Sexismus-Debatte Der schmale Grat zwischen Flirt und Belästigung

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Nacktfotos im Büro

Es ist eines der brenzligsten Themen in jedem Betrieb und auch im Arbeitsrecht: Sexuelle Belästigung. Was das juristisch bedeutet und wie Unternehmen damit umgehen.
von Claudia Tödtmann

Zugegeben, solche Summen sind im deutschen Rechtsstaat illusorisch. Dabei ist auch hierzulande das tägliche Miteinander zwischen Männlein und Weiblein am Arbeitsplatz zumindest formaljuristisch längst geregelt: Seit dem 1. September 1994 gab es das Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Dieses wurde im August 2006 vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG abgelöst, das auch Antidiskriminierungsgesetz genannt wird.

Das AGG definiert sexuelle Belästigung als „unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen“, die die Würde der betreffenden Person verletzen – „insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird“.

Dazu gehören obszöne Witze ebenso wie sexuelle Anspielungen; ungewollte Berührungen, aber auch Nacktfotos im Büro.

Kündigungen von verzweifelten Frauen

Das Gesetz ist bereits sieben Jahre alt – doch erst seit der vergangenen Woche stehen die Telefone bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes nicht mehr still. Dort können sich Betroffene melden, die sexuell belästigt werden – offenbar meist am Arbeitsplatz, durch Vorgesetzte und Kollegen. Eine Frau berichtete etwa, sie habe ihren Vorgesetzten nicht mehr ertragen können und schließlich gekündigt. Der Chef hatte sie jahrelang schikaniert und ihr unter anderem empfohlen, „lieber mal wieder zu bumsen, als ständig RTL zu schauen“.

Solche Kündigungen von verzweifelten Frauen kommen häufiger vor. Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, kennt aber auch den umgekehrten Fall. Eine Monteurin hatte sich gegen die Anzüglichkeiten ihres Chefs gewehrt. Sie verlor nach der Probezeit ihren Job. Begründung: Sie sei eine „Spaßbremse“.

Der Aufzug

Lüders rät in solchen Fällen, sich mit Kolleginnen auszutauschen. Ihre Erfahrung: Auffällige Kollegen versuchen es meist bei mehreren Frauen. Ihr Tipp: Gedächtnisprotokolle solcher Vorfälle könnten später vor Gericht hilfreich sein. In jedem Fall sollten die Frauen sich an ihren Arbeitgeber wenden.

Dass Männer deshalb in deutschen Unternehmen künftig nicht mehr mit Frauen Aufzug fahren können, wie es zum Teil in den USA bereits Usus ist, glaubt Michael Kastner zwar nicht. Dennoch rät der Geschäftsführer des Instituts für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin in Herdecke auch Männern zu erhöhter Aufmerksamkeit in problematischen Situationen. „Komme ich in den Aufzug und da steht eine ältere Dame, kann ich ohne Probleme einsteigen. Ist die Dame jung und herausgeputzt, sollte ich vielleicht den nächsten Fahrstuhl nehmen“, sagt Kastner.

Missverständnissen vorbeugen

Ein anderer Professor hat solche Erfahrungen bereits gemacht – mit einer Studentin, die in dessen Sprechstunde kam, stark parfümiert, mit einem Ausschnitt bis zum Bauchnabel. Als sie die Tür schloss, den Professor duzte und ihn für seine gelungene Vorlesung lobte, schrillten dessen Alarmglocken. Sofort öffnete er die Tür und bat sie zu gehen.

Um solchen Missverständnissen vorzubeugen, empfiehlt Kastner künftig nach dem Prinzip zu kommunizieren „Ich darf, was du darfst“. Umso mehr, wenn ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den beiden Personen besteht. Ein Chef müsse noch viel sensibler sein als ein normaler Kollege, denn die Mitarbeiterin hat vielleicht eher Probleme damit, den eigenen Vorgesetzten in die Schranken zu weisen.

Entschärfung

Der anhaltende Erfolg junger Frauen im Beruf und ihr damit verbundener Aufstieg in die Chefetagen könnte die Problematik der sexuellen Belästigung ohnehin entschärfen. „Frauen werden dann eher als Autorität wahrgenommen, die man nicht einfach von der Seite anmachen kann“, sagt Antidiskriminierungsexpertin Lüders.

Nicht nur das: „Die neue Generation von Führungskräften ist anders sozialisiert worden“, ergänzt Managementtrainerin Bergmann. „Viele Männer haben inzwischen ein moderneres Frauenbild als frühere Generationen. Und auch die Frauen gehen wesentlich selbstbewusster mit Männer um.“

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