WirtschaftsWoche: Frau Schmidt, zum heutigen Weltfrauentag werden wieder viele Zahlen vorgelegt – unterm Strich kann man sagen, dass Frauen nach wie vor deutlich weniger verdienen als Männer. Sie waren vor drei Jahren so mutig auszusprechen, dass auch die Frauen ihren Anteil daran haben. Da erschien Ihr Buch „Männer sind keine Altersvorsorge“. Ist es unfair zu sagen, Frauen müssen selbst etwas ändern angesichts vieler struktureller Nachteile?
Renate Schmidt: Es wäre unfair, gleichzeitig die Verantwortlichkeit der Wirtschaft zu ignorieren. Es ist ein Zusammenspiel von beidem. In vielen Unternehmen werden die Talente von Frauen immer noch zu wenig erkannt, sie werden immer noch schlechter bezahlt. Das liegt nicht in der Verantwortung der Frauen. Aber auch an den Frauen liegt manches, das fängt mit der Berufswahl an. Da kann man sich natürlich fragen, ob die Gewichtung stimmt, wenn die Arbeit mit Menschen der Gesellschaft weniger wert ist als die Arbeit mit Dingen. Aber es ist eben im Moment so.
Studien zeigen allerdings, dass in Berufen, die plötzlich von vielen Frauen ergriffen werden, die Gehälter sinken. Die schlechte Entlohnung scheint die Frauen geradezu zu verfolgen.
Frauen sind zu bescheiden. Sie steigen im Vergleich zu Männern im Durchschnitt mit zehn Prozent weniger Gehalt in eine neue Stelle ein. Das liegt daran, dass sie seltener sagen: Ich bin gut in dem, was ich gelernt habe, ich bin mir bewusst, dass ich etwas wert bin und bereit, diese Gehaltsforderung durchzusetzen. Bescheidenheit ist eine Zier, weiter kommt man ohne ihr!
Womöglich haben die Frauen Angst, dass sie sich durch einen zu forschen Auftritt bei der Gehaltsverhandlung Nachteile verschaffen. Wenn sie sich ihres „Nachteils“ bewusst sind, irgendwann vielleicht Kinder zu bekommen. Sie versuchen also durch ihren günstigen Preis zu punkten.
Leider ist diese Befürchtung begründet. Und hier kommt wieder ins Spiel, dass es ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren ist. An den entscheidenden Stellen sitzen meistens Männer. Sie entscheiden nach ihren männlich geprägten Kriterien. Dann ist es sicherlich so, dass eine Frau, die zu forsch auftritt, schnell als „Mannweib“ deklariert wird, während ein Mann mit demselben Auftreten als durchsetzungsstark wahrgenommen wird. Das ist unfair gegenüber den Frauen. Aber sie müssen auch lernen, etwas mehr zu kämpfen. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Deshalb kann ich nur raten, bestimmt aufzutreten und sich des Wertes, den man selbst darstellt, bewusst zu sein.
Zur Person
Renate Schmidt war von 2002 bis 2005 im zweiten rot-grünen Kabinett von Gerhard Schröder Bundesfamilienministerin. Die 74-Jährige ging als junge Frau einen für die damalige Zeit ungewöhnlichen Weg: Nachdem sie mit 17 Jahren Mutter geworden war, sorgte sie in den 1960er Jahren für das Familieneinkommen, während ihr Ehemann studierte. Sie blieb dann berufstätig und wurde 1972 SPD-Mitglied und Betriebsrätin bei Quelle. Ab 1980 saß sie bis 1994 im Bundestag, anschließend bis 2002 im bayerischen Landtag und erneut 2002 bis 2005 im Bundestag. 2015 veröffentlichte sie das Buch „Männer sind keine Altersvorsorge“, in dem sie Frauen rät, mehr für ihre Rente zu tun und auf eigenen Füßen zu stehen.
Lassen sich Frauen nach der Familiengründung zu schnell auf Arrangements ein, die zu ihren Nachteil sind – also freiwillige Teilzeit und eine schlechtere Steuerklasse? Müssen sie raus aus der Komfortzone, wenn sie im Beruf etwas erreichen und mehr verdienen wollen?
In Deutschland ist nach wie vor die Aufteilung am anerkanntesten, dass der Mann Vollzeit und die Frau Teilzeit arbeitet und sich um die Kinder kümmert. Was das für die Karriere bedeutet, kann man sich vorstellen. Was es für die Rente bedeutet, ebenso: Das ist der Grundstock für die Altersarmut von Frauen, die in den nächsten Jahrzehnten zunehmen wird. Es ist aber nicht nur Bequemlichkeit. Die Arbeit zuhause ist selbstverständlich Arbeit – nur eben unbezahlt. Die Auseinandersetzung mit dem Partner, und zwar möglichst am Anfang einer Liebesbeziehung, „wer wird künftig in unserer Familie was übernehmen“, die findet im Regelfall nicht statt. Da würde man übrigens auch erkennen, ob man zusammenpasst. Eine Frau, die sagt, ich möchte Karriere machen, braucht einen Mann, der bereit ist, ihr auch mal den Rücken freizuhalten. Würde das am Anfang häufiger geklärt, gäbe es weniger Scheidungen.