Produktivität Stress ist eine Frage der Einstellung

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Was bedeutet Stress für den Körper?

Dabei ist schon lange bekannt, dass die Stressreaktion, rein biologisch betrachtet, wie ein Turbolader wirkt. Das geschieht automatisch, wenn man mit etwas konfrontiert wird, das sich den eigenen Zielen in den Weg stellt. Das Herz pumpt mehr Blut in Arme, Beine und ins Gehirn, das Immunsystem und der Verdauungstrakt laufen auf Sparflamme, Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin durchfluten den Körper. „Stress ist eine sehr feine Anpassungsreaktion des Körpers auf Anforderungen von außen“, sagt Tim Hagemann, Professor für Arbeitspsychologie an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld.

Doch genau an diesem Punkt kommt es zur entscheidenden Unterscheidung: Ob man diese Reaktion als positiv („Jetzt erst recht!“) oder negativ („Das schaffe ich nie!“) empfindet, entscheidet darüber, eine stressige Situation zu meistern – oder daran zu scheitern. Der Gedanke dahinter: Indem man seine Einstellung zum Stress ändert, beeinflusst man seine Folgen.

Wie das funktioniert, zeigte kürzlich ein Experiment der Psychologin Wendy Berry Mendes von der Universität von Kalifornien in San Francisco. Sie lud Studenten in ihr Labor ein, wo sie den Hochschulzulassungstest Graduate Record Examination (GRE) absolvieren mussten. Die Hälfte der Teilnehmer erhielt vorab die Information, dass die körperliche Stressreaktion die Leistung verbessert. Die andere Hälfte bekam keine Information dazu.

Wenig überraschend: Alle Freiwilligen standen während der Prüfung unter Stress. Doch sammelten diejenigen, die ihn als leistungsfördernd interpretierten, mehr Punkte. Noch Monate später erwies sich die Information als hilfreich: Wer in dieser Zeit den GRE außerhalb des Labors ablegte, erzielte ebenfalls bessere Ergebnisse.

Sieht man das Hindernis als Herausforderung und die körperliche Reaktion als leistungssteigernd, ist das Gelingen wahrscheinlicher, so das Fazit der Forscher. Diese Geisteshaltung, das Mindset, sieht auch Alia Crum als wichtigen Faktor, um mit Stress gut zurechtzukommen. Die Psychologin, die heute an der Universität Stanford in Kalifornien forscht, untersuchte diesen Zusammenhang vor einigen Jahren mit zwei Kollegen genauer.

Yes, we can

Dabei baute sie auf früheren Forschungsergebnissen auf. Wissenschaftler hatten bereits belegen können, dass die innere Einstellung einen großen Effekt auf viele Dinge hat: Wer körperlich anstrengende Arbeit zum Beispiel als gutes Training interpretiert, wird dadurch fitter. Wer Intelligenz als eine beeinflussbare Größe sieht und nicht als gottgegebenes, festgelegtes Talent, lernt mehr und erzielt bessere Noten. Übertragen auf Stress, unterschied Crum daher in ihrer Studie zwischen den Mindsets „Stress ist belastend“ und „Stress ist hilfreich“.

In einem Experiment versetzte sie mehr als 300 Angestellte eines Unternehmens aus der Finanzbranche zufällig in eine dieser Geisteshaltungen. Dazu mussten die Kandidaten im Verlauf einer Woche Lehrvideos über die Folgen von Stress anschauen, die entweder positive oder negative Konsequenzen betonten. Mit einem Fragebogen versuchte Crum danach die Einstellung der Teilnehmer zu Stress zu messen und ihre gefühlte Produktivität und ihre Stimmung zu erfragen. Die subtile Manipulation wirkte: Diejenigen, die Videos mit positiver Botschaft zu Stress geschaut hatten, hatten dadurch eine größere Nähe zur „Stress ist hilfreich“-Einstellung bekommen und fühlten sich besser und produktiver.

Diese Haltung kann – überspitzt formuliert – sogar Leben retten, wie eine Studie von Forschern der Universität von Wisconsin-Madison im Jahr 2012 nahelegt. Das Team wertete einen Datensatz der nationalen Gesundheitsstatistik der USA aus, in dem 29.000 Menschen unter anderem Angaben dazu machen sollten, wie viel Stress sie empfanden und welchen Einfluss er in den vergangenen zwölf Monaten auf ihre Gesundheit gehabt hatte.

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