Open Space statt Einzelbüro Die Old Economy testet neue Arbeitsplätze

Desk Sharing können sich die Deutschen nicht vorstellen. Bei der MAN Truck & Bus AG können die Mitarbeiter jetzt ausprobieren, wie sich das Arbeiten im open space anfühlt. Adidas ist schon ein Stück weiter.

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Neue Atmosphäre für die MAN-Büros. Quelle: Presse

„Wir sehen uns einer radikal offenen Zukunft gegenüber und bemühen uns, irgendwie mit unserem Schicksal zurechtzukommen“, schrieb der tschechische Ökonom Tomáš Sedláček in seinem Buch „Die Ökonomie von Gut und Böse“. Das Buch erschien schon im Jahr 2009 – geändert hat sich an der von ihm beschriebenen Situation bis heute nichts. Sowohl Ökonomen als auch Unternehmen müssen irgendwie mit der sich rasant verändernden Welt und der unberechenbaren Zukunft zurechtkommen. Seit diesem Montag können die Mitarbeiter von MAN Truck & Bus AG in München deshalb die Zukunft anfassen - und sich draufsetzen.

Der Vorstand eröffnet die Testsaison

Der Nutzfahrzeughersteller hat auf seinem Gelände eine Zukunftswerkstatt eingerichtet, in der die Belegschaft das Arbeiten der Zukunft ausprobieren soll. „Bisher arbeiten wir mit einem Mix aus Einzel- und Großraumbüros. Auf 300 Quadratmetern testen wir jetzt open Space mit verschiedenen Arbeitsplatzsituationen: Rückzugsräume, Stehtische für schnelle Besprechungen, Gruppenarbeitsplätze, Besprechungsräume“, sagt Josef Schelchshorn, Personalvorstand der MAN SE und der MAN Truck & Bus AG.

Die Hoffnung dahinter: verbesserte Kommunikation und effizientere Zusammenarbeit. Der Vorstand des Unternehmens geht mit gutem Beispiel voran und ist zuerst in die Testwerkstatt gezogen: von CEO Joachim Drees über die Referenten bis zur Chefsekretärin. Die finden die neue Arbeitsatmosphäre ziemlich cool, wie Schelchshorn sagt. Vor allem die technische Ausstattung und das flexible Raumkonzept weckten Begeisterung.

Arbeitsbereiche aus der MAN-Zukunftswerkstatt. Quelle: Presse

Gebogene Monitore, bunte Lounge-Ecken, Telefonkabinen und Wände voller Post-its zum Sammeln kreativer Ideen – in vielen Software-Unternehmen aber auch im Marketing und allgemein in kreativen Berufen ist derartiges Arbeiten ganz normal. MAN bricht die traditionellen Strukturen lieber behutsam auf. „Wir wissen, dass die Digitalisierung die Arbeitswelt nachhaltig verändern wird. Was wir, genau wie andere Unternehmen, nicht wissen, ist, wie das konkret aussieht und wen das betrifft. Das wollten wir einfach ausprobieren“, so der Personalchef.

Freiwillige Mitarbeiter vor

Dafür konnten sich die Mitarbeiter bewerben, vier Wochen muss jeder der Teilnehmer in der Zukunftswerkstatt bleiben. Die Idee kommt an: Das Areal sollte eigentlich nur bis Herbst dieses Jahres genutzt werden, mit der Anzahl an Freiwilligen könnte das Projekt aber bis Ende nächsten Jahres fortgeführt werden, erzählt Schelchshorn. „Vermutlich machen wir im Herbst einen ersten Zwischenstand und beschließen dann das weitere Vorgehen. Weitere Testflächen befinden sich bereits in Planung.“

Vier Wochen bleiben die jeweiligen Tester in der Zukunftswerkstatt. Quelle: Presse

Das Fraunhofer-Institut begleitet die Zukunftswerkstatt von wissenschaftlicher Seite. Gemeinsam mit Experten des Instituts hat das Unternehmen Fragebögen erstellt, anhand derer die Mitarbeiter das neue Arbeiten bewerten sollen. „Da geht es neben dem Messen von Produktivität, Effizienz und Kreativität auch um die Gefühlswelt der Mitarbeiter: wie fühlt sich das an? Wirkt sich das positiv oder negativ auf dein Arbeiten aus?“ Die Experten sollen außerdem auswerten, inwiefern die MAN Zukunftswerkstatt dazu beiträgt, das Unternehmen fit für die Zukunft zu machen.

Für ihn sei das Arbeiten im open space nach den ersten zwei Testtagen vor allem ungewohnt, gibt Schelchshorn zu. „Das geht schon damit los, dass man morgens erst einmal definieren muss, was man tagsüber tut und welcher Arbeitsplatz dazu passt. Arbeitsplätze sind natürlich ausreichend vorhanden, aber man muss sich abhängig von der Aufgabe den passenden Platz suchen.“

Open space eignet sich nicht für jeden


Den Gedanken, keinen festen Arbeitsplatz zu haben, mögen die Deutschen gar nicht. Das zeigt die Vergleichsstudie "Office of the future" aus dem vergangenen Jahr, für die der Immobiliendienstleister Savills zusammen mit der Unternehmensberatung Consulting cum laude 1250 Deutsche zum Büro der Zukunft befragt hat.
Die für Unternehmen noch günstigere Variante des Desk-Sharing, bei der es weniger Arbeitsplätze als Mitarbeiter gibt, lehnen die Befragten ab. Die Hälfte der Generation Y und mehr als 65 Prozent der Generation X (zwischen 1964 und 1980 geboren) wünschen sich einen festen Platz im Büro.


Nur rund fünf Prozent aller Befragten können sich vorstellen, morgens abzufragen, ob für sie überhaupt ein Schreibtisch im Büro frei ist und wo. Auch das Großraumbüro erfreut sich in der Theorie keiner großen Beliebtheit, wie die Umfrage zeigt. Schon mit dem Begriff verbinden die meisten Lärm, Hektik, Ablenkung und stickige Luft.

Knigge für das Großraumbüro

„Open space eignet sich nicht für jeden Unternehmensbereich, das ist klar“, sagt Schelchshorn. „Deshalb probieren wir ja aus, wo es Verbesserungen bringt und wo nicht.“ Das Unternehmen wolle den Mitarbeitern keine neue Arbeitsweise überstülpen, sondern sie dafür begeistern – so sie ihnen einen Vorteil bringt. Das Feedback der Kollegen werde man ernst nehmen, sagt er. Sollte sich nach sechs oder acht Wochen herausstellen, dass beispielsweise eine Tischgruppe bei den Mitarbeitern durchfällt, werde diese ausgetauscht, so Schelchshorn. „Das halte ich aber für sehr unwahrscheinlich.“


Adidas als Best Practice-Beispiel

Bei Adidas waren es tatsächlich solche Dinge, die die Mitarbeiter monierten. Der Sportartikelhersteller hat seine Mitarbeiter bereits 2015 zum Testen einer neuen Arbeitsumgebung eingeladen. PITCH hieß das Projekt, in dem 300 Menschen Open space und Desk-Sharing ausprobieren konnten. Damit das neue Büro nicht zum Prestigeprojekt von Innenarchitekten wird, aber in der täglichen Praxis völlig ungeeignet ist, konnten die Mitarbeiter im Vorfeld Vorschläge einreichen, wie sie gerne arbeiten und was sie gerne testen würden.

Diese Vorschläge seien dann auch umgesetzt und auf die Alltagstauglichkeit hin überprüft worden. „Wir haben ein Jahr lang getestet und diese Tests auch intensiv begleitet: Es gab eine App, an jedem Möbelstück waren QR-Codes angebracht, sodass die Mitarbeiter die Möbel bewerten konnten, es gab Interviews: wie fühlt sich das Arbeiten an, was gefällt euch nicht?“, erzählt Simone Lendzian, Senior Corporate Communication Manager bei Adidas. Und da kam es natürlich vor, dass Manches in der Praxis nicht so nützlich war, wie gedacht. „Wir hatten zum Beispiel Telefonboxen ausprobiert, also Rückzugsräume zum Telefonieren, mit denen niemand zufrieden war. Also haben wir eigene Lösungen entwickelt“, sagt sie.

Bessere Zusammenarbeit dank Desk-Sharing

Und das laut Studie unbeliebte Teilen eines Schreibtisches? Wie fand die Belegschaft das? „Es gibt immer Leute, die nicht zufrieden sind, aber unsere Mitarbeiter, die das Konzept getestet haben, haben dem Desk-Sharing auf einer Skala von eins bis fünf durch die Bank vier bis fünf Punkte gegeben“, sagt Lendzian. „Die Zusammenarbeit und die Kommunikation seien dadurch verbessert und damit auch der Teamspirit.“ Und das sei das Ziel gewesen.

Zumindest hatte Karen Parkin, Personalchefin bei Adidas, bei Eröffnung des Testbüros PITCH gesagt: „Wir benötigen einen Arbeitsplatz, der Zusammenarbeit in einer offenen Umgebung ermöglicht. Ein Umfeld, das die Entwicklung innovativer Ideen anregt und sowohl mental als auch physisch Platz für kreatives Arbeiten bietet.“

Bei Adidas ist mittlerweile Rollout

Die Testphase von PITCH endete im August 2016. Seitdem ist Rollout an den verschiedenen Standorten. „Amsterdam arbeitet schon mit dem neuen Modell, am Hauptsitz in Herzogenaurach sind wir dabei. Der Standort Portland hatte eine andere Testarbeitsumgebung, da dort die Kultur anders ist als hier und das Arbeitsumfeld immer auch zur Kultur passen muss. Aber auch da ist demnächst Rollout“, sagt Lendzian.

Ihr Fazit: Egal, wie schön sich die Geschäftsführung die neue Arbeitswelt ausmalt, es geht nicht ohne die Zustimmung der Mitarbeiter. Denn die müssen ja letztlich im neuen Büro sitzen. „Dass das bei uns so erfolgreich gelaufen ist, liegt vor allem daran, dass wir nicht gesagt haben: So stellen wir uns das vor und jetzt seht mal zu, was ihr daraus macht, sondern das wir gesagt haben: Wir testen mit euch gemeinsam. Und das wir das auch umgesetzt haben, was an Feedback von den Mitarbeitern kam.“

Davon abgesehen ist es für den Erfolg eines solchen Projektes wichtig, dass Mitarbeiter, die Kontrolle darüber haben, wie und wo sie arbeiten. Zumindest zeigt eine Umfrage von Steelcase und Ipsos unter 12.480 Menschen aus 17 Ländern, dass diejenigen am engagiertesten arbeiten, die das können. Dazu zählt insbesondere die Möglichkeit, sich ungestört zurückzuziehen und die Arbeitsumgebung je nach anstehender Aufgabe frei wählen zu können. Wer im Großraumbüro festsitzt und auch für komplizierte Arbeiten bei denen Konzentration angesagt ist, dem Trubel nicht entfliehen kann, wird auf Dauer wahnsinnig. Zumindest aber leiden Zufriedenheit und Motivation.

Man kann es nicht allen Recht machen

Die Herangehensweisen von Adidas und MAN halten auch die Macher der eingangs erwähnten Studie zum Büro der Zukunft für gut. Wer Geld und Fläche zur Verfügung habe, könne mit einem Testareal nichts falsch machen, sagte Roman Diehl, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Consulting cum laude gegenüber WirtschaftsWoche Online. Andernfalls könne man sich mit der eigenen Belegschaft auch bei anderen Unternehmen umschauen, die bereits open space & Co. nutzen. Probieren geht ja bekanntlich über studieren.

Von der Erwartung, alle zufriedenzustellen, müsse man sich allerdings verabschieden, sagte Marcus Mornhart, Managing Director bei Savills in Frankfurt. "Aber ein Großteil sollte sich mit der neuen Arbeitsumgebung identifizieren. Das ist allein schon wichtig, weil hinter einer solchen Veränderung immense Investitionen stecken."


Wenn sich MAN also ein Beispiel an Adidas nimmt und das Feedback seiner Mitarbeiter ernst nimmt und entsprechend umsetzt, steht einer neuen Arbeitsweise in Zukunft nichts im Wege. Zumindest für die Mitarbeiter, deren Arbeit am Schreibtisch gemacht wird. Für die Produktion tut sich zunächst nicht so viel, wie Personalvorstand Schelchshorn sagt: „Das klassische Zusammenbauen von Produkten ändert sich natürlich nicht. Ein LKW muss nach wie vor montiert werden. Hier ändert sich nur die Art, wie das passiert.“

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