
Machen wir ein kurzes Gedankenspiel: Ihr Unternehmen feiert Jubiläum, Mitarbeiter und Manager aus sämtlichen Niederlassungen sind vor Ort. Beim Festakt hält der Vorstandsvorsitzende eine Rede, schaut anschließend ins Publikum und entdeckt Sie. Sein Gesicht hellt sich auf und er sagt: "Ach, ich sehe, Herr/Frau Mayer ist auch hier, kommen Sie doch bitte rauf zu mir und erzählen Sie uns ..." Und das auch noch in einer Fremdsprache, weil Ihr Unternehmen international aufgestellt ist.
Fühlt sich an wie früher, "Hefte raus, Klassenarbeit", nicht wahr?
Üben, üben, üben
Dem Schweizer Rhetoriktrainer Mathias Pöhm ist genau das passiert. Urplötzlich sollte er vor versammelter Mannschaft auf französisch parlieren - es wurde ein Desaster. Danach nahm er sich vor, dass ihm so etwas nie wieder passieren würde. Das ist ihm gelungen. Heute bringt er anderen das Reden bei.
Die gute Nachricht ist: Es geht. Reden halten kann man lernen. "Allerdings passiert das nicht von heute auf Morgen, das dauert", sagt Pöhm. Es hilft nur üben, üben, üben. Er empfiehlt: "Tun Sie, wovor Sie Angst haben – immer wieder. Reden Sie auf Geburtstagen, auf Hochzeiten, bei Meetings, wann immer es geht. Nur so geht die Nervosität weg."
Die vielgepriesenen Tipps für Nervöse, sich vorzustellen, das Publikum sei nicht da oder spärlich bekleidet, könne man dagegen vergessen. "Dieser Rat 'Stellen Sie sich vor, die Zuhörer sitzen dort in Unterhosen' liest sich immer nett, aber ich habe noch keinen erlebt, bei dem das funktioniert", sagt Pöhm.
So geht es nicht: Die populärsten Irrtümer, wie eine gute Rede aussieht
"Tun Sie es nicht", warnt Rhetorik-Trainer und Buchautor Matthias Pöhm in seiner Sammlung der typischen Rhetorik-Irrtümer. "Gerhard Schröder, Obama und Konsorten stellen sich nicht selbst vor. Wer sich vorstellt, hat's nötig und macht sich dadurch klein." Er ist überzeugt: "Wenn Sie gut waren, dann machen die Leute sich schon von selbst schlau, wenn nicht... ist es gut, dass Sie's nicht erwähnt haben."
Im Fernsehen wird vorher auch nicht verraten, wer der Mörder ist. Eine Übersicht am Anfang des Vortrags langeweilt nur. Und: Martin Luther King, Cicero und Obama gaben auch keine Übersicht, worüber sie reden wollten.
Ein ganz ähnlicher Tipp ist der, am Anfang zu erklären, worüber man sprechen will, dann darüber zu sprechen und am Schluss eine Zusammenfassung zu geben. Dieses Rhetorikschema ist leider so wirkungsvoll wie eine Schlaftablette. Stellen Sie sich vor, die Ansagerin vom "Tatort" sagt am kommenden Sonntag: "Der Mörder ist diesmal der Direktor", dann kommt der Krimi und am Schluss heißt es: "Sie haben heute erlebt, wie der Kommissar den Direktor als Mörder entlarvte."
"Meine Damen und Herren, schon Goethe wusste..." Das wirkt altväterlich, ausgelutscht. Benutzen Sie statt dessen eigene Lebensweisheiten, statt die von Laotse, Buddha oder Goethe.
Dieser Tipp ist so alt wie das Fischgleichnis, das Jesus den Fischern gab. Wenn Sie kein Mediziner sind und vor Ärzten sprechen sollen, versuchen Sie es nicht mit einem Gleichnis aus der Medizin. Nehmen Sie etwas, das weit weg von der Berufswelt der Zuhörer ist.
Angeblich kann das Unterbewusstsein das Wort "nicht" nicht verarbeiten. Als Beweis wird seit Jahrzehnten der Satz "Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten" bemüht. Wenn ein Hypnotiseur einem Menschen die Anweisung "Du kannst nicht aufstehen" gibt, wird das vom Unterbewusstsein allerdings sehr wohl verarbeitet.
Lächeln erzeugt Sympathien, das ist richtig. Es ist aber kein Grund, bei einer Rede andauernd zu grinsen. Wenn der Redner auf Dauerlächeln oder allgemein starke Mimik verzichtet, erzielt er eine bessere Wirkung.
Wenn Sie einen Auftrag haben wollen oder Menschen dazu bewegen wollen, ein Projekt mir Ihnen zu realisieren, dann haben Sie eine höhere Wirkung wenn Sie von "Ich" sprechen, als von "Wir". Man vertraut einem einzelnen Menschen mehr als abstrakten Gebilden wie Firmen, Abteilungen und Teams.
Wer einfach von "Bürgern" redet, erzeugt wesentlich mehr Schubkraft als mit der gendergerechten Version "Bürgerinnen und Bürger". Das wirkt angestrengt, bemüht, verkopft - und alles das sollte eine Rede nicht sein. Pöhm ist überzeugt: "Auch die Frauen, die diese Formulierung fordern, reden beim privaten Kaffeplausch mit ihrer Freundin nicht so. Die natürliche, ungekünstelte Alltagssprache ist immer auch die Sprache der höchsten Wirkung auf das Publikum."
Viele gehen davon aus, dass sich eine Information besser festsetzt, wenn man sie nicht nur hört, sondern auch noch sieht - also liest. Und schon hat der Redner ein Argument, sich hinter Folien zu verbergen. "Wenn Sie den selben Text ohne Folienunterstützung sprechen, werden Sie eine dramatisch höhere Wirkung erleben", so Pöhm. Gleiches gelte für den Rat "Ein Bild sagt ein mehr als 1000 Worte.". Zwar glaube der ganze Planet daran, im Vortrag sei es jedoch wirkungsvoller ein Bild mit Worten zu beschreiben, als einfach ein Foto zu zeigen. Denn ohne das Foto ist die eigene Vorstellungskraft gefragt.
"Vom Whiteboard, zu Pinnwand, zu Overhead, zu PowerPoint": Oft wird gepredigt, dass ein häufiger Wechsel des Präsentationsmittels angeblich die Präsentation lebendiger macht. Tatsächlich macht es sie nur hektischer. Pöhm rät deshalb: "Bleiben Sie beim Flipchart."
Verschränkte Arme bedeuten Verschlossenheit und Ablehnung ist ein weiterer Irrtum. In Ausnahmefällen trifft es zu, aber wenn man Menschen beim Präsentieren erlebt, die es tun, dann wirkt das in der Regel überhaupt nicht "ablehnend". Gleiches gilt für die Hand in der Hosentasche, die angeblich nicht erlaubt ist. Pöhm: "Das gilt für Jeans, die Taschen haben, wo man die Hand nur von oben reinstecken kann. Das wirkt tatsächlich unvorteilhaft. Aber bei Stoffhosen, wo die Tasche eine seitliche Öffnung hat, sieht es sehr cool aus, wenn EINE Hand in der Hosentasche ist und die andere gestikuliert."
"Redner und Präsentatoren laufen bei einer U-Form Bestuhlung oft in die U-Form und bewegen sich auf einzelne Teilnehmer zu. Das soll angeblich Nähe und "Verbindung" zum Publikum erschaffen. In der Gegenüberstellung, wo der Redner auf dem "Machtpunkt" in der energetischen Mitte des Auditoriums stehen bleibt und damit viel mehr Autorität ausstrahlt, erkennt man, dass diese Regel ein Irrtum ist."
Pöhm sagt ganz klar: "Menschen lieben es, wenn man Ihnen Ratschläge gibt. Keiner fühlt sich "geschlagen"." Er empfiehlt: "Probieren Sie es aus."
Dabei muss es nicht gleich die Rede vor dem gesamten Unternehmen sein, die einen ins Schwitzen bringt. Auch Alltagssituationen sind für viele ein Graus. "Mit einem leisen Ping öffnet sich die Aufzugstür, Sie steigen ein und nicken dem Vorstandsvorsitzenden kurz zu. Es folgt beklemmendes Schweigen und der Blick geht gen Boden oder bleibt an der Stockwerksanzeige hängen", beschreibt Thomas Skipwith eine Szene, wie sie sich täglich in zig Unternehmen ereignet.
Tauscht man Vorstandsvorsitzender gegen Mitarbeiter, passiert es jedem, der irgendwo arbeitet, wo es einen Fahrstuhl gibt. Und das mehrmals täglich.





Jeder frage sich: "Soll ich schweigen oder einen Smalltalk beginnen?", so Skipwith. Wie Pöhm hat auch er reden zu seinem Beruf gemacht.
Über die Experten
Matthias Pöhm ist eigentlich Ingenieur. Heute arbeitet er als freiberuflicher Rhetoriktrainer und Schriftsteller. Er ist unter anderem Autor der Bücher "Präsentieren Sie noch oder faszinieren Sie schon?" und "Schlagfertigkeit in Preis- und Honorarverhandlung".
Thomas Skipwith hat vier Mal Gold bei den Rhetorik-Europameisterschaften gewonnen. Sein Wissen gibt er weiter an unterstützt seine Kunden aus allen Branchen und Führungsebenen mit Keynotes, Trainings, Coachings, Büchern und Videos zum Thema Rhetorik. Sein Motto beim Reden: "Du darfst nicht langweilen!"
Seiner Erfahrung nach starrt sich die Mehrheit der Liftfahrer lieber auf die Schuhspitzen, anstatt ein Gespräch zu beginnen. "Grundsätzlich fürchtet ein jeder von uns, abgelehnt zu werden oder sich lächerlich zu machen. Man könnte ja unbewusst etwas Falsches sagen oder der Vorstandsvorsitzende könnte denken: 'Was ist das für eine blöde Frage?'."