Biederman glaubt: Wenn das Gehirn zum ersten Mal ein neues Bild sieht oder ein unbekanntes Geräusch hört, wird eine große Zahl an Verbindungen zwischen Nervenzellen aktiv. Gleichzeitig kommt es zu einer verstärkten Ausschüttung von Endorphinen – körpereigenen Opiaten, die ein Hochgefühl auslösen. So entsteht der Drang, einer neuen Sache nachzugehen und herauszufinden, was dahintersteckt.
Diesen Kick gibt es jedoch nur bei wirklich brandneuen Sinneseindrücken, wie Biederman und der Neurologe Edward Vessel in einem Experiment zeigen konnten. Dabei präsentierten sie Probanden eine Abfolge von Bildern und beobachteten währenddessen ihre Gehirnaktivität in einem Magnetresonanztomografen. Tauchte ein Bild auf dem Bildschirm zum ersten Mal auf, wurden weite Teil des Gehirns gleichzeitig aktiv. Doch schon beim zweiten Mal war die Reaktion auf das gleiche Bild deutlich schwächer und ließ mit jeder weiteren Wiederholung ein Stückchen mehr nach.
Neugier-Mechanismus hat jeder
Dieser grundlegende Neugier-Mechanismus ist laut Carl Naughton bei allen Menschen vorhanden. „Trotzdem gibt es Unterschiede, wie neugierig jemand ist“, sagt er. „Ein großer Teil ist angeboren, in Zwillingsstudien zeigt sich ein Erbanteil der Neugier von 58 bis 68 Prozent“, sagt er. Und dann sei eben das Alter ein wichtiger Einflussfaktor. „Das ist der Fluch der Erfahrung“, sagt Naughton. „Als Erwachsener habe ich das Gefühl zu wissen, wie die Welt läuft, und meine daher, nicht mehr interessiert sein zu müssen.“
Wie stark die Lust auf Neues mit zunehmendem Alter nachlässt, belegen auch Daten des Musikstreamingdienstes Spotify. Dessen Mitarbeiter Ajay Kalia verglich im vergangenen Jahr den Musikgeschmack von US-Nutzern in unterschiedlichen Altersgruppen und fand dabei ein eindeutiges Muster. Teenager und Menschen in ihren Zwanzigern durchstöbern den Spotify-Katalog stets nach neuer Musik und hören vor allem aktuelle Popmusik. Dieser musikalische Entdeckertrieb lässt jedoch nach dem 30. Geburtstag immer mehr nach. Mit 33 Jahren kommt es dann zum „taste freeze“, wie es Kalia nennt: Neue Popmusik wird nur noch selten gehört, es laufen immer öfter die gleichen Songs.
Neugier lässt sich trainieren
Komplett verloren ist die Neugier jedoch nie, sagt Naughton. „Sie lässt sich immer wecken und trainieren.“ Das lohne sich vor allem für Unternehmen. „Neugierige Mitarbeiter kommen auf gute Ideen“, sagt Naughton, „und wer neugierig auf ein Ergebnis ist, arbeitet sich richtig in eine Aufgabe hinein.“
Unternehmen, die die Neugier ihrer Mitarbeiter wecken wollen, sollten laut Naughton vor allem eine Kultur der Offenheit etablieren. „Neugier entsteht durch Fragen“, sagt er. „Bewertungen, Regeln und Besserwisserei zerstören sie und damit die Kreativität.“ In Besprechungen könne man zum Beispiel die Tagesordnung in Frageform umformulieren.
Wie das gehen kann, zeigt die US-Nichtregierungsorganisation HopeLap, die ihre Konferenzen komplett nach diesem Prinzip gestaltet. Jede Sitzung wird von einem anderen Mitarbeiter moderiert und mit einer Reihe von offenen Fragen zum Thema der Besprechung eröffnet. „Das lädt die Teilnehmer ein, Fragen zu beantworten, statt fertigen Aussagen zu lauschen“, sagt Naughton. Wissenschaftler Matthias Gruber rät Unternehmen, genauer herausfinden, welche Interessen ihre Mitarbeiter haben, und sie in ihren Ideen zu ermuntern – selbst wenn die auf den ersten Blick gar nichts mit der eigentlichen Arbeit zu tun haben. „Dort wo Interesse ist, entsteht auch Neugier“, sagt Gruber. „Diesen Umstand haben die Technologieunternehmen in Kalifornien früher als alle anderen erkannt und genutzt.“ Auch deswegen kommen momentan die großen Erfindungen – von selbstfahrenden Autos bis zu virtueller Realität – aus den Labors von Google, Apple und Facebook.
Außerdem sollten Führungskräfte den Fokus der Mitarbeiter auf das Endprodukt legen – und nicht auf die konkreten Arbeitsschritte. „So wird Raum gelassen, damit Neugier entstehen kann“, sagt Gruber, „und damit der innere Drang, etwas immer besser zu machen.“