Sidepreneurship Die Selbstständigkeit nebenbei ist perfekt zum Ausprobieren

Herzensprojekte können in einer Selbstständigkeit neben dem eigenen Beruf umgesetzt werden. Auch wenn das Zeitaufwendig sein kann, hat es einige Vorteile und bietet Freiheit. Quelle: dpa

Der Weg in die Selbstständigkeit ist kein Entweder-oder-Szenario. Viele Freelancer starten in der Festanstellung einen Testlauf. Selbstständig in der Freizeit? So kann es funktionieren.

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Selbstständigkeit gilt oft als lebensverändernder Karriereschritt. Es geht aber auch ganz undramatisch und weitgehend risikofrei – mit selbstständiger Arbeit neben der Festanstellung. Da gründet ein Fluglotse vielleicht eine Reiseplattform. Oder eine PR-Expertin hilft jungen Menschen mit Migrationshintergrund beim beruflichen Netzwerken. Dieses doppelgleisige Arbeitsmodell ist längst zum Massenphänomen geworden. „Laut KfW-Gründungsmonitor haben sich in den letzten Jahren circa 300.000 bis 400.000 Menschen jährlich für die Nebenerwerbsgründung entschieden. Dem gegenüber stehen circa 200.000 bis 250.000 Vollerwerbsgründungen“, berichtet Peter-Georg Lutsch, Co-Gründer und Geschäftsführer von „Sidepreneur.de“, einer Plattform für nebenberuflich Selbstständige.

Die Chancen liegen für ihn auf der Hand: „Gerade, weil wir Deutschen weniger risikoaffin sind, ist das nebenberufliche Unternehmertum eine echte Chance, mehr Menschen zum Gründen zu bewegen und aus der reinen Überlegungsphase herauszuholen.“ Lutsch selbst hat früh die Selbstständigkeit als Nebenjob für sich entdeckt. „Das erste Mal habe ich mit 18 Jahren parallel zur Schule eine Eventagentur gegründet“, erzählt er. Vor knapp drei Jahren haben er und Juliane Benad „Sidepreneur.de“ gegründet. 2019 wurde Lutsch vom sozialen Netzwerk Xing als einer von drei „New Workern“ des Jahres ausgezeichnet.

Für Lutsch fallen „Sidepreneurs“ vor allem in drei Kategorien:

  1. Beschäftigte, die ein Herzensprojekt umsetzen oder ein soziales Start-up gründen und deshalb auf ihr Einkommen im Angestelltenverhältnis angewiesen sind.
  2. Menschen auf der Suche nach einem zweiten finanziellen Standbein, um sich vor dem Risiko des Jobverlustes abzusichern oder mehr Unabhängigkeit vom Arbeitgeber zu erzielen.
  3. Vollzeitunternehmer in spe, die ihre Geschäftsidee erst noch am Markt testen wollen.

Punkt drei ist auch für Nadine Luck, Sprecherin des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD), einer der großen Vorteile der nebenberuflichen Selbstständigkeit. „Bevor jemand die Festanstellung kündigt oder all sein Geld ins Unternehmen steckt, sichert man sich durch einen Praxistest ab. Man findet mit überschaubarem Zeitaufwand heraus, ob genug Kunden an der Geschäftsidee interessiert sind und ob sich das Unternehmen tragen wird“, erklärt die Co-Autorin des Buches „Selbstständig in Teilzeit“.

Mehrfachbelastung als Sidepreneur

Lutsch arbeitete anfangs in Vollzeit in einem Corporate-Start-up eines großen deutschen Medienhauses, wo er noch bis November für das Digitale Marketing verantwortlich ist. Anfang 2018 reduzierte er die Stelle auf eine vier-Tage-Woche und widmete dem Nebenprojekt wöchentlich rund 15 Stunden. Das macht deutlich, wie sehr mit einem Nebenjob die Arbeitsbelastung steigt. „Es ist natürlich schon so, dass man auch Opfer bringt, wenn man diesen Weg geht“, berichtet auch Stephan Rathgeber in einem Interview auf „Sidepreneur.de“. Er arbeitet in Vollzeit als Head of Digital beim Personaldienstleister Hays, sitzt im Beirat des digitalen Start-ups Candylabs und baut derzeit eine Weiterbildung für neurosystemisches Coaching auf.

Für den Familienvater geht die Rechnung aber auf, denn der Zeitaufwand bringt ihm größere Freiheit, auch wenn das zunächst paradox klingen mag. „Vom Müssen bin ich befreit in meinem Sidepreneur-Business. Da kann ich alles ausleben, was mich so bewegt, an Kreativität und an Unterschiedlichkeit“, sagte er. Rathgeber ist sich der körperlichen und auch emotionalen Risiken dieser beruflichen Mehrfachbelastung bewusst. „Für mich ist aber der Return höher als der Aufwand. Solange das so ist, und mit Return meine ich nicht das Finanzielle, ist das auch der richtige Weg.“

Die Trennung von Beruf und Freizeit ist auch aus Sicht von Luck eine der größten Herausforderungen. „Teilzeitselbstständige arbeiten oft im Homeoffice. Das erfordert viel Disziplin“, warnt sie und rät wie Lutsch dazu, bei Familie und Freunden um Rücksicht für die erhöhte Arbeitsbelastung zu werben. Eine weitere Herausforderung? „Die Selbstständigkeit nur auf einen Teil der Berufszeit zu beschränken, denn oft drängt es Selbstständige, 'selbst' und 'ständig' zu arbeiten, meint sie.

Wie sag ich's dem Chef?

Eine Grenze darf nach Ansicht beider Experten aber niemals überschritten werden. „Man sollte unbedingt klar zwischen Angestelltenverhältnis und nebenberuflicher Selbstständigkeit trennen“, mahnt Lutsch. „Die Zeit bei meinem Arbeitgeber gehört zu hundert Prozent auch ihm. Hier darf keinesfalls Arbeitskraft abgezogen werden.“ Sein Rat: „Bei der Aufnahme einer nebenberuflichen Selbstständigkeit das Gespräch mit dem eigenen Vorgesetzten zu suchen und sich gegebenenfalls auch die Kenntnisnahme mit Umfang bestätigen zu lassen.“ Auf diese Weise komme es später nicht zu unliebsamen Überraschungen.

„Ich kann erst einmal nachvollziehen, dass jemand vor diesem Gespräch Respekt hat. Das hatte ich auch“, erinnerte sich Rathgeber auf „Sidepreneur.de“ an den „Offenbarungseid“ beim Chef. Denn da schwinge immer die Befürchtung mit „Oh, da ist jemand auf dem Absprung“. Letztlich profitiere aber auch der Arbeitgeber von der Nebentätigkeit. Denn der Angestellte bringe eine „menschliche Gesamtzufriedenheit“ mit zurück in den Betrieb nebst den im Nebenjob erlernten Fähigkeiten. Ein Tabu für alle drei Experten ist es hingegen, wenn der Selbstständige seinem Arbeitgeber direkt Konkurrenz macht.

Ein Abenteuer für Mutige und gut Organisierte

Der bürokratische Aufwand kann bei der Selbstständigkeit in der Freizeit allerdings insbesondere am Anfang überproportional hoch sein. Vor allem dürfte es aber die Angst vor dem Scheitern und eine hierzulande noch wenig ausgeprägte Gründer- und Machermentalität sein, die viele Interessenten davon abhält, das Hobby oder die Leidenschaft zum (Neben-)Job zu machen. Dabei muss der erste Schritt gar nicht immer großartig durchgeplant sein, raten die Experten.

„Ein Plan ist natürlich nie verkehrt“, findet Luck, sagt aber auch „Ja, unbedingt!“ zu einem einfach-mal-machen-Ansatz. Gerade das geringe, beziehungsweise kalkulierbare Risiko sei schließlich der große Vorteil dieses Gründermodells. Ist der Anfang geschafft, könne es flexibel weitergehen: „Vielleicht kann der Teilzeit-Unternehmer bei seiner Festanstellung in Teilzeit gehen und an ein, zwei Tagen pro Woche testweise sein neues Business aufbauen. Wenn das gut anläuft, kann er irgendwann voll darauf setzen – oder es im anderen Fall eben wieder bleiben lassen.“

Lutsch rät bei aller gegebenen Vorsicht ebenfalls meist zu einem beherzten Ruck, um nicht ewig in der Planungsphase festzustecken. „Erst durch die Umsetzung nimmt eine Unternehmung Gestalt an“, findet er. Grundsätzlich sollten jedoch die folgenden Fragen beantwortet werden:

  • Wer ist mein Kunde?
  • Welche Probleme hat er?
  • Was muss mein Produkt/Dienstleistung können, um für den Kunden einen echten Mehrwert zu stiften?
  • Welche Partner brauche ich dafür?
  • Wieviel soll mein Produkt kosten?

Wer also sollte den Sprung in die Nebenselbstständigkeit wagen? „Wer wirklich selbst etwas bewegen will, auch in stressigen Phasen einen kühlen Kopf behält und Probleme als Herausforderungen sieht, der kann in einer unternehmerischen Rollen aufgehen“, meint „Sidepreneur.de“-Geschäftsführer Lutsch. „Vielleicht geht es auch um einen Nebenberuf, der nicht für den Hauptberuf reichen würde, etwa wenn man als freiberuflicher Journalist ab und an Termine für die Lokalzeitung wahrnehmen will“, ergänzt VGSD-Sprecherin Luck. „Dann schnuppert man ab und an in die Medienwelt hinein, während der tatsächliche Brotberuf ein anderer ist.“ Und für wen ist die Doppelbelastung eher doch nichts? Lutsch meint: „Wer sehr auf seine Freizeit, einen 9-to-5-Job bedacht ist und sich schlecht selbst organisieren kann, wird wohl eher mit dem Sidepreneur-Dasein nicht glücklich werden.“

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