




Auch dieses Jahr soll der Equal Pay Day (EPD) daran erinnern, dass in Deutschland eine Entgeltdifferenz von 22 Prozent zwischen den Geschlechtern besteht. Und dies ist ungerecht, das versteht eigentlich jedes Kind.
Es muss also noch Bewusstseinsarbeit geleistet werden: Die Erklärung von Ursachen und Folgen soll Unternehmen dazu führen, diese Ungleichbehandlung als Ungerechtigkeit wahrzunehmen und dagegen anzugehen. Dieses Jahr steht der EPD unter dem Motto Lohntransparenz und wirbt mit dem Slogan „Spiel mit offenen Karten“. Ich möchte hier auf einige historische Gründe dieser Entgeltlücke hinweisen und Unternehmen wie auch öffentliche Einrichtungen dazu ermutigen, das „Spiel mit offenen Karten“ zu eröffnen, für das sich auch Familienministerin Manuela Schwesig mit dem Entgeltgleichheitsgesetz einsetzt.

Eine der historischen Wurzeln der Ungleichbehandlung der Geschlechter liegt, so die Politologin Nancy Fraser, im Industriekapitalismus der Nachkriegszeit. Erst damals – und nur damals – war es in der westlichen Welt während circa vierzig Jahren einer Bevölkerungsmehrheit möglich, im Alleinernährer-Modell als Familie existenzgesichert zu leben. Väter brachten den Familienlohn nach Hause, Mütter übernahmen unentgeltlich Betreuungs- und Hausarbeit und stiegen mehrheitlich aus dem Erwerbsleben aus.
Die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern
Die Berechnung stützt sich allein auf den durchschnittlichen Stundenlohn. Aus den 21 Prozent lässt sich also nicht ableiten, dass alle Frauen in Deutschland 21 Prozent weniger als Männer verdienen. Die Qualifikation der Beschäftigten und ob sie Voll- oder Teilzeit arbeiten, wird nicht berücksichtigt. Daran stören sich Kritiker. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall wendet zum Beispiel ein, die Berechnung sei „kein Indikator für mögliche Diskriminierung, denn er vergleicht eben gerade nicht vergleichbare Tätigkeiten miteinander“.
Die Statistiker führen rund zwei Drittel der Differenz darauf zurück, dass Frauen in eher schlechter bezahlten Berufen tätig sind - zum Beispiel als Reinigungskraft (Frauenanteil 85 Prozent) oder Verkäuferin (73 Prozent). Deutlich mehr Frauen als Männer arbeiten in Teilzeit, deutlich weniger in höheren Führungsebenen.
Das letzte Drittel der Lohnlücke zwischen den Geschlechtern lässt sich daraus aber nicht erklären: Dem Statistischen Bundesamt zufolge verdienen Frauen auch bei ähnlicher Tätigkeit und Qualifikation im Schnitt sieben Prozent weniger pro Stunde als ihre männlichen Kollegen. Das wird unter anderem damit erklärt, dass Frauen häufiger eine Auszeit vom Beruf nehmen - um sich um Kinder zu kümmern oder Angehörige zu pflegen. Und sie treten bei Gehaltsverhandlungen anders auf.
Denkbar schlecht. EU-weit betrug der Rückstand 2013 lediglich 16 Prozent. In Slowenien zum Beispiel verdienten Frauen im Schnitt 3,2 Prozent weniger als Männer, in Italien 7,3 Prozent. Nur in Estland (30 Prozent), Österreich (23 Prozent) und Tschechien (22 Prozent) war die Lücke noch größer als hierzulande.
Davon gehen Experten zumindest aus. „Wenn der Mindestlohn eingehalten wird, werden Frauen davon profitieren, weil eben der größere Teil derjenigen, die unter 8,50 Euro verdient haben, Frauen waren“, sagt Christina Klenner vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Auch Hermann Gartner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erwartet einen solchen Effekt. Erhebungen gibt es aber noch nicht.
Union und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf festgelegt, die Entwicklung zumindest abzumildern. Ein Ziel ist demnach, dass Unternehmen ab 500 Beschäftigte künftig transparenter machen sollen, was Frauen und Männer verdienen. Einen Gesetzesentwurf gibt es allerdings noch nicht.
Bis heute wird typische Frauenarbeit (betreuen, pflegen) wenn überhaupt, dann schlechter entlohnt als typische Männerarbeit (herstellen, reparieren) – nicht zuletzt eine Folge dieses Modells, das männliche Arbeit als Grundlage des Familieneinkommens und weibliche Arbeit allenfalls als Zuverdienst verstand. Diese geschlechterspezifische Arbeits- und Einkommensaufteilung hat bis heute nachhaltige Auswirkungen, obwohl sie längst nicht mehr von einer Mehrheit gelebt wird: das Modell des Familienvaters als Alleinernährer hinkt heutigen gesellschaftlichen Realitäten stark hinterher.
Die jetzige postindustrielle Phase des Kapitalismus ist durch eine Abnahme von Einkommen, die für eine Familie ausreichend sind, durch eine Zunahme an befristeten Stellen, Teilzeitarbeit, Minijobs und durch vielfältigere Familienformen gekennzeichnet. Und immer mehr Mütter wollen die Arbeitsaufteilung in der Familie aushandeln. Forschungsresultate weisen außerdem darauf hin, dass ein Großteil der Männer ihr Erwerbsarbeitspensum zu Gunsten von mehr Familien- und Freizeit reduzieren möchte. Da sie fürchten, durch Teilzeitarbeit Karrierechancen einzubüßen, setzen sie diesen Wunsch jedoch meist nicht um. Gleichzeitig lässt sich statistisch belegen, dass das Engagement der Väter im Haushalt zunimmt. So zeigt sich immer häufiger nicht nur eine Doppelbelastung erwerbstätiger Mütter, sondern auch eine Doppelbelastung erwerbstätiger Väter.
Was aber hat dies alles mit Lohntransparenz zu tun?
Eine transparente Entlohnung, die an transparente Leistungserwartung gebunden ist, trägt zu einer Versachlichung der Leistungsbewertung bei. Wünschenswert wäre, dass die Berücksichtigung der Lebenswelten der Arbeitnehmer ebenfalls Eingang in das „Spiel mit offenen Karten“ findet. So könnte zum Beispiel auch die Reduktion eines Arbeitspensums von 100 Prozent auf 80 Prozent für beide Geschlechter nicht als Karrierekiller, sondern als legitimes Anliegen behandelt werden.
Würde eine transparente Entlohnung also zukünftig an Können und nicht an Geschlecht gebunden, so wäre dies nicht nur gerechter, sondern käme sowohl Frauen wie auch Männern zugute.