Auch im Berufsleben entdeckt Verhaltensökonomin Bohnet immer wieder diese unbewusst wirkenden Vorurteile. Offene Diskriminierung finde in westlichen Industrienationen zwar nur noch selten statt. Dennoch brechen sich die Klischees Bahn. Zu tief sind sie in unserem Gehirn verwurzelt, als dass einfache Diversity-Trainings sie überwinden könnten.
Kaum ein männlicher Vorgesetzter beschließe zum Beispiel aktiv, talentierte Frauen nicht zu fördern, so die Harvard-Professorin. Er würde ja auch gegen das eigene Interesse handeln, wenn er nicht die besten Köpfe in sein Team holt. In Bewerbungsgespräche gehen Chefs deshalb mit dem festen Entschluss, objektiv zu urteilen.
Der Blindtest eliminiert Diskriminierung
Wie sehr sie dennoch der Macht traditioneller Denkschablonen verfallen, zeigt ein Beispiel aus der Musikwelt: Die renommiertesten Orchester der USA wiesen lange Zeit einen Frauenanteil von nur fünf Prozent auf. Das Missverhältnis sei kein Zeichen von Sexismus, erklärten die Dirigenten. Sie würden bei der Auswahl streng nach der Qualität des Vorspiels entscheiden. Frauen spielten aber aufgrund ihrer Lungengröße und Lippenform nun einmal anders, so die Maestros. Erste Orchester setzten trotzdem durch, dass bei der Auswahl ein Vorhang zwischen Jury und Bewerber gezogen wurde. Die Frauenquote ist seitdem auf bis zu 40 Prozent gestiegen – erst im Blindtest waren die Dirigenten zu einer fairen Bewertung fähig.
Ein bekanntes Experiment der Harvard Business School zeigt, dass selbst Menschen von Vorurteilen getroffen werden, die längst bewiesen haben, wie erfolgreich sie arbeiten. Psychologen legten Studenten die Biografie einer Person mit einer beeindruckenden Karriere vor. Die eine Hälfte der Studenten las die Angaben in dem Glauben, die Person heiße Howard Roizin, die andere Hälfte erhielt den Lebenslauf von Heidi Roizin. Nach der Lektüre baten die Forscher um ein Urteil. Beiden wurde unternehmerisches Talent attestiert.
Doch während die Studenten Howard auch menschlich schätzten, mochten sie Heidi überhaupt nicht: Sie sei sicher unsympathisch und viel zu ehrgeizig. Bewerben würden sie sich bei so einer Person auf keinen Fall. Im realen Leben hätten sie sich damit um die Chance auf eine Karriere bei einer der wichtigsten Investoren im Silicon Valley gebracht. Denn Heidi Roizen gibt es wirklich: Sie zählt zu den bedeutendsten Risikokapitalgebern der IT-Branche.
Was Headhunter raten: So gehen Sie mit Misserfolgen um
„Ob Schauspieler, Schriftsteller oder Maler – wer Großes geschaffen hat, erzählt auch immer eine Geschichte von Versuch und Irrtum. Warum also nicht selbstbewusst dazu stehen, dass man etwas ausprobiert hat? Jeder Misserfolg ist zugleich ein Lernerfolg. Gestehen Sie sich ein, dass etwas gescheitert ist. Ziehen Sie die richtigen Schlüsse und zeigen Sie, dass Sie es beim nächsten Mal besser gemacht haben. Man kann auch erfolgreich scheitern. Wenn man weiß, wann es Zeit ist, seine Entscheidung zu korrigieren.“
„Lügen haben kurze Beine: Versuche, Flops aufzuhübschen, zu kaschieren oder ganz unter den Tisch fallen zu lassen, sind zum Scheitern verurteilt. Seriöse Personalberater und auch viele Personalverantwortliche holen Referenzen bei vorherigen Arbeitgebern ein – spätestens dann kommen Sie in Erklärungsnot und sind schlimmstenfalls von der aktuellen oder auch künftigen Besetzungen ausgeschlossen. Deshalb bleiben Sie besser bei der Wahrheit. Außerdem sollten Sie Karriere-Knicke im Jobinterview am besten direkt und aktiv ansprechen. Dabei haben Sie Gelegenheit, zu erklären, wie Sie mit der Situation umgegangen sind und welche Lehren Sie daraus gezogen haben. Im schriftlichen Lebenslauf dagegen genügt die Angabe der betreffenden Station – eine Erklärung würde hier unbeholfen wirken und zu sehr wie eine Rechtfertigung wirken.“
„Ich rate vor allem zu Ehrlichkeit – und zwar sowohl im eigenen Umgang mit einem Misserfolg und der eigenen Analyse als auch in Bezug auf die Darstellung. Nur wer ehrlich zu sich ist, kann den Misserfolg reflektieren und daraus lernen. Und nur wer den Misserfolg ehrlich und nachvollziehbar schildert, signalisiert diese Lernfähigkeit. In Bewerbungsanschreiben ist es in Ordnung, den Abschied von einem Arbeitgeber zunächst mit Floskeln wie ‚strategische Differenzen‘ zu umschreiben. Im persönlichen Gespräch hingegen sollte man so konkret wie möglich werden – und so ehrlich sein, dass der Misserfolg nachvollziehbar, schlüssig und glaubwürdig ist.“
Vorurteile trüben aber nicht nur den Blick auf andere. Auch die eigene Leistung kann unter ihnen leiden, wie Bildungsforscher der Uni Konstanz in Studien mit 2500 Kindern herausfanden. Türkischstämmige Schüler etwa schnitten bei Matheprüfungen schlechter ab, wenn sie kurz vorher daran erinnert wurden, dass sie in Bildungsfragen oft als Problemgruppe angesehen werden.
Der deutsche Leistungsfetischist
Wissenschaftler sprechen in diesem Fall vom „Stereotype threat“, der empfundenen Bedrohung durch Stereotype: Befürchten wir, von anderen aufgrund unserer Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe beargwöhnt zu werden, agieren wir wie unter einem Brennglas, wir sehen uns von vornherein im Nachteil und verkrampfen, Leistung und Motivation sacken ab.
Hunderte von Studien belegen den Effekt, der jeden treffen kann. Kapuzenpulliträger unter Kollegen im Anzug („unseriös“), Menschen mit einfachem Bildungsgrad im Kreis von Akademikern („dumm“), Mitarbeiter jenseits der 40 („unflexibel“). Selbst Stereotypen-Forscher wie Hannes Zacher von der Uni Leipzig erliegen ihm: Während seiner langjährigen Auslandsaufenthalte fürchtete der Psychologe um seine Wirkung auf andere, sobald sie erfuhren, dass er aus Deutschland stammt. Erwarteten seine Kollegen nun einen überkorrekten Langweiler? Einen durchorganisierten Leistungsfetischisten? Und wenn er diesen Ideen nicht entsprach: Wären die anderen erfreut oder enttäuscht? „Stereotype lassen uns nie kalt“, sagt Zacher, „selbst wenn unser Gegenüber sie gar nicht teilt, können Ängste entstehen.“
Die Folgen für das Selbstbewusstsein sind verheerend, gerade in der Arbeitswelt. Denn wer sich diskriminiert fühlt, reagiert weniger offen auf Kritik, integriert sich nur zögernd in die Unternehmenskultur, leistet weniger und wird häufiger krank. So geraten Stereotype mitunter sogar zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Mitarbeiter mit ausländischen Wurzeln zum Beispiel bemühen sich vielleicht gar nicht um eine Beförderung – in dem Glauben, beim deutschen Vorgesetzten ohnehin keine Chance zu haben.