WirtschaftsWoche: Ab dem kommenden Jahr sperrt die Bahn nach und nach Abschnitte der meistfrequentierten Trassen. ICE werden umgeleitet, der Nahverkehr muss sein Streckennetz mit den Fernverkehr teilen. Verspätungen von bis zu einer Stunde sind programmiert. Was bedeutet so eine Krisensituation mit Ankündigung für Pendler?
Susanne Gerstenberg: Um mal mit etwas Positivem anzufangen: Vorhersehbarkeit von Verkehrsbedingungen ist immer gut. So anstrengend es auch sein kann, Planbarkeit ist ein puffernder Faktor. Das ist zumindest besser, als wenn der Zug plötzlich ausfällt oder jemand im Auto unerwartet im Stau steht.
Was können Pendler noch tun, außer sich auf den geänderten Fahrplan und längere Fahrzeiten einzustellen?
Gute Organisation ist wichtig. Pendler sollten in so einer Phase noch mehr als sonst darauf achten, Zeitpuffer einzuplanen, wenn möglich etwas früher aus dem Haus zu gehen. Sie können auch Fahrgemeinschaften mit Kollegen bilden, um vielleicht gar nicht erst auf Züge warten zu müssen.
Wenn feststeht, dass die gewohnte Fahrt nun doppelt so lange dauert: Wie können sich Pendler diese Zeit erträglicher gestalten?
Wenn die Fahrt länger dauert, kann man versuchen, die Zeit positiv zu nutzen. Man könnte versuchen zu arbeiten, dienstliche Telefonate führen, die Aufgaben planen oder E-Mails beantworten. Wenn das nicht geht, gilt, was natürlich immer gilt: Man sollte versuchen, die Zeit zum Entspannen zu nutzen, ein gutes Buch einstecken, Lieblingsmusik hören oder, wenn es in der Bahn eng wird, Leute kennenlernen.
Manch einer denkt sich womöglich: Das tu‘ ich mir nicht an, dann fahre ich eben ein paar Wochen lang Auto. Ist das eine gute Idee, um Stress zu vermeiden?
Wenn die Beschäftigten die Möglichkeit haben, weil sie über ein Auto verfügen, ist das natürlich eine Ausweichmöglichkeit. Man muss aber bedenken, dass viele auf diese Idee kommen werden. In einer Region wie der rund um Köln, die sich sowieso schon durch viel Verkehr auszeichnet, wird sich das Verkehrsaufkommen auf den entsprechenden Strecken erhöhen. Dadurch steigt die Gefahr, im Stau zu stehen. Auch da gilt also: Zeitpuffer einplanen, auf Stau einstellen und gelassen bleiben. Außerdem sind Fahrgemeinschaften mit Kollegen eine sinnvolle Option.
Welche Verkehrsfaktoren machen Pendeln generell anstrengender – und schlagen in so einer Baustellenzeit nochmal besonders ins Kontor?
Wenn man die Verkehrssituation nicht planen und kontrollieren kann, ist es immer besonders belastend. Das trifft vor allem auf den öffentlichen Nahverkehr zu – aber auch aufs Auto, was viele aber nicht so empfinden. Bei den öffentlichen Verkehrsmitteln kommen die klimatischen Bedingungen in Zügen oder Bussen hinzu, gerade wenn es eng wird. Notwendige Umstiege sind immer ein Unsicherheitsfaktor, bei Verspätungen umso mehr.

Welche privaten Faktoren verstärken den Pendelstress und kommen während einer Phase mit Verkehrsbehinderungen noch mehr zum Tragen?
Grundsätzlich ist die Abstimmung von privaten und beruflichen Terminen immer eine Herausforderung. Wenn nun noch mehr Unwägbarkeiten hinzukommen, kommt es auf eine Top-Organisation an. Man sollte versuchen, sich möglichst viele Zeitpuffer zu in den Tag einzubauen. Wenn Kinder pünktlich aus der Kita oder der Schule abgeholt werden müssen, sollten Helfer informiert werden, seien es Großeltern, Freunde oder Babysitter. Im Unterschied zu spontanen Staus oder Ausfällen können Sie hier versuchen, im Voraus zu planen.
Wie können Arbeitgeber reagieren, wenn sie wissen, ein Teil der Angestellten wird in den nächsten Wochen Probleme haben?
Arbeitgeber sollten auf keinen Fall unterschätzen, dass das Pendeln ein erheblicher Belastungsfaktor für Angestellte ist. In einer solchen besonderen Situation gilt umso mehr, dass sie Instrumente nutzen sollten, die den Druck lindern. Sie können zum Beispiel die Kernarbeitszeiten aufheben, um mehr Flexibilität zu schaffen. Sie können auch vermehrt die Möglichkeit für Homeoffice einräumen. Es gibt sicher Tätigkeitsbereiche, wo Beschäftigte zeitweise komplett oder einen Großteil der Woche von zu Hause aus arbeiten können. Kollegen und Vorgesetzte sollten aus Rücksicht möglichst keine frühen Termine legen. Beim Thema Fahrgemeinschaften kann auch der Arbeitgeber initiativ tätig werden, indem er Mitarbeiter miteinander vernetzt.
Was muss der Arbeitgeber im Blick haben, wenn auch Nicht-Pendler im Betrieb sind? Deren Geduld ist ja vermutlich nicht grenzenlos.
Der Arbeitgeber muss natürlich bei allem Verständnis für die Pendler auf eine gerechte Aufgabenverteilung achten. Sicher kommt es häufig vor, dass Kollegen, die vielleicht um die Ecke wohnen, sich bereit erklären einzuspringen, wenn ein anderer noch im Zug oder am Bahnsteig festsitzt. Das sollte aber nicht überstrapaziert werden und das muss der Arbeitgeber im Blick haben. Da muss er dann auch abwägen, ob es nicht sinnvoller ist, wenn die Pendler für eine gewisse Zeit von zu Hause arbeiten und die gesparte Fahrzeit für einen engen Austausch mit den Kollegen per Telefon nutzen.