Podcast Chefgespräch Mit offenen Karten gegen den Fachkräftemangel

Häufig scheitert der Bewerbungsgespräch, wenn das Gehalt verhandelt werden soll. Quelle: imago images

Immer mehr Firmen veröffentlichen das Gehalt in Stellenausschreibungen. Schließlich erleichtert das die Personalsuche, wie Stepstone-Chef Sebastian Dettmers sagt. Doch für Unternehmen birgt die Offenheit auch Risiken.

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Als Katharina Hain vor 15 Jahren beim Personaldienstleister Hays anheuerte, fehlte ihr jedes Maß. Vor dem Bewerbungsgespräch googelte Hain, wie viel Recruiter eigentlich verdienen. Sie wollte wissen, mit welcher Summe sie in die Verhandlungen gehen könne. Keine gute Idee: Unternehmen und Bewerberin lagen sehr weit auseinander. Hain musste ihre Erwartungen deutlich herunterschrauben, sich mit weniger begnügen, als die Google-Suche im Vorfeld ausspuckte. Immer noch ein gutes Gehalt, wie sie mittlerweile weiß. Schließlich war es doch ihr erster Job im Recruiting. Ein Fakt, den der erstbeste Google-Treffer nicht berücksichtigte.

Würde sich Hain heute bei ihrem Arbeitgeber bewerben, bliebe ihr diese Enttäuschung erspart. Seit einem Jahr veröffentlicht Hays in einem Großteil der ausgeschriebenen Stellen ein Durchschnittsgehalt. So bekommt eine Einsteigerin im Vertrieb und Recruiting – wie Hain es vor 15 Jahren selbst war – bei Hays im Jahr 2022 durchschnittlich 45.100 Euro brutto pro Jahr. Die Idee für diese Transparenzoffensive stammt von Hain selbst, die heute das HR-Marketing des Unternehmens leitet.

Immer mehr Firmen ringen sich dazu durch, die ehemals streng gehüteten Summen bereitwillig zu kommunizieren. Sie wollen den Bewerbern entgegenkommen. Zu drängend ist der Bedarf an neuem Personal. Auch Sebastian Dettmers, Geschäftsführer der Jobplattform Stepstone, sieht das so. Eine Gehaltsangabe in der Stellenausschreibung mache die „Jobauswahl wesentlich leichter“ und sorge auf Seiten der Unternehmen dafür, „dass sich eher die richten Kandidaten bewerben“, sagt Dettmers im WirtschaftsWoche-Podcast „Chefgespräch“ mit Varinia Bernau. Stepstone selbst gibt darum in den eigenen Stellenanzeigen das Gehalt als Spanne an – mit der minimalen und maximalen Bezahlung.

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Im Bewerbungsprozess würden sich die Kandidaten im bildlichen Sinn „nackt machen“, sagt Dettmers im Podcast. Sie schicken ihren detaillierten Lebenslauf, Arbeitszeugnisse, Referenzen mit. Doch häufig würde erst ganz am Ende des gesamten Prozesses über das Gehalt gesprochen. Im schlimmsten Fall stellen Bewerber und Unternehmen dann fest, dass sie gar nicht zusammenpassen. Über die „Grundzutaten“ der Arbeit, zu denen Dettmers das Gehalt zählt, „sollte Transparenz herrschen“.

Orientierungshilfe bieten

Auch Katharina Hain sagt: „Nicht nur jungen Bewerberinnen und Bewerbern von der Uni fällt es unheimlich schwer, einen Gehaltswunsch zu formulieren. Viele haben Angst, sich mit einer zu hohen Summe aus dem Prozess zu katapultieren.“ Mit den Gehaltsangaben will sie vorbeugen. Von den Kandidatinnen und Kandidaten erhalte Hays das Feedback, dass diese sich jetzt viel besser einschätzen könnten und wohler fühlten. Die Bewerbung scheitert auch seltener während der Gehaltsverhandlungen.

Stepstone als Jobplattform und Hays als Personaldienstleister sind für solche Vorhaben prädestiniert. Doch auch in anderen Branchen trifft die Transparenz einen Nerv. Eine Stepstone-Befragung zeigte bereits vor einigen Jahren, dass sich rund 60 Prozent der Bewerber nach konkreten Informationen zum Gehalt in Stellenanzeigen sehnen. Auf der anderen Seite belegt eine Befragung des Beratungshauses Kienbaum, dass Firmen den positiven Nutzen der Offenheit durchaus erkennen: So stimmten 79 Prozent der Unternehmen der Aussage zu, dass sich ein hohes Maß an Gehaltstransparenz im Bewerbungsverfahren als „sehr nützlich“ erweist.

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Was Dettmers und Hain tun, um auf einem angespannten Arbeitsmarkt noch gute Leute zu finden, ist anderswo bereits Pflicht. So verlangen Gesetze in einigen US-Bundesstaaten von Unternehmen, dass sie das Gehalt in Stellenausschreibungen offenlegen. Erst im Herbst wurde in Kalifornien, Heimat etlicher Tech-Firmen, ein Gesetz erlassen, dass Unternehmen mit mehr als 15 Mitarbeitern ab dem 1. Januar 2023 dazu verpflichtet, „Gehaltsspannen für Stellen aufzulisten und diese Informationen den vorhandenen Mitarbeitern zur Verfügung stellen“. Das berichtete die „Washington Post“ Anfang Oktober. Es soll der Diskriminierung durch ungleiche Bezahlung vorbeugen. In Deutschland haben Beschäftigte in Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitern seit 2018 lediglich einen Anspruch darauf, das Gehalt der Kollegen in vergleichbaren Positionen zu erfahren – und das auch nur im Mittelwert.

Es braucht Überzeugungsarbeit

Die neue Offenheit birgt für Unternehmen jedoch auch Risiken. So erinnert sich Hain gut daran, dass es bei Hays vor der Einführung viele Bedenken gab. Die Sorge: Dann verschrecken wir Bewerber mit den Zahlen – und erhalten viel weniger Bewerbungen. Hain hielt dagegen: Womöglich würde Hays weniger Bewerbungen erhalten, dafür aber passendere. Schließlich hätten sich die Kandidaten schon intensiv mit dem Gehalt auseinandergesetzt. „Tatsächlich spüren wir jedoch keinen Rückgang bei den Bewerbungen, der auf die Gehaltstransparenz zurückzuführen wäre“, sagt Hain.

Im Podcast erklärte Sebastian Dettmers, dass Stepstone nicht nur für die eigenen Jobs Gehaltsspannen angibt. Auch auf der Jobbörse, auf der laut Angaben des Unternehmens mehr als 150.000 Arbeitgeber Stellen ausschreiben, findet sich eine Gehaltsspanne für die jeweilige Position. Entweder teilen die Firmenkunden, die hier Stellen ausschreiben, gleich ihre echten Gehälter – so wie es auch Hays bei Stepstone macht. Oder Stepstone schätzt das Gehalt und gibt selbst einen Wert an. Nach „anfänglichen Schwierigkeiten“ und ersten Überzeugungsarbeiten merkt Dettmers heute, dass die Gehaltsangaben „mittlerweile sehr gut akzeptiert“ werden. „Von ungefähr zehn Prozent der Unternehmen“, so Dettmers, „bekommen wir schon die echten Gehaltsinformationen“. Für die übrigen 90 Prozent schätzt Stepstone das Gehalt. Der Anteil der Unternehmen, die Gehälter bei Stepstone teilen, steige „Woche für Woche“. Dettmers verbucht die Gehaltsangaben als „großen Erfolg“, die Mehrzahl der Unternehmen habe sofort den Nutzen der Transparenz verstanden.

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Schließlich existieren aus Sicht der Unternehmen sogar „praktische Probleme“, wenn Stepstone das Gehalt schätzen müsse, sagt Dettmers. Wenn die eigenen Mitarbeiter die Gehaltsspanne sehen und das Gehalt am unteren Ende erhalten, sorge das im Betrieb für Diskussionen.

Hain kennt dieses Problem aus einer anderen Perspektive. Auf Portalen wie Glassdoor oder Kununu, wo Mitarbeiter ihre Arbeitgeber bewerten, können die Beschäftigten auch Gehälter veröffentlichen. Dem Unternehmen entgleitet so die Kontrolle über die langen gehüteten Werte. Und die Angaben würden nicht immer stimmen. „Jetzt können wir als Unternehmen proaktiv korrekte Werte kommunizieren“, sagt Hain.

Die Grenzen der Transparenz

Auch die Forschung konnte diesen internen Knatsch, der durch Gehaltsangaben entstehen kann, bereits nachweisen. Für eine Studie veröffentlichte die Universität von Kalifornien online Gehaltsangaben und gab einer Gruppe an Beschäftigten darüber auch Bescheid. Wer weniger verdiente als die Kollegen und darüber informiert wurde, berichtete in der Studie über eine geringere Gehaltszufriedenheit. Diejenigen suchten auch mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit einen anderen Job als Mitarbeiter, die nicht über die Website informiert wurden und dennoch weniger verdienten als das Durchschnittsgehalt.

Und tatsächlich hat die Transparenz selbst bei Stepstone ihre Grenzen – spätestens in der Chefetage. Sein eigenes Gehalt wollte Dettmers im Podcast Chefgespräch nämlich nicht verraten. Im Gespräch musste er sogar überlegen, ob er jemals mit seiner Frau über sein Gehalt gesprochen habe. Der Finanzchef, so Dettmers Vermutung, der würde sein Gehalt kennen. Und die Anteilseigner. Aber sonst?

Was Dettmers im Gespräch mit WirtschaftsWoche-Journalistin Varinia Bernau zumindest in Aussicht stellte: „Wenn Stepstone wieder einen CEO sucht, wird Stepstone auch das Gehalt offenlegen.“

Den vollständigen Podcast Chefgespräch mit Sebastian Dettmers hören Sie hier.

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