New Work Wenn Agilität zur Falle wird

Agilität, New Work, VUCA – eigenverantwortliche Teamarbeit ohne Hierarchien, dafür mit viel Spaß? Nur eine Form der Bestenauslese mit turbokapitalistischem Gedankengut, meint Thomas Würzburger. Quelle: imago, Montage

Agilität, New Work, VUCA: Schlagwörter, die Teamarbeit ohne Hierarchien und mit viel Spaß suggerieren. Letztlich handelt es sich dabei aber um eine neue Form der Bestenauslese, sagt Autor Thomas Würzburger im Interview.

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WirtschaftsWoche: Herr Würzburger, soeben ist Ihr Buch „Die Agilitätsfalle“ erschienen. Agilität steht für flexibles Reagieren auf unvorhergesehene Ereignisse und neue Anforderungen. Was ist daran so schlecht?
Thomas Würzburger: Schlecht daran ist der Hype, der daraus gemacht wurde: Agilität als Wundermittel für die Herausforderungen der sogenannten neuen VUCA-Arbeitswelt: V für Volatilität (Flüchtigkeit), U für Uncertainty (Unsicherheit), C für Complexity (Komplexität) und A für Ambiguity (Mehrdeutigkeit).

Das Heuchlerische daran ist ja, dass insbesondere Unternehmensberater und Methodencoachs, aber natürlich auch die Unternehmen selbst, mit Schlagwörtern wie New Work suggerieren, dass die agile Arbeitsweise ungeheuren Spaß machen soll, weil es sich um eine Arbeit auf Augenhöhe und ohne Hierarchien handelt.

Es geht bei New Work Ihrer Meinung nach also nicht um Teamgeist und Motivation?
Man sollte sich mal überlegen, woher „agiles Arbeiten“ kommt und was das Ganze überhaupt soll. Schließlich ist diese Bewegung ja nicht gerade aus ethischen Gründen entstanden, sondern aus einer rein kapitalistischen Überzeugung: Talcott Parsons, der bekannte US-Soziologe, war der Wortschöpfer von Agilität – und diese ist in den 1950er Jahren aus dem Gedanken geboren, wie Wirtschaftssysteme in den USA adaptiv gestaltet werden können, damit sie in einer sich ständig wandelnden Umwelt erfolgreich weiter bestehen können.

Thomas Würzburger (geb. 1968), promovierter Jurist und Wirtschaftswissenschaftler lebt in Salzburg und beschäftigt sich seit über zehn Jahren als Autor, Trainer und Berater, Mediator und Redner mit den Themen Führung, Teamarbeit, Generationen und digitale Transformation. Zuvor hat er unter anderem als Vorstandsassistent in einer internationalen Versicherungsgruppe, als Großkundenbetreuer in Banken und als Geschäftsführer im Energiesektor gearbeitet. Quelle: Christoph Huber, Steiermark, Gröbming

Agilität ist ja nicht erst mit der Digitalisierung aufgekommen, sondern durch projektbezogenes Arbeiten und die Entgrenzung von Arbeit: Immer mehr Leiharbeit und befristete Anstellungen – Sie wissen ja heute in Unternehmen nicht mehr, wer fest angestellt ist und wer nicht.

Der flexible Mensch als reines Humankapital?
Was bis heute von Parsons' Gedanken bleibt, ist im Kern und in letzter Konsequenz eine strikte Kundenfokussierung bei maximaler Effizienz! Wenn Unternehmen Agilität zu Ende denken, dann müssen sie, um in einer dynamischen Welt wettbewerbsfähig zu sein, mit sich immer wieder neu organisierenden Teams arbeiten – in denen nur die Besten und Geeignetsten, also Anpassungsfähigsten, bleiben können, um den Kundenwünschen von morgen gerecht zu werden.

Verstehen Sie mich richtig, ich bin ja kein Kommunist, aber Agilität in letzter Konsequenz zu Ende gedacht, ist nichts anderes als turbokapitalistisches Gedankengut und New Work eine neue Form der real stattfindenden Bestenauslese.

Neun Agilitätsfallen

Wie sonst sollen Unternehmen dann in einem dynamischen Umfeld wettbewerbsfähig bleiben?
Eine agile Belegschaft ist ein möglicher Zugang zu diesen sich ständig wandelnden Anforderungen – wir brauchen anpassungsfähige Mitarbeiter und auch anpassungsfähige Führungskräfte. In einer digitalen Welt mit Robotern und künstlicher Intelligenz müssen wir heute in Teams mit höchster Flexibilität und Unvorhersehbarkeit arbeiten, sodass wir natürlich letztlich auch austauschbar werden.

Was mich daran stört ist, dass insbesondere den jungen Menschen, kaum die Zeit und Chance gegeben wird, zu ihren Stärken und ihrer Motivation zu finden. Meist wird nach dem Prinzip „Liefern“ oder „Gehen“ verfahren. Dabei sollte man vielmehr versuchen, die Talente an anderer Stelle einzusetzen, wenn die ursprüngliche Besetzung nicht passt. Da bedarf es noch einer höheren Fehlertoleranz seitens der Unternehmen.

Drei Arten agiler Arbeit

Sie schreiben, dass es seitens der Mitarbeiter einer enormen inneren Sicherheit und persönlichen Reife bedarf, um in einer solchen Arbeitswelt bestehen zu können …
Ja, absolut. Wir brauchen Stabilität im Inneren, damit wir in einer agilen Außenwelt arbeiten können. Es gibt viele Agilitätsfallen (siehe Klickliste). Allein die Beschleunigungsfalle spricht ja für sich: Nicht jeder Mitarbeiter ist dafür geeignet, sich selbst zu organisieren und sich ständig weiterzuentwickeln und sich ständig auf neue Teams einzulassen. Da kommen viele Menschen einfach nicht mehr mit.

Ist das nicht auch eine Verlagerung der Verantwortung von Unternehmen auf den einzelnen Mitarbeiter?
Genau. Agile Mitarbeiter brauchen eine stabile, gereifte Persönlichkeit, damit sie auch „liefern“ können bei sich ständig verändernden Rahmenbedingungen und in sich immer wieder neu bildenden Teams. Dafür ist eine sehr hohe Anpassungsfähigkeit nötig.

Wobei Führungskräfte und Arbeitgeber ihren Beitrag dazu leisten müssen, ihre Mitarbeiter mit den nötigen Kompetenzen auszustatten. Das findet aus meiner Sicht noch zu wenig statt. Und das ist auch nicht mit einem einfachen Methodentraining, wie viele Agilitätscoachs es anbieten, zu erreichen.

Innere Stabilität erlangt man nur durch einen tiefgehenden, menschlichen Reifungsprozess: Erkenne Dich selbst – dieser Lernprozess geht bis in den Tod.

Ist das nicht ein bisschen viel verlangt vom Arbeitgeber?
Der Arbeitgeber hat dabei nicht die Aufgabe, den Charakter der Menschen bis zu seiner Vollendung zu begleiten. Aber er hat die Aufgabe, den richtigen Mitarbeiter mit der richtigen Aufgabe im richtigen Team in seinem Unternehmen auszustatten.

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