Social Freezing Das Geschäft mit dem Kinderwunsch auf Eis

Voller Einsatz statt volle Windeln: Seracell friert Eizellen von Frauen aus ganz Deutschland ein. Das Geschäft soll Freiheit und Fruchtbarkeit gewähren - auch auf Kredit. Denn Social Freezing kostet Tausende Euro.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Pia Poppenreiter ist 28 und möchte erstmal Karriere machen, statt Mutter zu werden. Deswegen hat sie einige ihrer Eizellen einfrieren lassen.

Dafür, dass sich Pia Poppenreiter eine der großen Fragen des Lebens stellte, erforderte die Antwort dann doch verhältnismäßig wenig Aufwand: zwei Arzttermine; zehn Hormonspritzen; eine Kühltasche, stets griffbereit. So hat die 28-jährige Unternehmerin sich Luft verschafft bei der Antwort auf die Frage, wie das gehen soll: Kind und Karriere?

Es war ein Tag in diesem April, als Poppenreiter zum entscheidenden Mal die Räume einer Potsdamer Kinderwunsch-Praxis betrat. Ein Paket mit zehn Hormonspritzen wartete dort auf sie, selbst zu verabreichen von da an zehn Tage lang, immer zur gleichen Zeit am Vormittag. Ebenfalls immer in der Nähe vorzuhalten: ein Kühlschrank oder mindestens eine Kühltasche, damit die Hormone nicht warm werden.

Es waren, vor allem für Poppenreiters Umfeld, sonderbare zehn Tage: Mal musste sie eine Besprechung für die Spritzen unterbrechen, mal dem Sicherheitsmann am Flughafen erklären, warum sie Spritzen und Nadeln mit in die Kabine nehmen muss.

Zehn Dinge, mit denen Frauen ihre Karriere riskieren

Der elfte Tag nach jenem Praxisbesuch schließlich sollte der entscheidende sein: Im Körper einer Frau reift normalerweise im Monat etwa eine Eizelle heran. Mithilfe der Hormonspritzen aber wuchsen bei Poppenreiter nun bis zu 20 Zellen auf einmal. Die junge Frau nahm sich einen halben Tag frei, erschien zum Operationstermin bei einem Frauenarzt und ließ sich unter Vollnarkose mit einer langen Nadel 15 Zellen aus dem Eierstock saugen.

Freezing wurde für Krebspatientinnen entwickelt

Während die Eizellen von dort ihre Reise in einen speziellen Tiefkühltank antraten, worauf noch zurückzukommen sein wird, ließ sich Pia Poppenreiter, noch recht benommen, am Nachmittag von einem Freund wieder zur Arbeit nach Berlin fahren. Schließlich gründet sie gerade ihr zweites Unternehmen, da sind Pausen selbst für die eigene Nachwuchsplanung eher nicht so günstig.

Social Freezing im Überblick (für eine größere Ansicht bitte anklicken).Grafik: Picture-Alliance/DPA; Icons: Simon Child, Luis Prado

Insofern ist das Social Freezing, das Pia Poppenreiter in besagter Praxis in Anspruch nahm, eine feine Sache: Freezing steht fürs Einfrieren der Eizellen; so sollen Frauen auch später noch Nachwuchs bekommen können, wenn die Chancen auf natürlichem Wege womöglich geringer sind. Social bedeutet, dass sie das aus freien Stücken tun: Kinder passen noch nicht in ihr Leben, sollen später aber womöglich dennoch einmal dazugehören.

Ursprünglich als Medical Freezing für junge Krebspatientinnen entwickelt, die nach Bestrahlungen nicht mehr auf natürliche Weise schwanger werden konnten, erobert die Methode nun die Wunschlisten von jungen Frauen in der ganzen Republik. Fertig bereitet, ein neues Lifestyle-Phänomen für jene zu werden, die nicht länger Opfer der zermürbenden Kind-Karriere-Kompromiss-Suche werden möchten. In den USA schlagen große Unternehmen wie Apple und Facebook aufstrebenden Mitarbeiterinnen bereits vor, die Kosten fürs Einfrieren der Fruchtbarkeit zu übernehmen.

Diese Unternehmen bieten die besten Karrierechancen für Frauen

In Deutschland boten bisher einzelne Fruchtbarkeitskliniken an, Frauen die Eizellen zu entnehmen und bei minus 196 Grad in Stickstofftanks zu lagern. Schätzungen zufolge haben sich etwa 300 Frauen in Deutschland dafür entschieden. Diese Zahl aber dürfte kurzfristig enorm steigen. Denn aus dem Bedürfnis erwachsen nun beste Geschäftschancen, weswegen erste kommerzielle Anbieter auf den Markt drängen.

Ihr ebenso verlockendes wie kapitalistisches Angebot: Gib uns dein Geld, dann verschaffen wir dir Zeit und Energie, jetzt Karriere zu machen und später noch eine Familie zu gründen.

Online-Finanzmakler bietet den Kinderwunsch auf Kredit

Mathias Freund ist der Mann, der – je nach Sichtweise – jungen Frauen neue Freiheiten verschafft, beziehungsweise an den Karriere-Kind-Kalamitäten ein wenig verdienen möchte. Freund hat die Firma Seracell gegründet und möchte so das Geschäft mit dem Kinderwunsch auf Eis bundesweit etablieren. Das Unternehmen betreibt im deutschen Nordosten ein Labor, das sich aufs Einfrieren erst von Nabelschnurblut und nun auch von Eizellen spezialisiert hat.

Auch Pia Poppenreiters Eizellen reisten von der Potsdamer Praxis per Tiefkühlpost dorthin. Freund garantiert, dass die sensiblen Zellen nach neuesten Methoden gefrostet und gehütet werden. Zum Festpreis, 2500 Euro für die Entnahme, den Kühltransport nach Rostock und den Stickstofftank im ersten Jahr. Dazu kommen später jährlich 290 Euro Gebühr.

Damit sich junge Frauen das leisten können, arbeitet Seracell mit einem Online-Finanzmakler zusammen, den Kinderwunsch auf Kredit gibt es nach Angaben des Anbieters Lendico ab vier Prozent Zinsen im Jahr. So sieht es eben aus, wenn auch die Kinderplanung dem Kalkül von Kapital und Karriere unterliegt.

Mit dem Geschäftsmodell möchte Internist und Krebsspezialist Freund nun nach und nach die Republik erobern. Überall sollen Kundinnen bald in Frauenarztpraxen, die mit ihm zusammenarbeiten, ihre Eizellen konservieren können.

„Ich will keine Nachteile gegenüber Männern“

Freiheit jetzt, Fruchtbarkeit später. Auf die Formel bringt Pia Poppenreiter das Modell. Ihr zweites Unternehmen, eine Internet-Plattform, soll noch im August an den Start gehen. Mit dem Portal Ohlala will sie Frauen und Männer, die Escort-Dienste anbieten, mit ihren Kunden zusammenbringen. „Ich sage ganz offen, dass ich jetzt nicht schwanger werden will. Da sollen keine Missverständnisse aufkommen“, sagt sie. In der umkämpften Internet-Szene könnten Geldgeber oder Geschäftspartner sonst denken, sie stehe nicht zu 100 Prozent als Unternehmerin bereit. „Ich will da keine Nachteile gegenüber Männern haben.“

Diese Frauen werden weltweit am stärksten bewundert

Seracells Versprechen richtet sich an Frauen wie sie, die in jungen Jahren nicht den richtigen Partner zum Kinderkriegen haben oder die nach langer Ausbildung alle Kraft in den Job stecken. Die erst einmal beruflich Fuß fassen wollen. Voller Einsatz statt volle Windeln.

Mediziner Freund hat mit knapp 66 seine Uni-Karriere hinter sich und ist ganz ins Tiefkühlfach gewechselt. „Wir bringen Ihre Eizellen in Sicherheit“, wirbt er auf einer Informationsveranstaltung in Berlin. Junge Frauen sitzen da, hippes Publikum aus Berlin-Mitte. „Wir wollen Ihnen ein Stück Freiheit geben“, verspricht er. Freund glaubt, dass bald mehrere Tausend Frauen in Deutschland jedes Jahr diese Prozedur über sich ergehen lassen, 2020 könnten es schon über 10 000 sein, so seine optimistische Schätzung als Unternehmer.

Zehn Fakten zu Frauen im Berufsleben
Eine Frau geht in Berlin auf dem roten Teppich zur Verleihung Quelle: dpa
Logo der Bundesagentur für Arbeit in Frankfurt am Main Quelle: dpa
Zwei männliche und ein weibliches Vorstandsmitglieder stehen auf dem Podium Quelle: dpa
Neue 20-Euro-Scheine in der Hand einer Frau Quelle: AP
Eine Ärztin untersucht ein Mädchen in Brandenburger Kinderklinik Quelle: dpa
Heirat Quelle: dpa
Ein Neugeborenes in Mainz strampelt Quelle: dpa

Moderne Medizin und moderne Angst treffen beim Social Freezing aufeinander. Der Seracell-Chef legt passende Zahlen dazu vor: Jedes Mädchen werde mit einem Vorrat an Eizellen geboren, mit 18 sei nur noch knapp die Hälfte vorhanden, mit 30 Jahren seien es noch zehn Prozent, mit 40 nur mickrige zwei Prozent. Und die seien nicht mehr gesund und fruchtbar wie vorher.

„Biologisch ist das Alter der Frauen bei ihrer ersten Geburt heute eigentlich schon zu hoch“, urteilt der Mann aus Rostock. In Deutschland werden Frauen im Schnitt mit 30,5 Jahren zum ersten Mal Mutter.

Keine Garantie für den Nachwuchs aus dem Kühlfach

Pia Poppenreiter geht trotz dieser Zahlen nun entspannter mit ihrer Zukunft um. „Wenn du den Wunsch hast, Mutter zu werden, dann wirst du es irgendwann auch schaffen“, ist sie sicher.

Nachdem sie sich nun selbst so viele Gedanken gemacht hat, will sie mit ihren Mitarbeiterinnen nach der stressigen Gründungsphase über deren Pläne und Wünsche reden. Vertrauensvoll und ohne Vorgaben: „Es schadet nicht, wenn du dir überlegst, was du willst.“

Was 50 Jahre nach Erfindung der Pille als nächste große Befreiung für Frauen klingt, was nach Selbstbestimmung und Freiheit bei der Familiengründung wie bei Lebenspartnern wirkt, hat allerdings Schwächen. Die Pille garantierte die Entscheidung gegen Nachwuchs. Die Eizellen im Kühlfach verheißen Nachwuchs – doch garantieren können sie das nicht.

Die Technik kann, sollte sie sich durchsetzen, Frauen und Männern, die der Natur nicht vorgreifen möchten, den entspannten Weg zum Nachwuchs sogar erschweren. Denn Social Freezing legt nahe, dass es den perfekten, individuell beeinflussbaren Zeitpunkt für die Familiengründung gibt und andere selbst schuld sind, wenn sie in jüngeren Jahren von Uni-Professoren, Investoren oder Arbeitgebern Freiraum erhoffen.

Ab 35 Jahren nicht mehr erfolgversprechend

Und welche junge Frau möchte noch widersprechen, wenn die Kolleginnen vom Angebot möglicher Arbeitgeber, zugunsten besserer Karriereoptionen auf die frühe natürliche Schwangerschaft zu verzichten, rege Gebrauch machen?

Und auch biologisch gibt es Grenzen. Der Gynäkologe Peter Sydow warnt: Eigentlich sei Social Freezing ab einem Alter von 35 nicht wirklich erfolgversprechend. Der Arzt, der am Berliner Gendarmenmarkt eine Kinderwunsch-Klinik betreibt, sagt: „Alle Wünsche kann man nicht einfrieren.“ Auch können die Kosten trotz des von Seracell versprochenen Fixpreises nach oben schnellen. Wer älter sei beim Social Freezing, müsse das Hormondoping mehrmals in Anspruch nehmen, sagt Sydow. Weil nicht mehr so viele Zellen reiften und diese nicht mehr so fruchtbar seien. „Auch wegen der teuren Hormone kommen dann vor der Konservierung schnell 10 000 Euro zusammen“, sagt der Frauenarzt. Die Hormonbehandlung muss extra gezahlt werden, die Krankenkassen übernehmen nichts.

Wenn eine Frau dann Jahre später mithilfe der eingefrorenen Eizellen Mutter werden will, muss sie erneut Tausende Euro einplanen – diesmal für eine künstliche Befruchtung, die In-vitro-Fertilisation (IVF). In den USA, wo die Methode eher erprobt ist, wo die erste „Gefriergeneration“ schon geboren wird, rechnen Mediziner mit acht bis zwölf Tiefkühl-Eizellen, um später ein Baby auf die Welt zu bringen.

Pia Poppenreiter hat aus ihrer Sicht die richtige Entscheidung getroffen. Sie erzählt, dass sie immer wieder mit gutem Gefühl an ihren Schatz im Stickstofftank denkt. „Wenn ich jetzt an Familienplanung denke, bin ich entspannter.“ Auch ihre Eltern unterstützen sie bei der Entscheidung, ihre biologische Uhr zu bremsen. „Sie waren etwas traurig, dass sie noch nicht so schnell Großeltern werden.“ Aber nun haben sie für sich das Beste draus gemacht: „Meine Eltern haben den Eizellen alle schon einen Namen gegeben“, sagt die 28-Jährige. 15 mögliche Enkel im Eis.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%