Neugier Wissensdurst kann zum Karrierefaktor werden

Seite 3/3

Kick bei brandneuen Sinneseindrücken?

Biederman glaubt: Wenn das Gehirn zum ersten Mal ein neues Bild sieht oder ein unbekanntes Geräusch hört, wird eine große Zahl an Verbindungen zwischen Nervenzellen aktiv. Gleichzeitig kommt es zu einer verstärkten Ausschüttung von Endorphinen – körpereigenen Opiaten, die ein Hochgefühl auslösen. So entsteht der Drang, einer neuen Sache nachzugehen und herauszufinden, was dahintersteckt.

Diesen Kick gibt es jedoch nur bei wirklich brandneuen Sinneseindrücken, wie Biederman und der Neurologe Edward Vessel in einem Experiment zeigen konnten. Dabei präsentierten sie Probanden eine Abfolge von Bildern und beobachteten währenddessen ihre Gehirnaktivität in einem Magnetresonanztomografen. Tauchte ein Bild auf dem Bildschirm zum ersten Mal auf, wurden weite Teil des Gehirns gleichzeitig aktiv. Doch schon beim zweiten Mal war die Reaktion auf das gleiche Bild deutlich schwächer und ließ mit jeder weiteren Wiederholung ein Stückchen mehr nach.

Neugier-Mechanismus hat jeder

Dieser grundlegende Neugier-Mechanismus ist laut Carl Naughton bei allen Menschen vorhanden. „Trotzdem gibt es Unterschiede, wie neugierig jemand ist“, sagt er. „Ein großer Teil ist angeboren, in Zwillingsstudien zeigt sich ein Erbanteil der Neugier von 58 bis 68 Prozent“, sagt er. Und dann sei eben das Alter ein wichtiger Einflussfaktor. „Das ist der Fluch der Erfahrung“, sagt Naughton. „Als Erwachsener habe ich das Gefühl zu wissen, wie die Welt läuft, und meine daher, nicht mehr interessiert sein zu müssen.“

"Umparken im Kopf" - Wenn Firmen neugierig machen wollen
„Umparken im Kopf“Die Welt ist voller Missverständnisse – das greift die Werbekampagne „Umparken im Kopf“ auf ihren zahlreichen Plakaten in deutschen Innenstädten auf: „Aus Sicht der Physiker kann die Hummel unmöglich fliegen – Der Hummel ist das egal“ heißt es auf dem einen Plakat, auf dem anderen  „68 Prozent der Männer halten rothaarige Frauen für  feuriger – 90 Prozent davon haben noch nie eine kennen gelernt.“ Die dazugehörige Internetseite zeigt Videos von Prominenten, die sich über Vorurteile aufregen. Das werbende Unternehmen dahinter kommt nicht zum Vorschein. Dabei handelt es sich um eine sogenannte „Teaser“—Kampagne, die Neugier wecken will. In solchen Fällen folgt meist eine Auflösungs-Kampagne, die klar stellt wer oder was dahinter steckt. Hierbei soll es der angeschlagene Autobauer Opel sein, der dies jedoch nicht bestätigt. Werbeexperte Ronald Focken sieht darin einen Versuch, Opel von seinem staubigen Image zu befreien: „Opel hat seit seiner Neuaufstellung gute Kampagnen gemacht, aber konnte mit den herkömmlichen Werbemechanismen nicht von den alten Vorurteilen loskommen“, sagt der Geschäftsführer der Münchner Werbeagentur Serviceplan, die nicht in der Opel-Kampagne involviert ist. Solche Neugier weckenden Kampagnen lohnen sich immer dann, wenn es darum geht, eine alte Marke neu zu entdecken, oder neue Marken vorzustellen. Dies zeigen folgende Beispiele. Quelle: Screenshot
Ich bin ON Quelle: imago/Enters
Don't be a Maybe Quelle: imago / steinach
Daewoo und DuSchon 1995 bediente sich der südkoreanische Autohersteller Daewoo einer Teaser-Kampagne, um sich den deutschen Kunden vorzustellen. Die damals unbekannte Automarke bewarb sich, indem rote Lippen vor weißem Hintergrund eingängig „Daewoo! Daewoo und Du! Daewoo und Du, eine Freundschaft beginnt!“ sangen. Die Stimme dahinter kam von Popstar Jennifer Rush. Daraufhin wurde der Text eingeblendet: „Wenn Sie wissen wollen, wer oder was sich hinter Daewoo verbirgt, rufen Sie bis zum 27.02.1995 an und gewinnen Sie eine Reise nach Fernost.“ Auch hier sollte die Neugier wieder für eine ganze Marke geweckt werden, erklärt Ronald Focken von der Werbeagentur Serviceplan. „Wegen ihrer hohen Kosten gibt es Teaser-Kampagnen meist nie für einzelne Produkte, sondern immer für ganze Markenauftritte.“ Grundsätzlich gehen solche Kampagnen zurück – vor allem sind sie nicht mehr in dem großen Ausmaß zu finden, wie bei E.On 2002. Opel ist aktuell etwa mit weniger Plakaten vertreten und setzt stattdessen stärker aufs Internet.  „Marketingchefs haben heutzutage gar nicht mehr das Budget, in eine Kampagne mit so vielen Plakaten und Printanzeigen zu investieren, die letztlich nur Neugier schaffen soll.“ Quelle: Screenshot

Wie stark die Lust auf Neues mit zunehmendem Alter nachlässt, belegen auch Daten des Musikstreamingdienstes Spotify. Dessen Mitarbeiter Ajay Kalia verglich im vergangenen Jahr den Musikgeschmack von US-Nutzern in unterschiedlichen Altersgruppen und fand dabei ein eindeutiges Muster. Teenager und Menschen in ihren Zwanzigern durchstöbern den Spotify-Katalog stets nach neuer Musik und hören vor allem aktuelle Popmusik. Dieser musikalische Entdeckertrieb lässt jedoch nach dem 30. Geburtstag immer mehr nach. Mit 33 Jahren kommt es dann zum „taste freeze“, wie es Kalia nennt: Neue Popmusik wird nur noch selten gehört, es laufen immer öfter die gleichen Songs.

Neugier lässt sich trainieren

Komplett verloren ist die Neugier jedoch nie, sagt Naughton. „Sie lässt sich immer wecken und trainieren.“ Das lohne sich vor allem für Unternehmen. „Neugierige Mitarbeiter kommen auf gute Ideen“, sagt Naughton, „und wer neugierig auf ein Ergebnis ist, arbeitet sich richtig in eine Aufgabe hinein.“

Unternehmen, die die Neugier ihrer Mitarbeiter wecken wollen, sollten laut Naughton vor allem eine Kultur der Offenheit etablieren. „Neugier entsteht durch Fragen“, sagt er. „Bewertungen, Regeln und Besserwisserei zerstören sie und damit die Kreativität.“ In Besprechungen könne man zum Beispiel die Tagesordnung in Frageform umformulieren.

Wie das gehen kann, zeigt die US-Nichtregierungsorganisation HopeLap, die ihre Konferenzen komplett nach diesem Prinzip gestaltet. Jede Sitzung wird von einem anderen Mitarbeiter moderiert und mit einer Reihe von offenen Fragen zum Thema der Besprechung eröffnet. „Das lädt die Teilnehmer ein, Fragen zu beantworten, statt fertigen Aussagen zu lauschen“, sagt Naughton. Wissenschaftler Matthias Gruber rät Unternehmen, genauer herausfinden, welche Interessen ihre Mitarbeiter haben, und sie in ihren Ideen zu ermuntern – selbst wenn die auf den ersten Blick gar nichts mit der eigentlichen Arbeit zu tun haben. „Dort wo Interesse ist, entsteht auch Neugier“, sagt Gruber. „Diesen Umstand haben die Technologieunternehmen in Kalifornien früher als alle anderen erkannt und genutzt.“ Auch deswegen kommen momentan die großen Erfindungen – von selbstfahrenden Autos bis zu virtueller Realität – aus den Labors von Google, Apple und Facebook.

Außerdem sollten Führungskräfte den Fokus der Mitarbeiter auf das Endprodukt legen – und nicht auf die konkreten Arbeitsschritte. „So wird Raum gelassen, damit Neugier entstehen kann“, sagt Gruber, „und damit der innere Drang, etwas immer besser zu machen.“

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%