Sexismus-Debatte Der schmale Grat zwischen Flirt und Belästigung

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Anonyme Hotlines

Etwa, wenn die Geschäftsführung einen Vorgesetzten abmahnt und versetzt, weil dieser die Brust einer Auszubildenden berührt haben soll. Ist die Versetzung rechtens? Bestanden ist der Test nur bei einem klaren Ja. Zeigt sich ein Mitarbeiter unsensibel und fällt durch den Test, muss er ihn so oft wiederholen, bis er ihn besteht.

Einige bieten anonyme Hotlines, bei denen sich die Betroffenen melden können. Kaum ein Unternehmen nimmt das so ernst wie BMW. Die entsprechende Durchwahl steht den Mitarbeitern in 47 Ländern 24 Stunden lang an 365 Tagen im Jahr zur Verfügung. Die Meldung kann in 34 Sprachen telefonisch oder online als Texteingabe erfolgen.

Code of Conduct

Adidas sieht keinen Grund für „einen detaillierten Regelkatalog für den Umgang zwischen Mann und Frau“. Denn „respektvollen Umgang kann man nicht durch starre Regeln erreichen, vielmehr müssen Mitarbeiter ständig dafür sensibilisiert werden“. Deshalb gibt es bei Adidas, wie bei den meisten anderen großen Konzernen auch, einen sogenannten Code of Conduct, in dem jeder Mitarbeiter zum respektvollen Miteinander und zur Toleranz gegenüber Minderheiten aufgefordert wird. Im Intranet können sich Mitarbeiter über sexuelle Belästigung informieren. Kommt es zu einem solchen Zwischenfall, stehen den Betroffenen interne Ansprechpartner zur Verfügung – etwa ein Manager aus der Personalabteilung oder der Betriebsrat. Wer anonym bleiben möchte, kann eine Krisen-Hotline anrufen.

Letztendlich landen alle Fälle sexueller Belästigung auf dem Schreibtisch des Adidas-Personalchefs. „Meistens reicht dann ein ernstes Gespräch, um dem Mitarbeiter klarzumachen, dass seine Bemerkungen für andere verletzend sind. Bei schweren Fällen kann es auch zu Abmahnungen oder Entlassungen kommen.“

Anzügliche Bemerkungen

Für eine fristlose Kündigung reichen schon sexuell anzügliche Bemerkungen. Das musste im Jahr 2011 etwa ein 61-jähriger Angestellter eines Möbeleinzelhändlers mit mehreren Hundert Angestellten feststellen. Alles begann vier Jahre zuvor. Da erteilte der Mann einer Kollegin einen Klaps auf den Po. Von seiner Chefin erhielt er eine Abmahnung, gewissermaßen die erste gelbe Karte. Im Juni 2008 machte er gegenüber einer 26-jährigen Kollegin „bei vier Gelegenheiten Bemerkungen sexuellen Inhalts“.

Darunter: „Warum hast du denn keinen Minirock an, wenn du auf die Leiter steigst? Dies hätte ich von dir doch erwartet.“ Etwas später meinte er dann, nachdem sie sich einen Alu-Zollstock ausgeliehen hatte: „Der ist so hart und dick wie meiner.“ Dann erkundigte er sich beim gemeinsamen Essen, ob sie noch nie Sex beim Essen gehabt hätte und fügte hinzu: „Du kannst auch Sex von mir haben.“

Anzügliche Sprüche, gierige Blicke – die Grenze zur sexuellen Belästigung ist schnell erreicht. Wir zeigen, wie Frauen auf Übergriffe reagieren können.

Fristlose Kündigung

Eine Woche später erhielt er die fristlose Kündigung. Zwar verteidigte er sich, er habe die Mitarbeiterin nicht sexuell belästigt, sondern lediglich „geneckt“. Doch das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung im Juni 2011. Die fristlose Kündigung blieb bestehen – nach mehr als 30 Jahren Betriebszugehörigkeit.

Vor allem in den USA können Fälle sexueller Belästigung teuer werden: 1994 sprach ein Richter einer ehemaligen Angestellten der Rechtsanwaltskanzlei Baker & McKenzie umgerechnet etwa knapp drei Millionen Euro zu. Sie hatte ihrem Chef vorgeworfen, ihre Brüste und ihre Hüfte betatscht zu haben.

1998 zahlte Mitsubishi 34 Millionen Dollar an Hunderte weibliche Angestellte, die sich in einer Fabrik im Bundesstaat US-Illinois sexuell belästigt gefühlt hatten.

Klaps auf den Po

Der Schweizer Pharmakonzern Novartis musste vor einigen Jahren 253 Millionen Dollar wegen der Diskriminierung von Frauen zahlen. Gegen die US-Tochter des deutschen Pharmariesen Bayer läuft noch ein Verfahren wegen Diskriminierung von Frauen. Im Frühjahr 2011 hatten sechs Mitarbeiterinnen eine Sammelklage in Millionenhöhe wegen Diskriminierung gegen Bayer USA eingereicht. Der deutsche Konzern benachteilige Frauen systematisch, bezahle Männer besser und bevorzuge sie bei Beförderungen, lautet der Vorwurf.

Doch das ist noch gar nichts gegen die Summe, die die amerikanische Assistenzärztin Ani Chopourian im Februar 2012 zugesprochen bekam. Während ihrer Arbeit auf der Herzchirurgie begrüßte sie ein Kollege morgens immer mit der Bemerkung „Ich bin spitz“ und gab ihr einen Klaps auf den Po. Außerdem erzählte er, dass er mit seiner Ehefrau kaum noch Sex habe, das aber gerne mal mit Kolleginnen nachholen würde. Ein anderer gestand ihr sein Faible für Prostituierte. Der Richter sprach ihr die Rekordsumme von umgerechnet 124 Millionen Euro zu.

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