Teamwork Vor lauter Meetings bleibt die Arbeit liegen

Teamwork ist das Zauberwort der modernen Arbeitswelt. Das ist gut, hat aber auch negative Folgen: Kick-off-Meeting hier, Massenmails dort – Managementforscher warnen: Wir reden mehr über Arbeit, als dass wir sie machen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Meetingkultur ist super, doch die eigentliche Arbeit bleibt liegen. Quelle: Fotolia

Für Mark Zuckerberg wird ein Traum wahr. „Wir haben den perfekten Raum geschaffen, um noch besser zusammenzuarbeiten“, jubelte der Facebook-Chef 2015. Anlass seiner Freude: die Eröffnung der neuen Firmenzentrale im kalifornischen Menlo Park. Auf knapp 40.000 Quadratmetern, der Fläche von etwa sechs Fußballfeldern, sitzen seitdem 2800 Angestellte Schreibtisch an Schreibtisch zusammen. Trennwände oder Einzelbüros? Gibt es nicht. Selbst Zuckerberg hat seinen Platz in der Mitte, für jeden sichtbar und erreichbar. „Es ist das größte Großraumbüro der Welt“, sagte Zuckerberg stolz.

Cal Newport, Computerwissenschaftler der amerikanischen Georgetown-Universität, hält das neue Facebook-Hauptquartier hingegen für eine Katastrophe. „Für die Offenheit und die angeblich besseren Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zahlt man einen hohen Preis: massive Ablenkung“, schreibt er in seinem neuen Buch „Deep Work“. Vernünftig arbeiten könne dort niemand.

Knigge für das Großraumbüro

Leider sei Facebook nicht das einzige Unternehmen, dass die Konzentrationsfähigkeit seiner Mitarbeiter dem Kult der offenen Kommunikation und ständigen Teamarbeit opfere. Einzelbüros gelten im Silicon Valley inzwischen als unsoziales Einsiedlertum. Wer sein Handy in die Ecke legt und den E-Mail-Alarm abstellt, ist fast schon ein Fall für den Psychiater.

Wie Sie die Zahl der E-Mails reduzieren können

Eine Geisteshaltung, die aus der Tech-Branche auf andere Unternehmen übergreift. Der Arbeitsalltag besteht für viele moderne Büroarbeiter inzwischen hauptsächlich aus Meetings, E-Mails und Projektrunden. Arbeit, so scheint es, wird hauptsächlich besprochen – aber nur noch selten gemacht.

Auch der Psychologe Adam Grant von der renommierten Wharton School der Universität von Pennsylvania warnt: „Viele Büroarbeiter sind überfordert, weil sie ständig von Kollegen um Rat gefragt werden, Kommentare zu Vorschlägen abgeben sollen oder in Meetings sitzen“, schrieb er vor einigen Wochen in der „Harvard Business Review“. Die eigentliche Arbeit müssen viele inzwischen nach Hause mitnehmen. Seine Diagnose: Wir leiden am „collaborative overload“, der Überforderung durch Teamarbeit.

Ablenkung ist Stressfaktor Nummer 1

Die Symptome sind unübersehbar. Als Grant mit Kollegen Daten der vergangenen 20 Jahre verglich, stellte er fest: Die Zeit, die Büroarbeiter in Meetings oder mit anderen Teamaktivitäten verbringen, ist seit den Neunzigerjahren um 50 Prozent gestiegen. Das betrifft alle, vom Praktikanten bis zum CEO. E-Mails, Telefonanrufe und kurze Gespräche mit Kollegen machen laut Grant in vielen Unternehmen inzwischen rund 80 Prozent der Arbeitszeit aus. Und für viele, das hörten die Forscher bei ihren Befragungen immer wieder, ist die ständige Abstimmung inzwischen einer der größten Stressfaktoren.

Ideen werden besprochen, aber nicht umgesetzt

Dabei sollte doch eigentlich alles ganz anders sein. Teamarbeit gilt spätestens seit dem Aufstieg des Großraumbüros in den Siebzigerjahren als Kernkompetenz der modernen Arbeitswelt. Der Hinweis auf die eigene Teamfähigkeit darf in keiner Bewerbung fehlen. Statt einsam vor sich hinzubrüten, soll alles gemeinsam geplant und besprochen werden.

Das Versprechen: Zusammen kommt man auf bessere Ideen und hat mehr Spaß. Und das stimmt ja auch, einerseits. „Gruppen sind tatsächlich sehr gut darin, neue Ideen und kreative Lösungsvorschläge zu entwickeln“, sagt Christopher Diller, Managementprofessor an der Universität von Nebraska in Omaha. „Leider sind sie nur sehr schlecht darin, diese Ideen auch umzusetzen.“

Beim Arbeiten stört das Team

Diller erforscht die Ursachen seit Jahren. Am Anfang eines gemeinsamen Projekts gehe es vor allem darum, mögliche Lösungswege zu entwickeln. Da sei es gut, wenn möglichst viele Menschen zusammenarbeiten, denn alle bringen unterschiedliche Ideen mit. Doch irgendwann muss aus den zahlreichen Ideen ausgewählt werden. „Das ist nicht nur anstrengend, weil man viele Einfälle vergleichen muss, sondern führt auch zu Konflikten, denn dabei werden nun mal die Ideen der meisten Teammitglieder aussortiert“, sagt Diller. Deswegen würden viele die Arbeit im Team nach der kurzen Anfangseuphorie als ermüdend und frustrierend empfinden. Hinzu kommt: Hat man sich irgendwann mal auf einen gemeinsamen Plan geeinigt, geht die eigentliche Arbeit erst los – und dabei ist das Team häufig mehr Hindernis als Hilfe.

Die unterschiedlichen Typen eines Teams

In einer Studie 2011 fand die Computerwissenschaftlerin Gloria Mark von der Universität von Kalifornien in Irvine heraus: Im Durchschnitt werden Büroarbeiter alle zwölf Minuten bei ihrer Arbeit gestört. Zu 56 Prozent der Unterbrechungen kommt es, weil ein Kollege anruft, eine Mail schreibt oder plötzlich in der Tür steht.

Einer Unterbrechung kostet uns 20 Minuten

Bis jemand wieder zu der Aufgabe zurückkehrte, bei der er unterbrochen wurde, dauerte es in der Studie von Gloria Mark mehr als 20 Minuten. Denn oft schoben die beobachteten Büroarbeiter noch weitere kleine Aufgaben ein, wenn sie eh schon einmal etwas anderes machten. Von einem echten Arbeitstag könne dabei eigentlich keine Rede sein, so Mark. Für viele sei ein Tag im Büro eher eine Abfolge von Arbeitsminuten oder höchstens Arbeitsviertelstunden.

Da könne nichts Gutes herauskommen, sagt Cal Newport. Denn für gute Arbeit braucht es vor allem eines: Ruhe. Newport hat das Konzept der „Deep Work“ entworfen, der konzentrierten Arbeit, bei der man sich voll und ganz auf eine Aufgabe fokussiert. Das sei in der modernen Wirtschaftswelt wichtiger denn je. Die Aufgaben und Werkzeuge würden in vielen Berufen immer komplexer – sei es bei der Entwicklung von Software oder der Analyse der Finanzmärkte. Um voranzukommen und Großes zu leisten, müsse man sich daher richtig in Probleme hineinarbeiten, so Newport. Leider werde dafür aber in vielen Unternehmen immer weniger Raum gelassen.

Darunter leidet jedoch nicht nur die Konzentration. Zu viel Teamarbeit kann das ganze Unternehmen regelrecht ausbremsen, glaubt der Management-Professor Mark Bolino von der Universität von Oklahoma. Verantwortlich dafür ist ein Phänomen, das er „eskalierende Bürgerpflicht“ nennt. In vielen Unternehmen gibt es laut Bolino eine kleine Zahl von extrem vernetzten Mitarbeitern, die bei allen Projekten mit drin hängen. Weil sie gute Resultate liefern, werden diese Angestellten nach und nach in immer mehr Teams eingesetzt. Alle wollen ihre Meinung hören, Chefs fordern, dass man sie auf jeden Fall hinzuzieht. Irgendwann ist es so weit, und jede Entscheidung geht über den Schreibtisch der Super-Teamspieler. Sie werden zum Flaschenhals für das ganze Unternehmen.

Teamarbeit ist kein Wundermittel

Auch der US-Psychologe Dan Ariely gehört inzwischen zu den Kritikern der Teamarbeit. Der Professor an der Duke-Universität erforscht seit Langem, warum Menschen Regeln brechen, Geschäftsberichte fälschen und ihre Versicherungen betrügen. Sein deprimierendes Ergebnis nach zahlreichen Studien: Wir alle sind Lügner. Der eine mehr, der andere weniger – aber unbefleckte Ehrlichkeit gibt es nur sehr selten. Und alles wird noch schlimmer, wenn wir nicht alleine sind, sondern mit anderen zusammenarbeiten. In einem Experiment ließen Ariely und seine Kollegen mehrere Studenten einfache Matheaufgaben lösen. Für jede richtig gelöste bekamen sie am Ende einen halben Dollar. Ein Teil der Gruppe bekam das Geld jedoch nur, wenn er die gelösten Aufgaben einem Prüfer zur Kontrolle vorlegte. Die anderen durften den Zettel im Anschluss an den Test durch einen Aktenvernichter jagen und dem Prüfer sagen, wie viele Aufgaben sie gelöst hatten, ohne dass er das nachprüfen konnte.

Wer nicht kontrolliert wird, mogelt

Wenig überraschend: Die Studenten in der Schredder-Gruppe hatten regelmäßig bessere Ergebnisse – ein Zeichen dafür, dass sie mogelten. Besonders deutlich wurde der Unterschied, als die Psychologen den Studenten erlaubten, in Gruppen zusammenzuarbeiten und sich die Auszahlung zu teilen. Die Gruppen, die ihre Testbögen nachher vernichten konnten, behaupteten nun, besonders viele Aufgaben gelöst zu haben, und ließen sich dafür ordentlich bezahlen.

„Wir nennen das altruistisches Betrügen“, sagt Dan Ariely. „Bei einer Gruppenarbeit wird oft das gesamte Team für das Arbeitsergebnis belohnt. Wenn ich nun mit unerlaubten Mitteln den Gewinn meines Teams erhöhe, bekommen alle einen höheren Bonus. Dieses Gefühl, den anderen etwas Gutes zu tun, lindert eventuelle moralische Zweifel.“ Auch Ariely glaubt, dass Teamarbeit kein Wundermittel ist. „Sie hat eben auch einige schädliche Nebenwirkungen: Eine Gruppendynamik und ein starkes Teamgefühl sind nicht immer etwas Gutes, sondern können auch dazu führen, dass man Dinge macht, die man sich alleine nicht trauen würde.“

Doch was heißt das alles nun? Sollten wir alle lieber wieder alleine arbeiten? Nein, findet Chris Diller. „Teamarbeit hat uns als Spezies stark gemacht, und sie wird immer wichtiger“, sagt er. „Die Probleme, vor denen wir stehen, sind extrem komplex und können nur gelöst werden, wenn Menschen zusammenarbeiten“, sagt Diller. Daher sei es wichtig, dass Teamarbeit besser organisiert wird, um die Kraft der Gruppe zu nutzen und gleichzeitig Raum zu lassen für intensives Arbeiten. Der erste Schritt sei, Kommunikation nicht mit Teamarbeit zu verwechseln. E-Mails, Messenger und Kollaborationsplattformen würden zwar die Kommunikation erleichtern, aber nicht bei der eigentlichen Teamarbeit helfen: Entscheidungen effizient zu diskutieren und dann auch zu treffen.

Was Meeting-Floskeln wirklich bedeuten

Wie Newport rät auch er dazu, diese Kommunikationsmittel zu begrenzen, um Raum für Konzentration zu schaffen. Einige Unternehmen haben inzwischen Regeln aufgestellt, um die Anzahl der E-Mails zu reduzieren, oder gestalten ihre Büros um, damit sie Räume bieten, in denen man eben mal nicht für alle erreichbar ist.

Außerdem empfiehlt Diller Unternehmen, dass Führungskräfte in Meetings die Rolle eines Entscheiders übernehmen. „Der sorgt dafür, dass die diskutierten Ideen fair bewertet und möglichst effizient ausgewählt werden.“ Zusammen mit seinen Kollegen arbeitet Diller an einer Software, die diese Aufgabe irgendwann übernehmen soll, unter anderem, indem sie die Teammitglieder anonym über Vorschläge abstimmen lässt. Dadurch, so zumindest seine Hoffnung, werden Meetings nicht nur deutlich produktiver, sondern auch kürzer und seltener.

Auch Adam Grant glaubt, dass klug eingesetzte Technologie helfen kann. Bei vielen Anfragen von Kollegen und Einladungen zu Meetings gehe es nicht um den Austausch von Meinungen, sondern um das Teilen von Wissen. Dafür müsse aber niemand seine Arbeit unterbrechen. Das Wissen der Mitarbeiter lasse sich besser in Datenbanken speichern, die jeder von seinem Arbeitsplatz oder seinem Handy aus durchsuchen kann. „Eine Anfrage, für die sonst ein halbstündiges Meeting geplant wird, lässt sich so in wenigen Minuten beantworten“, so die Forscher. Mit solchen Lösungen könne man dafür sorgen, dass bei Zusammenarbeit nicht nur das „Zusammen“ stattfindet – sondern auch die Arbeit.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%