Streit beim Abschied „Nur was man im Kopf hat, darf man mitnehmen“

Geschäftsunterlagen werden beim Verlassen des Unternehmens häufig ohne Unrechtsbewusstsein der Arbeitnehmer mitgenommen. Quelle: imago images

Der Streit zwischen Julian Reichelt und Springer hat sich verschärft – und rückt die Frage in den Fokus: Was dürfen Führungskräfte beim Abschied an sich nehmen – ohne eine Schadensersatzklage zu riskieren? Ein Arbeitsrechtler hat Antworten.

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WirtschaftsWoche: Der Axel Springer Verlag verklagt, wie in dieser Woche bekannt wurde, seinen früheren „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt auf Schadenersatz in sechsstelliger Höhe. Der Vorwurf: Reichelt habe widerrechtlich interne Dokumente mitgenommen und an andere zumindest zur Einsicht vorgelegt. Wie stehen die Chancen, dass Springer damit Erfolg hat?
Thomas Müller: Wenn Springer den Beweis führen kann, dass Julian Reichelt Geschäftsunterlagen mitgenommen hat und Springer den Schaden darlegen und beweisen kann, sicherlich gut. In Abwicklungsverträgen stehen üblicherweise auch Verschwiegenheitsklauseln oder Klauseln zur Herausgabe und Löschung von Daten wie Kennwörtern und sonstigen geschäftlichen Unterlagen. Dazu können – für den Fall eines Verstoßes – auch schmerzhafte Vertragsstrafen festgelegt werden. Geschäftsunterlagen nehmen ausscheidende Arbeitnehmer öfter mal mit. Von Täuschung und gegebenenfalls sogar Betrug können wir aber erst sprechen, wenn sie zumindest suggerieren, alle Geschäftsunterlagen zurückgegeben zu haben.

Reichelt soll Geschäftsunterlagen, die er nicht mehr hätte haben dürfen, auch noch einem anderen Verlag angeboten haben, berichtete nun das „Manager Magazin“. Das dürfte noch schwerer wiegen, oder?
Das würde es Springer zumindest leichter machen, den Vorwurf zu beweisen. Wenn die Geschäftsunterlagen tatsächlich und wie medial berichtet einem Verlag angeboten wurden, spricht einiges dafür, dass diese Unterlagen bereits bei Abschluss des Abwicklungsvertrags bewusst und zu diesem Zweck zurückgehalten worden sein könnten. Das kann auf eine absichtliche Täuschung beim Abschluss der Abwicklungsvereinbarung deuten. Die Abwicklungsvereinbarung kann der Ex-Arbeitgeber bei absichtlicher Täuschung durch den Arbeitnehmer wegen arglistiger Täuschung anfechten. So kann er gegebenenfalls auch eine Abfindung zurückverlangen.

Zur Person

Haben die Arbeitgeber öfter mal solch ein Glück?
Nein, das ist eher die Ausnahme. Ich erlebe mehr Fälle, die an der Beweislage scheitern. Zum Beispiel ein Eishockeymanager, der wohl Geschäftszahlen und technische Geräte seines Vereins mitgenommen hatte – nur beweisen konnte es ihm der Arbeitgeber dann doch nicht.

Was gilt bei Angestellten, die ihr Unternehmen verlassen, vielleicht auch ohne Streit, ohne Abwicklungsvereinbarung oder ohne Aufhebungsvertrag? Dürfen die Geschäftsunterlagen mitnehmen, die sie vielleicht auch selbst erstellt haben?
Dass Kundendaten, Projektunterlagen, Präsentationen, Schulungsunterlagen oder betriebswirtschaftliche Auswertungen mit den Kennzahlen des Unternehmens beim Ausscheiden mitgenommen werden, geschieht nicht selten. Erstaunlicherweise sogar meist ohne Unrechtsbewusstsein der Arbeitnehmer. Das vor allem dann, wenn die Dokumente womöglich vom Arbeitnehmer selbst verfasst wurden. Immerhin entstanden sie in der Arbeitszeit, für die er Gehalt bekam und die Unterlagen fertigte der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber an. Doch die Faustregel ist eindeutig: Nur was man im Kopf hat, darf man mitnehmen. Mehr nicht.

Was ist mit Chats wie bei Whatsapp, dürfen Angestellte die behalten?
Entscheidend ist, wer das Tool zur Verfügung gestellt hat. Whatsapp-Chats stellt meistens nicht der Arbeitgeber, die sind privat – selbst wenn ein Chef vielleicht damit sein Team organisiert. Deshalb rate ich, da auch nichts Dienstliches hineinzuschreiben außer Infos wie „Ich stehe im Stau, komme später“. Gerade bei Gruppenchats ist es der Regelfall, dass nichts geheim bleibt. Denn es gibt immer einen, der etwas durchsticht, worauf der Arbeitgeber dann reagieren muss.

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Alles noch so Unbedeutende muss also zurückgelassen werden?
Ich habe schon erlebt, wie ein Angestellter dem Gericht plötzlich Geschäftszahlen vorlegte, um zu beweisen, dass es der Firma viel zu gut ging, um ihn betriebsbedingt kündigen zu können. Dumm nur, dass er die Unterlagen gar nicht mehr hätte besitzen dürfen. Das war ein Eigentor.

Wie stehen die Erfolgsaussichten, Schadenersatz  zu fordern, wenn jemand Konstruktionsunterlagen mitgenommen hat und die Produkte selbst nachbaut?
Wenn das Unternehmen dies beweisen kann: gut. Um den Beweis zu führen sind Arbeitgeber sehr kreativ: Es soll Fälle geben, in denen sich der Ex-Arbeitgeber als möglicher Kunde ausgibt und sich so Produkte und Geschäftsideen erläutern ließ – das dürfte aussichtsreich gewesen sein. Urteile, die der Öffentlichkeit zugänglich wären, gibt es in diesen Fällen selten: Man schließt einen Vergleich vor Gericht, wobei die Schadensersatzsummen zumeist fünf- bis sechsstellig sind. 

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Ein weiterer Vorwurf, den Springer seinem einstigen Chefredakteur dem Vernehmen nach macht: Er habe gegen ein Abwerbeverbot von einstigen Kollegen verstoßen – und sie zu seinem neuen Youtube-Kanal gelotst. Das heißt dann wohl, auch kluge Köpfe dürfen Führungskräfte nicht so einfach mitnehmen?
Dem Grunde nach darf Reichelt die tatsächlich nicht nachziehen, wenn er dies im Abwicklungs- oder Aufhebungsvertrag unterschrieben hat. Manche Arbeitgeber schreiben dies Mitarbeitern, die sie zu Führungskräften befördern, regelmäßig in den Arbeitsvertrag. Meist mit einer zeitlichen Grenze von zwei Jahren, damit sie rechtswirksam ist. Für einen wechselwilligen Arbeitnehmer jedoch hat das keine Bedeutung, da der an die Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Führungskraft nicht gebunden ist. Auch hier ist es wieder eine Frage der Beweisführung.

Woran denken Sie da zum Beispiel?
Vielleicht wollten die nachziehenden Mitarbeiter ja unbedingt selbst weg, weil es ihnen die neuen Vorgesetzten besonders schwer gemacht haben. Und wenn sie bereits übergelaufen sind zum neuen Unternehmen des alten Chefs – würden die aussagen, er habe sie abgeworben? Wohl kaum.

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Haben Unternehmen, die sich darauf berufen und bei Verstößen klagen, Erfolg?
Das kommt darauf an, worin man den Erfolg sehen will. Wenn der Erfolg darin liegen soll, den Arbeitnehmer zu warnen, dann durchaus: Denn viele wollen dem Ex-Mitarbeiter nämlich nur deutlich signalisieren, dass sie ihn erwischt haben, ihm Einhalt gebieten und zeigen, dass sie ab jetzt ein Auge auf ihn haben. Der wird dann vorsichtig.

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