Die Vorstellung, dass Menschen allein aufgrund ihrer Kompetenz Karriere machen, ist ebenso verlockend wie naiv. Der Gründer braucht die Aufmerksamkeit der Investoren, um Geld zu bekommen; der Angestellte die seiner Chefs, um befördert zu werden. Und wer seinen eigenen Betrieb hat, sucht eben Kunden.
Bloß: Wie schafft man das? Zumal in einer Welt, in der es ständig blinkt, piept und klingelt? Darüber denkt Ben Parr schon lange nach. Der Amerikaner war Technik-Journalist, heute investiert er mit seinem DominateFund in Start-ups. Er beschäftigt sich also täglich damit, wessen Ideen funktionieren.
Die großen Karriere-Irrtümer
Viele ambitionierte Menschen verlassen sich auf logisch erscheinende Theorien, die nur auf Erfahrungen Einzelner basieren. Natürlich gibt es auch nützliches Erfahrungswissen, aber ohne psychologische Reflexion und systematische Aufbereitung bleibt es Einzelwissen.
Beim Mentoren-Prinzip fördern erfolgreiche Top-Manager ihre jüngeren, unerfahrenen Kollegen. Der Mentor will dem Mentee nach bestem Wissen und Gewissen sagen, „wo es lang geht“. Ist der Mentor gut, schrumpft das Wissensgefälle nach kurzer Zeit – und damit auch die Wichtigkeit des Mentors. Dieser wird dann oft wütend und eifersüchtig und ist versucht, die Karriere seines Schützlings zu hemmen.
Es ist eine verbreitete, aber falsche Annahme, dass Chefs offene und konstruktive Kritik benötigen, um besser zu werden. Denn diese wirkt sich oft desaströs auf die Karriere des Kritisierenden aus. Zumindest unbewusst will sich kein Chef Kritik anhören, schon gar nicht in seiner Position.
Es ist die Haltung des Gebens, die zum Erfolg und damit zur Karriere führt. Auch als unerfahrener Mitarbeiter kann man seinem Mentor etwas „geben“. Anstatt eine Beziehung zu seinem Mentor anzustreben, in der man nur selbst profitieren will, macht man seinem Vorbild Komplimente, zeigt seine Bewunderung und bittet um Rat und Hilfe.
Man muss nicht unbedingt mehr im Unternehmen arbeiten, wenn man höherwertige Positionen im Unternehmen erreicht. Top-Manager müssen vor allem die Verbindung zwischen der eigenen beruflichen und privaten Person intensivieren und als Persönlichkeit auf das Unternehmen wirken und dieses repräsentieren.
Karrieren hängen nicht von einzelnen Situationen ab, sondern entwickeln sich über einen langen Zeitraum. Bei Entscheidungen unter Zeitdruck ist es unerlässlich, innezuhalten. Je länger sie pausieren, ohne nachzudenken, umso unwahrscheinlicher ist eine Fehlentscheidung.
Talent ist zu vernachlässigen, wenn alle anderen Dimensionen für eine Karriere – wie das Streben nach höchstem Können und eine stabile Psyche – stimmen.
Die individuelle Karriere folgt keiner Normalverteilung. Für sie gibt es keine berechenbare Wahrscheinlichkeit. Die realen Einflussgrößen sind Widerstände und Krisen, die zu bestehen sind und an denen man wachsen kann.
Wer das System Karriere nicht durchschaut, hält die Erfolge seiner Karriere für Zufall. Es ist jedoch nicht Glück, sondern der autonomer Wille der Ambition – also harte Arbeit unter der Regie seiner Ziele.
„Ohne Geld kann man nicht überleben“, sagt der Autor, „aber ohne Aufmerksamkeit macht man keine Geschäfte.“ In „Captivology“, was so viel heißen soll wie „Die Wissenschaft, Aufmerksamkeit zu erregen“, analysiert Parr verschiedene Studien von Psychologen, ausführliche Interviews mit Unternehmern und seine eigenen Erfahrungen. Daraus destilliert er folgende Schritte, mit denen es jeder schaffen soll, auf sich aufmerksam zu machen – ohne zu nerven.
Der richtige Rahmen
„Es ist wichtig, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen“, rät Parr. Der richtige Rahmen kann den Boden bereiten für alle weiteren Schritte in Richtung Aufmerksamkeit, der falsche Rahmen kann alle weiteren Bemühungen überflüssig machen. Das erlebte der amerikanische Kosmetikkonzern Revlon, der ein Parfüm auf den brasilianischen Markt bringen wollte, es roch nach Kamelien. Den Duft dieser Blume assoziieren viele Lateinamerikaner mit dem Tod, Kamelien sind dort Beerdingungsblumen.
Tief verwurzelte Traditionen anderer Kulturen lassen sich nur schwer verändern, andere Überzeugungen schon: Parr rät dazu, nur oft genug seine eigene Version zu wiederholen – ohne den anderen damit zu nerven. Darin seien vor allem Politiker große Meister.
Überraschen
Die Outdoor-Marke Patagonia warb 2011 mit ganzseitigen Zeitungsanzeigen: Kaufen Sie diese Jacke nicht! Die Strategie ging auf, wenn auch nicht so, wie in der Anzeige suggeriert: Die Umsatzzahlen stiegen, die Jacke fand viele Käufer. „Wenn eine Werbung überrascht oder gegen Erwartungen verstößt, wird man auf sie aufmerksam“, sagt Christian Rätsch, Deutschland-Chef der Werbeagentur Saatchi & Saatchi. Er macht sich diesen Überraschungsmoment regelmäßig zunutze – zum Beispiel mit der Kampagne für den Mittelständler Vorwerk: Darin verliebt sich ein Roboter in den neuen Saugroboter, läuft ihm nach, himmelt ihn an.
Sechs Tipps für Jobsucher
Nicht nach Jobs im "kaufmännischen Bereich" suchen, sondern die exakten Berufsbezeichnungen benutzen, zum Beispiel Industriekaufmann oder Controller.
Der Controller kann auch unter Finanzbuchhalter laufen, der Key-Account-Manager heißt mitunter Großkundenbetreuer.
Auf den meisten Portalen können Jobsucher kostenlose Profile mit ihrem Lebenslauf anlegen. Das ist zwar mühsam und erfordert regelmäßige Aktualisierungen – doch dadurch landen sie in einem Bewerberpool, auf den die Unternehmen zugreifen.
Suchkriterien lassen sich speichern, so bekommen Jobsuchende passende Jobangebote auf ihr Smartphone geschickt. Laut Crosspro-Umfrage machen das derzeit allerdings nur 0,6 Prozent aller Bewerber.
Laut Crosspro-Studie sind kurz vor Ende der Woche die wenigsten Arbeitnehmer in den Jobbörsen unterwegs.
Neben den spezialisierten Jobbörsen sollten Bewerber auch bei den Branchenführern nachgucken – sowie regelmäßig auf den Seiten der Unternehmen. Denn dort veröffentlichen sie viele Stellen zuerst.
Wer immer nur das tut, was von ihm erwartet wird, macht nicht auf sich aufmerksam. Besser ist es, Erwartungen bisweilen zu brechen. Heißt konkret: Das Projekt beim nächsten Mal vor dem Abgabetag fertigstellen, den Kollegen nicht zum Mittagessen, sondern zum Spaziergang danach einladen. Oder sich Zeit für ein Telefonat nehmen, statt die nächste kurze E-Mail zu schreiben.
Belohnen
Auf Computern und Smartphones wartet ein weiterer Grund, der laut Parr immer Aufmerksamkeit bedeutet: die Belohnung. Deshalb gucken wir im Schnitt 110 Mal am Tag aufs Handy. Wir wollen herausfinden, ob uns jemand geschrieben hat, wir einen Kommentar verpasst haben oder die Nachrichtenseite eine neue Eilmeldung verschickt hat. Wenn ja, schüttet unser Gehirn Glückshormone aus. Besonders viele, wenn der Überraschungseffekt dazukommt.
Wie bei der Lauf-App von Kiip, einer Online-Plattform für mobile Belohnungen. Sie verlost etwa Jogging-Outfits oder Fitnessgetränke, wenn man seine persönliche Bestleistung schlägt. Wichtig sei, so Parr, dass sie diese Belohnungen aber nicht für einen bestimmten Erfolg ankündige, sodass man ihr hinterherlaufe wie ein Esel der Karotte. Ähnlich verhält es sich mit Boni, Gehaltserhöhungen, einem größeren Büro: alles schön und gut. Aber Belohnungen, die man kommen sieht, motivieren nur kurzfristig.
Der gute Ruf des Experten
Hören wir Experten zu, schalten wir unser Gehirn ab. Zu diesem überraschenden Schluss kam Greg Berns von der Emory-Universität, nachdem er Studenten gefragt hatte, ob sie lieber Geld direkt bekommen würden oder würfeln, um ihre Gewinnchancen zu steigern. Die eine Hälfte entschied darüber alleine, der anderen stellte er einen Ökonomen als Berater zur Seite. Unabhängig davon, wie gut die Chancen auf einen höheren Gewinn standen, der Experte riet seiner Gruppe immer davon ab, zu würfeln. Trotzdem folgten sie seinem Rat. Und Professor Berns konnte fast keine Aktivität in den Arealen des Gehirns mehr feststellen, die bei schwierigen Entscheidungen normalerweise gut durchblutet werden.
Wollen wir Aufmerksamkeit von denen, die uns noch nicht kennen, ist es ratsam, sie entweder mit dem eigenen guten Ruf zu beeindrucken oder andere Experten zu zitieren – also deren Kompetenz für sich zu nutzen.
Geheimnisse haben
Die russische Psychologin Bljuma Seigarnik beschäftigte sich Anfang des vergangenen Jahrhunderts mit der Faszination von Geheimnissen. Sie fand heraus, dass wir uns an unvollendete Aufgaben besser erinnern als an jene, die wir erfolgreich abgeschlossen haben. Deshalb beschreibt der Seigarnik-Effekt unsere Fähigkeit, uns die Geschichte besser zu merken, deren Ende offen ist, weil wir unbedingt wissen möchten, wie sie ausgeht. Regisseure nutzen das gnadenlos: Je besser der Cliffhanger, desto eher wollen wir die nächste Folge sehen. Stellen Sie zu Beginn einer Präsentation eine Frage, die Sie erst am Ende beantworten. Oder überzeugen Sie die Kundin von einem Folgetermin mit einer Geschichte, die Sie erst beim zweiten Treffen beenden. Sie wird garantiert wissen wollen, wie sie ausgeht.
Fazit
Für langfristige Aufmerksamkeit ist laut Parr entscheidend, anderen Anerkennung entgegenzubringen. Ihnen auf ihren Facebook-Seiten zu folgen, ihre Beiträge zu kommentieren, persönliche E-Mails zu schreiben ist die eine Seite. Die andere ist, selbst Empathie auszulösen. Wie es die Hilfsorganisation Make-A-Wish schaffte, die todkranken Kindern ihren Herzenswunsch erfüllt. Der des leukämiekranken Miles Scott lautete nach drei Jahren Chemotherapie: „Ich möchte Batkid sein.“
Miles sollte ein paar Stunden sein Heldenkostüm tragen dürfen und in San Francisco das Verbrechen bekämpfen. Doch die Organisation hatte das Potenzial sozialer Netzwerke unterschätzt: Es kamen nicht 300, sondern 12.000 Freiwillige, um ihm zuzujubeln. Und Präsident Barack Obama gratulierte ihm dazu, die Stadt gerettet zu haben.
Für Parr ist Aufmerksamkeit wie ein Feuer. Zuerst müsse man kleine Funken erzeugen und anfachen, bis daraus Flammen entstehen. Danach müsse man Zeit und Arbeit investieren – damit sie nicht ausgehen.