Petra Hinz und der gefälschte Lebenslauf In der Politik ein Einzelfall, in der Wirtschaft normal

Der gefälschte Lebenslauf der langjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten Petra Hinz ist eher ein Einzelfall. Zumindest in der Politik. In der Wirtschaft haben es Betrüger dagegen leicht – vor allem auf hohen Positionen.

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Elf Jahre saß Petra Hinz trotz falscher Angaben in ihrem Lebenslauf als Abgeordnete im Bundestag. Quelle: dpa

Die SPD-Politikerin Petra Hinz hat mit ihrem erfundenen Lebenslauf in der vergangenen Woche für Aufsehen gesorgt. Aus Sicht des Politikportals abgeordnetenwatch.de dürfte Hinz jedoch eher ein Einzelfall sein.

Natürlich haben schon Politiker ihre Vita geschönt. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen machte aus einer Gasthörerschaft an der US-Eliteuniversität Stanford in ihrem CV eine „Station“. Auch ihr Vorgänger Karl Theodor zu Guttenberg gab bei seinem Lebenslauf mächtig an. Er wertete mehrwöchige Studentenpraktika in Frankfurt und New York mal eben zu „beruflichen Stationen in Frankfurt und New York“ auf. Und aus einer einfachen Hospitanz wurde eine Tätigkeit als „freier Journalist bei der Tageszeitung Die Welt“. Aber bei beiden steckte ein Fünkchen Wahrheit hinter den Aussagen. Bei Hinz nicht.

Sie hat zugegeben, entgegen bisherigen Angaben kein Abitur erlangt und keine juristischen Staatsexamina abgelegt zu haben. Deshalb kündigte sie an, auf ihr Mandat zu verzichten. Für sie rückt nun eine „echte“ Juristin in den Bundestag nach.

„Letztlich schadet man sich als Politiker mit so einer Lüge“, sagte Roman Ebener von der Transparenz-Plattform abgeordnetenwatch.de. „Es kommt in den meisten Fällen raus, und damit ist die politische Karriere beendet.“ Es könnte durchaus weitere Ungereimtheiten bei einzelnen Abgeordneten geben: „Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dies im großen Stil geschieht.“

In der freien Wirtschaft sieht es anders aus, wie der Wirtschaftspsychologe Jörg Wirtgen sagt. Er ist Gründer und Geschäftsführer der Berliner Managementberatung WM-Consult und hatte es in seinem Berufsalltag schon mit einigen falschen Fuffzigern zu tun gehabt.

So habe er einmal den Fall eines Unternehmens gehabt, das einen neuen Geschäftsführer suchte. Den Favoriten für diese Rolle sollte Wirtgen auf Geheiß des Aufsichtsrates noch einmal durchleuchten. Dabei kam heraus, dass der bevorzugte Kandidat während der DDR-Zeit in einem Erich Mielke unterstellten Wachbataillon Dienst leistete und an der Grenze auf DDR-Flüchtlinge schoss. In einem anderen Fall sollte ein langjähriges Scientology-Mitglied in den Vorstand eines großen Versicherungsunternehmens gewählt werden.

„Ab einer gewissen Ebene guckt einfach keiner mehr nach“, so Wirtgens Erfahrung. Während die Sekretärin oder der angehende Azubi genau geprüft werden und selbst noch die Grundschulzeugnisse vorlegen müssen, schaut beim CEO keiner mehr hin.

Unternehmen geben Verantwortung ab

Das liegt vor allem daran, wie solche Personen in ein Unternehmen kommen, sagt der Berater und Psychologe: „Der Headhunter kauft diese Leute von einer Position in einem anderen Unternehmen frei und setzt ihn auf eine ähnliche Position bei seinem Auftraggeber. Der prüft doch nicht mehr, ob der Kandidat da rechtmäßig sitzt.“ Auf der anderen Seite geben die Unternehmen mit dem Beauftragen eines Headhunters ihre Verantwortung ab. Wer viel Geld für die Suche zahlt, geht davon aus, dass mit dem Kandidaten alles in Ordnung ist.

Dabei sei das gerade bei den Personen, die ab 200.000 Euro aufwärts im Jahr kosten, wirklich wichtig, wie Wirtgen sagt: „Die Sekretärin oder der Auszubildende machen so einen Laden ja nicht kaputt, falls sie sich als Fehlgriff erweisen. Beim Boss sieht es da schon ganz anders aus.“

Seiner Meinung nach können Fälle wie der von Hinz in der Wirtschaft deshalb vorkommen, weil

1) der jeweilige Kandidat angeblich ein fachfremdes Studium absolviert hat, das für den Job nicht wichtig ist und das deshalb nicht überprüft wird;

2) Headhunter und Recruiter davon ausgehen, dass jemand, der es weit nach oben geschafft hat, dort wohl rechtmäßig sein werde;

3) Unternehmen davon ausgehen, dass der Recruiter den Kandidaten schon überprüft haben wird;

Und dann gebe es noch die ganz großen Konzerne, die eigene Recrutingabteilungen und eigene Diagnostikabteilungen beschäftigen. „Da holt die eine Abteilung jemand für viel Geld an Board und die andere soll entscheiden, ob das gut war. Das ist doch Wahnsinn, was die Unternehmen da machen“, sagt Wirtgen. Eine Krähe hacke der anderen schließlich kein Auge aus – und einer Krähe aus demselben Nest schon mal gar nicht.

Um den entgegenzuwirken, könne man nur die Aufsichtsräte dazu verpflichten, sich an Abfindungen der auf diese Weise ins Haus geholten Blender zu beteiligen, so Wirtgen. Anders ändere sich an der Mentalität vermutlich nichts.

Und im Bundestag? Da soll sich an den Regularien in Bezug auf die Lebensläufe auch nichts ändern. „Jeder darf und kann erst einmal ohne besondere Qualifikationen in den Bundestag einziehen“, sagte Ebener der Nachrichtenagentur dpa. Es wäre auch unnötig, mehr als 600 Lebensläufe zu prüfen und dann bei einigen kleine Ungereimtheiten festzustellen.

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