüge, Kostüme und Krawatten wieder in Mode kommen? Nicht mehr in dem Umfang wie früher, prognostiziert Tillessen und bezieht sich dabei auch auf das Reformkleid: Hätten Menschen in der Vergangenheit Freiheiten aus einem bestimmten Kleiderzwang erobert, wollten sie diese nicht mehr hergeben.
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