Wenn sie daran denkt, was sie früher einmal glaubte, muss sie schmunzeln. Aber Hanne Diertl war überzeugt davon, dass Erfolg vor allem auf Kompetenz basiert; dass es darauf ankommt, was man kann – und nicht darauf, wen man kennt. „Zu Beginn meiner Karriere“, sagt sie heute, „war ich eine schlechte Netzwerkerin.“
Nach dem BWL-Studium stieg sie 1999 beim damaligen Telekommunikationskonzern Viag Interkom ein, gut ein Jahr später wechselte sie zur British Telecom nach München. Und begriff dort schon bald, wie entscheidend die richtigen Kontakte für ihre Karriere sein würden. Anders als in Deutschland ist es in Großbritannien üblich, nach Dienstschluss mit Kollegen etwas trinken zu gehen. Dabei wird auch über Privates gesprochen, über Hobbys und Urlaube. „Gemeinsamkeiten verbinden“, sagt Diertl, und das Verbindliche „hilft gerade dann, wenn neue Stellen zu besetzen sind“.
Heute ist die 43-Jährige Bereichsleiterin des Automobilzulieferers TecAlliance in Ismaning. Ihrer Kompetenz wegen, sicher. Aber auch wegen ihrer Fähigkeit, ein deutlich wahrgenommener Teil des Kollegenkreises zu sein – und sich in männerdominierten Runden auch mal vorzudrängeln. „Gute Netzwerker warten nicht darauf, dass man sie anspricht“, sagt sie, und: „Ich bin schon immer gerne auf andere Leute zugegangen.“ Ohne Kontaktfreude und Geselligkeit wäre ihre Karriere anders verlaufen. Vermutlich weniger erfolgreich.
Keine Frage: Wie viele und welche Menschen wir kennen, das beeinflusst unseren Wert und Erfolg als Käufer, Kunde und Kollege. Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat dazu kürzlich Ergebnisse einer Umfrage vorgelegt. Im vierten Quartal 2016 kontaktierten die Wissenschaftler knapp 12.000 deutsche Unternehmen aus allen Wirtschaftsbereichen und erfuhren: Jede dritte Stelle wird über persönliche Kontakte vergeben.
Noch immer tun sich viele Frauen schwer damit, Netzwerke zur Beförderung ihres beruflichen Erfolgs zu knüpfen. Da ticken „Männer ganz anders“, schreiben die beiden Karrierecoaches Christine Weiner und Carola Kupfer in „Das Pippilotta-Projekt“. Männer nutzten und mehrten ihre Kontakte ständig, um relevante Informationen einzuholen. Außerdem verstünden sie das Netzwerken ohne Scham als wesentliche Voraussetzung einer Karriere. Frauen hingegen neigten weiterhin zu „Zurückhaltung und Bescheidenheit“. Ehrenwerte Eigenschaften, die aber in der Arbeitswelt von heute eher von Nachteil sind.
Auch eine Untersuchung von QX-Quarterly Crossing, einem Netzwerk mit rund 2000 Führungskräften, in Zusammenarbeit mit der TU München vor einigen Jahren kommt zu dem Schluss: Männer gehen beim Netzwerken strategischer vor. Manche nehmen sich viel Zeit für analoge Treffen. Andere geben sich Mühe bei der digitalen Kontaktaufnahme und -pflege. Hinzu komme, dass Frauen mehr Hemmungen hätten, ihr Netzwerk beruflich um einen Gefallen zu bitten. Die amerikanische Managementforscherin Kathryn Heath wiederum hat kürzlich 134 Führungskräfte in US-Konzernen befragt. Während Männer sich gerne mit Kollegen gegen andere verbündeten, so ihre Bilanz, lehnten 68 Prozent der Frauen strategische Allianzen generell ab.
Marion Büttgen, Professorin am Lehrstuhl für Unternehmensführung der Universität Hohenheim, appelliert seit Jahren an ihre Studentinnen, sich sichtbar zu machen – und jede Gelegenheit zu ergreifen, um beispielsweise auf Fachkonferenzen Vorträge und Präsentationen zu halten. Nur gut sein, das genüge nicht: „Sie dürfen nicht erwarten, dass man Sie eines Tages schon entdecken wird“, sagt Büttgen, „sondern müssen dafür sorgen, von potenziellen Multiplikatoren wahrgenommen zu werden.“

Das Selbstmarketing fällt vielen Frauen immer noch schwer. Daran haben auch branchenübergreifende Frauennetzwerke wie European Women’s Management Development und Business and Professional Women Germany nichts geändert. Es ist eben nicht damit getan, auf Veranstaltungen Visitenkarten zu verteilen und darauf zu setzen, dass Aufträge und Jobangebote dann schon von alleine folgen.
Daniela Seeliger, Partnerin in der Kanzlei Linklaters und Professorin für Kartellrecht, drückt es so aus: „Frauen versäumen, auf die Gefälligkeitsbank einzuzahlen.“ Sie tauschten zu wenig Informationen aus, stimmten sich kaum über gemeinsame Ziele ab und verschafften sich gegenseitig keine Projekte. „Für Männer sind solche kleinen Gesten selbstverständlich“, sagt Seeliger, die nicht nur als Mentorin im internen Frauennetzwerk der Kanzlei, sondern auch bei einem Mentorenprogramm der Universität Osnabrück engagiert ist.