Renate Schmidt „Frauen sind zu bescheiden“

Renate Schmidt, 74. Quelle: imago images

In der Arbeitswelt läuft noch nicht alles rund für Frauen. Liegt das an männlich geprägten Chefetagen? Oder auch an den Frauen? Die frühere Familienministerin Renate Schmidt wünscht sich ein wenig mehr Forschheit.

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WirtschaftsWoche: Frau Schmidt, zum heutigen Weltfrauentag werden wieder viele Zahlen vorgelegt – unterm Strich kann man sagen, dass Frauen nach wie vor deutlich weniger verdienen als Männer. Sie waren vor drei Jahren so mutig auszusprechen, dass auch die Frauen ihren Anteil daran haben. Da erschien Ihr Buch „Männer sind keine Altersvorsorge“. Ist es unfair zu sagen, Frauen müssen selbst etwas ändern angesichts vieler struktureller Nachteile?

Renate Schmidt: Es wäre unfair, gleichzeitig die Verantwortlichkeit der Wirtschaft zu ignorieren. Es ist ein Zusammenspiel von beidem. In vielen Unternehmen werden die Talente von Frauen immer noch zu wenig erkannt, sie werden immer noch schlechter bezahlt. Das liegt nicht in der Verantwortung der Frauen. Aber auch an den Frauen liegt manches, das fängt mit der Berufswahl an. Da kann man sich natürlich fragen, ob die Gewichtung stimmt, wenn die Arbeit mit Menschen der Gesellschaft weniger wert ist als die Arbeit mit Dingen. Aber es ist eben im Moment so.

Studien zeigen allerdings, dass in Berufen, die plötzlich von vielen Frauen ergriffen werden, die Gehälter sinken. Die schlechte Entlohnung scheint die Frauen geradezu zu verfolgen.

Frauen sind zu bescheiden. Sie steigen im Vergleich zu Männern im Durchschnitt mit zehn Prozent weniger Gehalt in eine neue Stelle ein. Das liegt daran, dass sie seltener sagen: Ich bin gut in dem, was ich gelernt habe, ich bin mir bewusst, dass ich etwas wert bin und bereit, diese Gehaltsforderung durchzusetzen. Bescheidenheit ist eine Zier, weiter kommt man ohne ihr!

Womöglich haben die Frauen Angst, dass sie sich durch einen zu forschen Auftritt bei der Gehaltsverhandlung Nachteile verschaffen. Wenn sie sich ihres „Nachteils“ bewusst sind, irgendwann vielleicht Kinder zu bekommen. Sie versuchen also durch ihren günstigen Preis zu punkten.

Leider ist diese Befürchtung begründet. Und hier kommt wieder ins Spiel, dass es ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren ist. An den entscheidenden Stellen sitzen meistens Männer. Sie entscheiden nach ihren männlich geprägten Kriterien. Dann ist es sicherlich so, dass eine Frau, die zu forsch auftritt, schnell als „Mannweib“ deklariert wird, während ein Mann mit demselben Auftreten als durchsetzungsstark wahrgenommen wird. Das ist unfair gegenüber den Frauen. Aber sie müssen auch lernen, etwas mehr zu kämpfen. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Deshalb kann ich nur raten, bestimmt aufzutreten und sich des Wertes, den man selbst darstellt, bewusst zu sein.

Zur Person

Lassen sich Frauen nach der Familiengründung zu schnell auf Arrangements ein, die zu ihren Nachteil sind – also freiwillige Teilzeit und eine schlechtere Steuerklasse? Müssen sie raus aus der Komfortzone, wenn sie im Beruf etwas erreichen und mehr verdienen wollen?

In Deutschland ist nach wie vor die Aufteilung am anerkanntesten, dass der Mann Vollzeit und die Frau Teilzeit arbeitet und sich um die Kinder kümmert. Was das für die Karriere bedeutet, kann man sich vorstellen. Was es für die Rente bedeutet, ebenso: Das ist der Grundstock für die Altersarmut von Frauen, die in den nächsten Jahrzehnten zunehmen wird. Es ist aber nicht nur Bequemlichkeit. Die Arbeit zuhause ist selbstverständlich Arbeit – nur eben unbezahlt. Die Auseinandersetzung mit dem Partner, und zwar möglichst am Anfang einer Liebesbeziehung, „wer wird künftig in unserer Familie was übernehmen“, die findet im Regelfall nicht statt. Da würde man übrigens auch erkennen, ob man zusammenpasst. Eine Frau, die sagt, ich möchte Karriere machen, braucht einen Mann, der bereit ist, ihr auch mal den Rücken freizuhalten. Würde das am Anfang häufiger geklärt, gäbe es weniger Scheidungen.

"Das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen"

Diese Probleme sind längst formuliert, bekannt und bewusst. Nun formiert sich seit einigen Jahren eine konservative Gegenbewegung: Sie fürchtet, Frauen würden nur noch als Wirtschaftsfaktor gesehen, hätten Vollzeit zu arbeiten, die klassische Familie sei in Gefahr. Was entgegnen Sie denen?

Ich möchte da nicht falsch verstanden werden: Ich plädiere nicht dafür, dass Männer, Frauen und Familien sich nur an die Bedürfnisse der Wirtschaft anpassen sollten. Keine Mutter und kein Vater stellt sich vor, das Kind nach der Geburt in einer Krippe abzugeben und mit 18 Jahren mit den vorher vereinbarten Qualitätsmerkmalen aus der Ganztagsschule abzuholen. Das ist kein Familienleben. Es muss im Leben von Menschen immer Zeiten geben, in denen sie mehr Zeit in ihre Familie investieren, und andere, in denen sie mehr in ihren Beruf investieren. Das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen.

Es ist notwendig, dass Mütter und Väter sich um Kinder kümmern, und zwar nicht nur um kleine Kinder, sondern auch um größere. Ich halte es aber für absolut verkehrt, wenn eine Frau mit einer guten Ausbildung nur ein paar Jahre erwerbstätig ist und danach nur noch einen Minijob ausübt und das mit der Steuerklasse 5. Das bedeutet nämlich: wenn die Ehe scheitert, ist die Altersarmut programmiert.

Wie sollte eine junge Frau heute ihre Erwerbsbiografie planen?

Zuviel Planung schadet, das weiß ich aus meinem eigenen Lebenslauf. Man sollte am Anfang einer Beziehung fürs Leben aushandeln, wie es mit Finanzen und Verantwortlichkeiten aussieht. Die Frau sollte sich dagegen wehren, wenn der große Teil der unbezahlten Arbeit an ihr hängenbleibt und das Gros der bezahlten Arbeit beim anderen bleibt. Das sollte sich einigermaßen gleich aufteilen, ohne zu rigoros zu werden. Dann sollte sie bei Kindern nicht zu lange aussetzen. Ich halte es für völlig in Ordnung, die ersten zwei bis drei Lebensjahre mit dem Kind verbringen zu wollen. Das geht, wenn man sich das zu gleichen Teilen aufteilt, wunderbar. Es bringt dann auch keinerlei Schwierigkeiten mit sich, wenn man dann wieder in den Beruf einsteigt. Ich halte solche Auszeiten auch im weiteren Verlauf des Familienlebens für absolut angebracht. Ich hätte gerne mal weniger gearbeitet, als meine Tochter in der Pubertät war. Leider war das damals nicht möglich. Auszeiten sollten aber auch wieder beendet werden, damit man im Beruf auch wieder ein Stück vorankommen kann. Das würde ich mir als 25-Jährige vornehmen. Ansonsten schauen, was kommt, und vor allem den richtigen Mann aussuchen.

Das könnte man unter dem Punkt Paarbeziehung zusammenfassen. Was muss der Staat anpacken?

Ich halte die Rückkehr aus der Teilzeit in die Vollzeit für essenziell. Sonst heißt es: Einmal Teilzeit, immer Teilzeit. Ich wünsche mir darüber hinaus mehr Möglichkeiten von Auszeiten. Ein Vorschlag: Pro Kind könnte man einen Anspruch auf insgesamt sechs Jahre Auszeit einführen, davon maximal drei am Stück. Diese Jahre müssen nicht alle komplett durch Unterstützungszahlungen wie das Elterngeld begleitet werden. Wichtig wäre ein Anspruch auf Rückkehr. Natürlich hat die Politik nicht die Möglichkeit, in die Organisation des Familienlebens hineinzuwirken. Die Menschen müssen sich allerdings darüber im Klaren sein, dass nicht jedes Lebensmodell vom Staat subventioniert werden kann. Insoweit bedeutet die Entscheidung, aus dem Beruf für lange Zeit auszuscheiden, unter Umständen auch, keine ausreichende Rente zu bekommen.

Wie blicken Sie in die Zukunft der Frauen?

Trotz aller Rückschläge, die es immer wieder gibt, greift die Erkenntnis immer mehr um sich, dass jeder seinen Lebensunterhalt selbständig verdienen sollte. Ich glaube, dass die Politik längst erkannt hat, wie wichtig die Verbesserung der Vereinbarkeit für Familien ist. Die Männer lernen zwar etwas langsam, aber sie lernen dazu und übernehmen als Väter immer mehr Verantwortung. Ich bin eigentlich hoffnungsfroh. Aber es ist noch eine Menge zu tun, bis wir zu den skandinavischen Ländern und den Benelux-Staaten aufschließen können.

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