Spezial Karriere Skandal-Arbeitgeber von einst umwerben Akademiker

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„Bei uns ist für jeden etwas dabei“

Tedi-Gruppenleiterin Julia Spannagel sieht das ganz ähnlich: „Ein perfekter Lebenslauf ist für uns kein Muss.“ Als Bewerber willkommen seien auch Quereinsteiger, die sich beruflich verändern möchten. Und Catherine Gouw, Projektmanagerin im Personalmarketing bei Aldi Nord, verspricht: „Bei uns ist für jeden etwas dabei, der Lust auf Teamwork, Verantwortung und Karriere hat.“

Klingt wie ein Allgemeinplatz. Aber tatsächlich kann, wer etwa bei Aldi Nord oder Aldi Süd anfängt, vor allem vieles werden. Die Unternehmen bieten Ausbildungsberufe und duale Bachelor- und Masterstudiengänge, Programme für Nachwuchsmanager oder für Hochschulabsolventen einen Direkteinstieg als Regionalverkaufsleiter. Außerdem wachsen viele Discounter stark, im Inland und im Ausland. Das macht die Arbeit vielfältiger und verhältnismäßig sicher. „Organisationstalent, Teamfähigkeit und vor allem Motivation sind aber in jedem Fall wichtig“, sagt Aldi-Nord-Personalerin Gouw.

Noch ein Argument für die Billiganbieter: Sie zahlen gut. So werben etwa beide Aldi-Niederlassungen mit übertariflichen Löhnen. Ein Auszubildender im ersten Lehrjahr beginnt mit einem Bruttogehalt von 850 Euro monatlich plus Urlaubs- und Weihnachtsgeld, ein Regionalverkaufsleiter verdient im ersten Berufsjahr 66.000 Euro brutto.

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Zum Vergleich: Angehende Kaufleute im Einzelhandel starten in Nordrhein-Westfalen laut Tarifvertrag mit 805 Euro im ersten Lehrjahr, Angestellte in leitender Position bekommen je nach Gehaltsstaffel im ersten Berufsjahr um die 40 000 Euro Jahresbrutto.

Für das mitunter stattliche Gehalt verlangen die Unternehmen ihren Mitarbeitern allerdings einiges ab. Wer bei einem Discounter arbeitet, darf sich, wie gesagt, für Drecksarbeit nicht zu schade sein: Filialleiter müssen nicht nur kassieren und vom Schreibtisch aus Ware bestellen. Sie müssen mitunter auch mal den Boden wischen, wenn ein Kunde ein Glas Sauerkirschen fallen lässt.

Gleichzeitig folgen viele Abläufe im Handel starren Strukturen – auch damit müssen Fachkräfte sich arrangieren.

Und nicht zuletzt erfordert etwa die Stelle eines Regionalverkaufsleiters oder Filialleiters ein Gespür für den Umgang mit Mitarbeitern: Die Chefs im Laden müssen kommunizieren und kooperieren und dafür sorgen können, dass alle motiviert bleiben – selbst jene, die nur einen Bruchteil ihres eigenen Gehalts verdienen.

Die Tätigkeit in einem Discounter ist also anspruchsvoll, bietet motivierten Berufsanfängern aber auch viele Chancen. Zumal sich der Handel grundlegend verändert. Wie bei anderen Einzelhändlern auch, spielt die Digitalisierung bei Billiganbietern eine immer größere Rolle. Seit August dieses Jahres gibt es etwa den neuen Ausbildungsberuf Kaufmann für E-Commerce. Lidl hat sogar eigens eine Webseite eingerichtet, um die Karrieremöglichkeiten im virtuellen Geschäft vorzustellen. Interessenten können dort direkt offene Stellen einsehen und sich online bewerben. Auch hier sind einschlägige Referenzen kein Muss.

Die Offenheit für fachfremde Bewerber hat auch mit dem Expansionsdrang der Discounter zu tun, der die Nachwuchssorgen noch erhöht. Der Billigfilialist Tedi etwa, der in seinen Filialen Produkte vom Partyhut bis zur Papierschere anbietet, kündigte vor einem Jahr an, die Zahl der Läden von 1600 auf 5000 erhöhen zu wollen. Das Unternehmen treibt auch die Expansion im Ausland voran. Dafür braucht es im Hauptquartier in Dortmund-Brackel Experten im Einkauf, in der IT, im Controlling und im Personal. Die Zentralen sind oft nicht nur für Deutschland zuständig, sondern für mehrere Länder. Das wiederum befördert die Aufstiegschancen für Neueinsteiger. So könnten Vertriebsmitarbeiter schnell zu Bezirksleitern werden, verspricht Tedi-Personalerin Julia Spannagel. Und danach womöglich Verantwortung für einen der wachsenden Märkte in Polen, Portugal oder Italien übernehmen.

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