Heute auch schon heimlich geschlafen? Während immerhin jeder Dritte Beziehungen, Affären und Trennungsdramen im Büro austrägt und elf Prozent Schreibtisch, Lagerraum und Co. für Sex zweckendfremden, ist das Mittagsschläfchen ein Tabu. Sogar ein Kündigungsgrund, falls außerhalb der Mittagspause gehalten.
Auch bei den Neujahrsvorsätzen ist es nicht gut um unseren Schlaf bestellt. Zwar wollen 64 Prozent Stress abbauen, mehr Sport machen (52 Prozent), weniger Daddeln (47 Prozent), gesünder essen (39 Prozent) und mit dem Rauchen aufhören (34 Prozent). Aber unsere wichtigste Energieressource taucht nicht auf. Dabei macht Schlafen glücklicher, gesünder und leistungsfähiger. Das ist nicht nur meine persönliche Erfahrung, sondern auch wissenschaftlich erwiesen: Nur 15 Minuten am Mittag erhöhen die Leistungsfähigkeit um 35 und senken das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung um 30 Prozent.
Schlafkiller New Work
Die Extra-Energie ist in Zeiten von New Work wichtiger denn je: Denn die Auswirkungen des flexiblen und mobilen Arbeitens mit – zumindest gefühlter – 24/7-Bereitschaft reichen bis in unsere Schlafzimmer. Unter den Berufstätigen zwischen 35 und 65 Jahren sind die Schlafstörungen in den letzten zehn Jahren um 66 Prozent gestiegen. Nach Angaben der Deutschen Angestelltenkrankenkasse klagen mittlerweile 80 Prozent über Probleme beim Ein- und Durchschlafen. Und der Technikerkrankenkasse zufolge leidet ein Drittel der Bevölkerung unter ärztlich attestierten Schlafstörungen.
Damit geht ein beträchtlicher Verlust für die Wirtschaft einher: Bei 210.000 Krankentagen aufgrund von Übermüdung und deren Folgen wird der Schaden für Unternehmen auf über 57 Milliarden Euro geschätzt. Aber auch für unser aller Arbeitsleben ist das nicht schön. Wer möchte sich schließlich den ganzen Tag mit schlecht gelaunten und dadurch launischen bis ungerechten Vorgesetzten und Kollegen herumplagen? Wer möchte sich selbst wie einen Zombie vom Morgenkaffee über Kantinen-Espresso bis zum Kiosk (Red Bull, Cola) oder gar zur Apotheke durch den Arbeitstag schleppen?
Digitales Wörterbuch #2
Der Slogan von Ikea nimmt Anleihe bei der „Work-Life-Balance“. Leider leidet die Balance zwischen Privat und Berufsleben aber oft unter New Work, also den Gegebenheiten in der neuen Arbeitswelt. Und das, obwohl es eigentlich umgekehrt sein und mehr Freiheit und Freizeit durch eine eigenverantwortliche Arbeitseinteilung gewonnen werden sollte.
In der Praxis ist es für viele Menschen eher so, dass sie sich zeitlich, örtlich und mental mehr oder weniger (un)koordiniert zwischen Privat- und Berufsleben hin und her zappen, sodass sie im ständigen Multi-Tasking- und Bereitschafts-Stress sind. „Work-Life-Sleep-Balance“ meint also nicht nur eine Balance zwischen Leben und Arbeit, sondern auch innerhalb selbiger ausreichend Zeit zum Schlafen - die Voraussetzung, um für die Anforderungen ausgeruht und fit zu sein.
Schlechter Schlaf ist gleich schlechtere Leistung und schlechterer Umgang, so einfach ist die Formel.
Leider ist der Schlaf eines der letzten Tabus unserer deutschen Leistungsgesellschaft. Anders sieht es in Japan aus: Dort ist der Mittagsschlaf – wohlgemerkt im Sitzen und am Arbeitsplatz – ein Zeichen dafür, dass man bereits viel und hart gearbeitet hat. Dass das Leistungsmittagsnickerchen („Inemuri“, das heißt anwesend sein und schlafen) in Unternehmen kultiviert wird, liegt natürlich auch daran, dass der Tod durch Überarbeitung dort schon lange einen Namen hat („Karoshi“).
Win-Win-Sleep für alle Beteiligten
In Deutschland hat die schlaflose Nation bislang nur ein Unternehmen auf den Plan gerufen. Und das auch erst einmal zu Marketing- und Produktentwicklungszwecken: Nachdem Ikea mit dem Schweden-Du die Duz-Reform in deutschen Unternehmen eingeführt hat, widmet der Möbelriese sich mit seiner (New) Work-Life-Sleep-Balance-Kampagne sozusagen einem Win-Win-Sleep für alle Beteiligten.
Dabei bedarf es nicht einmal des schwedischen Schlafzellen-Busses, der uns in der Mittagspause abholt. In jeder ordentlichen Organisation sind Ruheräume hierzulande schließlich schon arbeitsrechtlich verankert: für den Bereitschaftsdienst und werdende und stillende Mütter.
Und was ist denn das mobile und flexible neue Arbeiten anderes als ein ständiger Bereitschaftsdienst? Einer kleinen Anfrage an das Bundesarbeitsministerium zufolge hat sich der Anteil atypischer und überlanger Arbeitszeiten innerhalb von zehn Jahren von zehn auf 20 Prozent verdoppelt. So warnt das Ministerium in seiner Antwort davor, dass nicht nur die tatsächlichen Arbeitszeiten, sondern auch die ständige potenzielle Erreichbarkeit ein wesentlicher Faktor für den Anstieg psychischer Überlastung sind.
In 9 Schritten zum perfekten Powernapping
Übung und Regelmäßigkeit machen den Meister: Neun Tipps für den gekonnten Mittagsschlaf von Albrecht Vorster vom Institut für medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie am Universitätsklinikum Tübingen. 2019 hat der Science Slammer und Schlafforscher das Buch „Warum wir schlafen“ im Heyne Verlag veröffentlicht.
Also immer zur selben Zeit schlafen und am besten während des Mittagstiefs zwischen 13 und 15 Uhr. So weiß der Körper, was auf ihn zukommt und kann sich am besten auf Powernapping einstellen.
Gern auch den Kopfhörer auf die Ohren mit Entspannungsmusik. Am besten immer dieselbe Musik hören, damit sie zur Gewohnheit wird. Das wirkt wie die Schlaflieder bei Kindern.
So kann niemand stören. Optimale Länge für einen Powernap ist der Leichtschlaf zwischen 10 und 15 Minuten. Wer länger und damit auch tiefer schläft, erholt sich zwar mehr, braucht aber auch umso länger, um wieder wach zu werden.
Wer allein im Büro oder unbeobachtet ist, kann es sich gemütlich machen: Kleidung lockern, Schuhe aus und Augenmaske an. Letztere hält einfallendes Tageslicht ab. Im Großraum macht sich eine Sonnenbrille eventuell besser …
Wichtigste Voraussetzung: Loslassen, entspannen, die Gedanken laufen lassen und der Arbeit nicht gedanklich nachhängen. Sich einfach freuen und sagen, dass man jetzt 10 Minuten hat, in denen man sich um nichts kümmern muss.
Der Leichtschlaf kommt ganz automatisch, wenn wir nichts tun. Für viele fühlt er sich gar nicht wie Schlafen an. Erst beim Klingeln des Handyweckers bemerken wir, dass wir keinen zusammenhängenden Gedankenstrang hatten – und kurz weg waren.
Wenn wir über mehrere Wochen jeden Tag eine solche Kurzentspannung üben, gewöhnt sich unser Körper daran. Nach einem Monat braucht es nur noch wenige Augenblicke bis wir loslassen und abschalten können.
Regelmäßige Kaffeetrinker dürfen gerne den Kaffee auch schon vor dem Powernap trinken, die Wirkung tritt erst mit 20-minütiger Zeitverzögerung ein. So kommt man aus den 10 bis 15 minütigen Powernap dann auch schneller wieder hoch.
Gut zu wissen: Dieses eingeübte Kurzschlafen, das Körpergefühl des Loslassens und Entspannens, kommt uns auch abends zugute, wenn wir ins Bett gehen: Wir fallen leichter und tiefer in den Schlaf! Voraussetzung auch hier: Handy aus.
Power Napping – wo immer ich arbeite
Mir persönlich war Schlaf schon immer sehr wichtig. Zu meinen jugendlichen Partyzeiten bin ich dafür zu meinem besten Freund gefahren – um heimlich vorzuschlafen. Meine Eltern hätten mich für verlottert erklärt, wenn ich erst gegen Mitternacht das Haus verlassen hätte, aber vorher machten die angesagten Clubs eben nicht auf.
Für ähnlich unmoralisch und auch unorganisiert wäre ich noch vor drei Jahren von meinem Team im Großraum eines Konzerns eingestuft worden, wenn ich ein Nickerchen am Schreibtisch gehalten hätte. Also habe ich mich vor dem gemeinsamen Lunch gedrückt – und phasenweise in meinem entlegenen, zwischen Bauwagen geparkten, Golf geschlafen. Das war im Winter zwar etwas kalt, zu jener Zeit jedoch unabdingbar, da ich neben meinem Job und dem täglichen Pendeln einen berufsbegleitenden MBA gemacht habe. Der Powernap hat mir die Energie gegeben, nach der Arbeit bis nachts meine Thesis zu schreiben.
Wesentlich einfacher war das Schlafen während meiner Entsendung in ein Ministerium. Denn man hatte mir ein wundervolles Einzelbüro von einem soeben pensionierten ehemaligen Luftwaffenoffizier überlassen: Dort konnte ich es mir absolut unbehelligt und hinter verschlossener Tür auf einem dicken, weichen Perserteppich inmitten einer Gummibaumlichtung bequem machen – und mich mit dem Zählen der Flugzeugminiaturen an der Decke in den Schlaf stimulieren. Handy auf Flugmodus – bis zum Klingeln.
Natürlich gab es in der Verwaltung auch einen vorschriftengerechten Ruheraum. Den hatte ich einmal zufällig auf meinem Weg zur Materialausgabe entdeckt: karg und wenig einladend mit einer Art Pritsche in der Mitte. Das eigentliche Problem ist aber, dass diese Räume nicht nur ungemütlich und unverschließbar sind, sondern vor allem, dass niemand von ihnen weiß.
Mutige Unternehmen für den Mittagsschlaf gesucht
Als einer der wenigen – neben Ärzten, Biologen und Evolutionsforschern – hat der Bürgermeister des niedersächsischen Städtchens Peine das Nickerchen am Arbeitsplatz schon 2007 als Erfolgsfaktor erkannt und den Vorschlag gewagt, Ruheräume für alle Beamten einzurichten. Leider wurde diese kluge Idee vehement abgeschmettert – nicht zuletzt von den Stadt-Beamtem selbst, die keinesfalls als Schlafmützen oder gar verpennt gelten wollten.
Der Mittagsschlaf braucht also eine Image-Kur. So hat sich in Österreich beispielsweise die Agentur „Siesta Consulting“ zur „Steigerung der Lebensfreude und Optimierung der Leistungsfähigkeit“ formiert und in England geht die London Sleep School in die Unternehmen, um den Energieschlaf einzuüben. Schon werden auch hierzulande erste Stimmen laut: Schlaf-Coach und Buch-Autor Klaus Kampmann, hat die Initiative MUMM100.de ins Leben gerufen und sucht nun 100 mutige Unternehmen, die es den anderen das Power Napping vormachen.
Hätte ich Angestellte, so würde ich dieser Initiative sofort beitreten. 15 Minuten Offiziell-Schläfchen sind effizienter und effektiver als Designerbüros, Betriebssport, Obstkörbe und andere Mitarbeiterzufriedenheitsmaßnahmen. Und natürlich auch besser als Kaffee, Koksen und andere Drogen. Aber das versteht sich ja (eigentlich) von selbst. Deshalb mein Neujahrsvorsatz 2020: Ich schlafe mich glücklich! Und damit auch meine Familie, Freunde und Kollegen gleich mit. Nicht, dass ich das nicht schon immer getan hätte, aber jetzt eben nicht mehr heimlich.