Die Geschichte hat zahlreiche große Persönlichkeiten hervorgebracht, die uns durch ihre Leistung beeindrucken. Sie gelten - bewusst oder unbewusst - als Vorbilder, an denen wir uns orientieren. Sie können uns berühren und zu Höherem antreiben, auch wenn wir ihnen nie begegnet sind. Auf der anderen Seite lauern aber auch Glorifikation und Selbstverleugnung, wenn wir vergessen, wer wir selber sind. Ein Gespräch über die Bedeutung von Vorbildern mit der Psychologin Ilona Bürgel.
WirtschaftsWoche: Warum brauchen wir eigentlich Vorbilder?
Ilona Bürgel: Es gibt drei wesentliche Punkte, warum Vorbilder eine tolle Sache sind: Zum einen können sie Ideengeber sein. Wir können uns inspirieren lassen, wenn wir an einem Punkt im Leben oder der Karriere sind, an dem wir nicht so recht weiter wissen: "Bin ich im richtigen Job?", "Wie kann der nächste Karriereschritt aussehen?".
Zweitens können sie uns zeigen, dass etwas möglich ist. Denn manchmal können wir uns nicht vorstellen, wie etwas geht. Zum Beispiel, dass man ein besonders großes Projekt alleine stemmen kennen. Wenn man dann sieht, jemand hat das mal geschafft, dann wissen wir: Das geht. Das kann ich auch schaffen. Denn oft geben wir auf, weil wir uns nicht vorstellen können, dass etwas möglich ist.
Der dritte Punkt ist, dass Vorbilder auch Mutmacher sind. Wenn man zum Beispiel mal einen Hänger hat, kann man sich eine Biografie von jemandem, den man bewundert, anschauen. Die Erkenntnis, dass auch ein Vorbild vielleicht mal eine Prüfung nicht geschafft hat, oder dass auch jemand mit zwei Kindern noch einen Neuanfang machen kann, das macht einfach Mut.
Wo und wie suchen wir uns unsere Vorbilder aus?
Das kann durchaus in der Familie sein, dass man also schaut: Wie hat das etwa mein Bruder gemacht? Oder man schaut sich im Berufsleben um und fragt sich, wie haben es erfolgreiche Menschen aus meiner Branche gemacht. Eine Schwierigkeit heutzutage ist ja, dass es im Gegensatz zu früher hunderte Wege gibt, die einem offen stehen. Während man früher, verkürzt gesagt, vielleicht nur die Möglichkeit hatte, Fleischer, Schmied oder Bäcker zu werden, haben wir heute so viele Möglichkeiten. Das macht es schwerer, nicht leichter, seinen Weg zu finden. Wir haben heute aber auch viel Begleitung. Ein Mentor kann auch ein Vorbild sein. Viele Unternehmen haben Mentoring-Programme, oder es gibt Verbände, an die man sich wenden kann.
Inwiefern kann unsere Familie eine wichtige Rolle spielen?
Manche Menschen wachsen auf und haben ein Anti-Vorbild in ihren Eltern. Was man dabei vergisst ist, dass man dann oft noch viel eher so wird, wie man eigentlich nicht sein möchte. Aber wir müssen auch auf die Potentiale unserer Familien schauen. Was hatten meine Ahnen für Talente, was haben sie geschafft? Da liegt ein unheimliches Potential und auch viel Kraft in unserer Ahnengalerie. Man kann auch nach einer roten Linie suchen: Vielleicht haben sich viele früher für Musik interessiert, aber zum Beispiel nie Musik studieren können, weil Krieg war. Vielleicht kann man hier eine Linie vollenden und sich auch ganz gezielt Unterstützung aus seiner Familie holen. Ich glaube, das vergessen wir manchmal. Wir schauen schnell nach außen, nach Therapie und Coaching, aber wir haben auch ganz viel in unserer Familie, wenn wir genauer hinschauen und dann auch aktiv werden.
Begleiten uns Vorbilder ein Leben lang?
Nein, Vorbilder verändern sich. Es gibt ja verschiedene Bedürfnisse in verschiedenen Lebensaltern. Unter-20-Jährige orientieren sich noch stark an ihren Freunden. Später, im Laufe des Berufslebens, suchen wir uns eher externe Vorbilder, zum Beispiel berühmte Persönlichkeiten oder Vorbilder aus der Branche. In der Lebensmitte und darüber hinaus hat man wieder ein anderes Wertesystem. Da wird man eher schauen, wer eigentlich ein sinnvolles Leben lebt. Wenn man 13 ist, darf man sicher auch mal einen Star anbeten und verherrlichen. Aber wichtig ist eben, dass man sich nicht verrennt.