Produktivität Warum weniger arbeiten mehr bringt - und wie es gelingt

Überstunden sind Verschwendung Quelle: Getty Images

Der traditionelle Acht-Stunden-Tag gilt als überholt. So leisten Sie mehr in kürzerer Zeit – ohne Überstunden.

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Wenn er weiß, dass es abends spät wird, klinkt sich Christoph Nienhaus früher aus. Verlässt mittags das Büro, fährt heim, nimmt die Hunde an die Leine und geht in den Wald. „So ein Spaziergang hilft mir, den Kopf freizubekommen, durchzuatmen und nachmittags mit neuem Elan zurück an den Schreibtisch zu gehen.“

Der 43-Jährige ist IT-Chef beim amerikanischen Netzwerkausrüster Cisco und zuständig für die Regionen Deutschland und Mitteleuropa. Trotzdem gelten seine Freiheiten nicht exklusiv für ihn: Alle Mitarbeiter des Konzerns dürfen wählen, wann und wo sie arbeiten.

Niemand überprüft, wie lange jemand aktiv ist oder pausiert, arbeitet oder ruht. „Ob meine Mitarbeiter ihren Arbeitstag gleich morgens oder erst mittags starten, ob sie im Büro nebenan sitzen oder lieber im Café arbeiten, ist mir egal“, sagt Nienhaus: „Solange die Ergebnisse stimmen.“

Besonders in diesen feiertagsfröhlichen Maitagen, in denen der Frühling seine warmen Sonnenstrahlen über das Land schickt und es abends wieder länger hell bleibt, prallen auf deutschen Bürofluren zwei Welten aufeinander: Angestellte, die sich nach Flexibilität und frühem Feierabend sehnen, treffen auf Vorgesetzte, die fürchten, dass ihre Mitarbeiter das schöne neue Angestelltendasein ohne Anwesenheitspflicht und festes Zeitregime ausnutzen.
Dabei ist inzwischen klar, dass Höchstleistungen nicht im Takt der Stechuhr erbracht werden. Und dass die tatsächlich absolvierte Arbeitszeit wenig aussagt über die Produktivität eines Mitarbeiters. Manch einer versucht mit Überstunden, vor dem Chef zu glänzen, bewältigt sein Pensum aber nur mit Mühe. Andere gehen ihre Aufgaben fokussierter an und liefern binnen kurzer Zeit exzellente Arbeit ab. Mal sprudeln kreative Ideen morgens im stillen Büro, mal abends beim Bier. Mal gedeiht die Motivation im trubeligen Großraumbüro, mal beim Rückzug ins Homeoffice.

Great at Work

Den standardisierten Acht-Stunden-Tag halten viele Forscher deshalb längst für überholt, exzessive Überstunden für verschwendet. „Mehr Arbeit schafft nicht mehr Produktivität“, sagt etwa Morten Hansen. Der Managementprofessor an der Universität von Kalifornien in Berkeley spricht aus eigener Erfahrung. Er heuerte nach dem Studium als Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group in London an. Übernahm dort schnell die üblichen langen Arbeitszeiten, schuftete bis zu 80 Stunden die Woche – nur um festzustellen, dass eine Kollegin, die 30 Stunden weniger arbeitete, meist bessere Ergebnisse ablieferte. „Das hat mich erst mal fertiggemacht“, sagt Hansen heute, „denn ich wusste: So viel klüger konnte sie nicht sein.“

Also beschloss er, das Phänomen wissenschaftlich zu untersuchen. Für sein aktuelles Buch „Great at Work“ hat Hansen fünf Jahre lang die Leistung und die Arbeitsweise von 5000 Berufstätigen untersucht. Und stellte fest: Wer in der Regel zwischen 30 und 50 Stunden pro Woche arbeitet, kann seine Leistung messbar steigern, wenn er für ein Projekt kurzfristig mehr Zeit investiert. Wer aber ständig wöchentlich bis zu 60 Stunden im Büro verbringt, dessen Produktivität stagniert. Bei einer Wochenarbeitszeit von mehr als 65 Stunden ist die Leistung sogar rückläufig. „Wir sollten anders arbeiten statt mehr“, fordert Hansen deshalb und sagt: „Wir arbeiten zu lang.“

Aus zwei Gründen, sagt Hansen. Einerseits glaubten viele Menschen noch immer, dass das calvinistische Arbeitsethos der beste Weg sei, um eine erfolgreiche Karriere hinzulegen. Andererseits herrsche in vielen Büros Gruppenzwang: Viele trauten sich nicht, früher als andere nach Hause zu gehen. Für Hansen eine längst überholte Vorstellung: „Wir müssen von der falschen Überzeugung wegkommen, dass Leistung etwas mit der Arbeitsmenge zu tun hat.“ Es gehe vielmehr darum, wie sie erbracht wird. Sein Motto: „Tu weniger. Aber das besessen.“ In seinen Untersuchungen stellte Hansen immer wieder fest: Die wirklichen Leistungsträger hatten die Fähigkeit, sich auf wenige Punkte zu konzentrieren – und Störfaktoren auszublenden.

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