Teure Arbeitsausfälle Psychische Erkrankungen kosten 8,3 Milliarden Euro pro Jahr

Deutschland hat Seele: Wer lange Zeit krankheitsbedingt zu Hause bleiben muss, hat meist eine psychische Erkrankung. Für die Volkswirtschaft entsteht dadurch ein immenser Schaden.

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Die Fakten zum BKK-Gesundheitsreport 2015
Zettel Depression Quelle: dpa
Eine Frau an einem See Quelle: dpa
Eine Frau Quelle: dpa
Schild mit der Aufschrift Arzt Quelle: dpa
Ein Mann ist überfordert Quelle: dpa
Rentenbescheid Quelle: dpa

Die Zahl der Deutschen mit einer psychischen Erkrankung steigt seit Jahren: Laut dem letzten DAK-Psychoreport, für den das Berliner IGES Institut die Daten zur Arbeitsunfähigkeit von rund 2,6 Millionen berufstätigen DAK-Versicherten analysiert hat, hat sich die Zahl der Fehltage wegen Seelenleiden seit 1997 verdreifacht.

Bei der DAK versicherte Beschäftigte blieben deswegen 2014 an mehr als 6,3 Millionen Tagen zu Hause. Die Daten der Versicherung hochgerechnet sind demnach 1,9 Millionen Menschen betroffen - und jeder 20. Arbeitnehmer war im vergangenen Jahr wegen psychischer Probleme krankgeschrieben.

Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kam 2015 auch die Betriebskrankenkassen (BKK). Laut deren „Gesundheitsatlas 2015 – Blickpunkt Psyche“ entfallen rund 15 Prozent aller Krankentage mit ärztlichem Attest auf psychische Erkrankungen. Die durchschnittliche Krankheitsdauer pro Fall liegt bei 40 Tagen. Antriebs- und Stimmungsstörungen, zu denen auch Depressionen zählen, machen einen Großteil davon aus und verursachen im Schnitt sogar 58 dokumentierte Ausfalltage pro Erkranktem.

Symptome einer Depression

Laut der Grünen-Gesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink sind "depressive Episoden" die zweit-häufigsten Einzeldiagnose von gesetzlich Versicherten überhaupt. Für die Wirtschaft sind diese langwierigen Ausfälle deutlich teurer, als eine Erkältungswelle, die nach zwei Wochen wieder abgeebbt ist. Laut einem Bericht der Rheinischen Post (RP) verursachen die seelischen Leiden der Deutschen jedes Jahr mehr als acht Milliarden Euro allein an Produktionsausfallkosten. Die Behandlungskosten kommen noch oben drauf.

Manche Berufsgruppen sind besonders anfällig

Wie häufig sich Beschäftigte wegen eines psychischen Leidens krank melden, hängt auch von der Branche ab, in der sie arbeiten. Die meisten Krankmeldungen aus diesem Grund gibt es in der öffentlichen Verwaltung, bei der Bundeswehr und bei Sozialversicherungen. 100 gesetzlich Versicherte aus diesen Bereichen ließen sich im Jahr 2014 insgesamt 467 Tage wegen "psychischer und Verhaltensstörungen" krankschreiben. Mit 422 Tagen waren auch das Gesundheits- und Sozialwesen sowie mit 283 Tagen der Wirtschaftszweig Nahrung und Genussmittel besonders betroffen.

Diese Berufe machen depressiv
MontagsbluesBesonders montags fällt es uns schwer, etwas positives am Arbeiten zu finden. Laut einer amerikanischen Studie dauert es im Durchschnitt zwei Stunden und 16 Minuten, bis wir wieder im Arbeitsalltag angekommen sind. Bei Menschen ab dem 45. Lebensjahr dauert es sogar noch zwölf Minuten länger. Doch es gibt nicht nur den Montagsblues: Manche Berufsgruppen laufen besonders stark Gefahr, an einer echten Depression zu erkranken. Allein in Deutschland haben nach Expertenschätzungen rund vier Millionen Menschen eine Depression, die behandelt werden müsste. Doch nur 20 bis 25 Prozent der Betroffenen erhielten eine ausreichende Therapie, sagte Detlef Dietrich, Koordinator des Europäischen Depressionstages. Quelle: dpa
Journalisten und AutorenDie Studie der medizinischen Universität von Cincinnati beinhaltet Daten von etwa 215.000 erwerbstätigen Erwachsenen im US-Bundesstaat Pennsylvania. Die Forscher um den Psychiater Lawson Wulsin interessierte vor allem, in welchen Jobs Depressionen überdurchschnittlich oft auftreten und welche Arbeitskriterien dafür verantwortlich sind. Den Anfang der Top-10-Depressions-Jobs macht die Branche der Journalisten, Autoren und Verleger. Laut der Studie sollen hier etwa 12,4 Prozent der Berufstätigen mit Depressionen zu kämpfen haben. Quelle: dpa
HändlerDer Begriff „Depression“ ist in der Studie klar definiert. Als depressiv zählt, wer mindestens zwei Mal während des Untersuchungszeitraums (2001 bis 2005) krankheitsspezifische, medizinische Hilferufe aufgrund von „größeren depressiven Störungen“ gebraucht hat. Händler aller Art, sowohl für Waren- als auch für Wertpapiere, gelten demnach ebenfalls als überdurchschnittlich depressiv. Platz neun: 12,6 Prozent. Quelle: dpa
Parteien, Vereine & Co.Neben den Hilferufen nach medizinischer Fürsorge flossen noch andere Daten in die Studie ein. Die Forscher beachteten außerdem Informationen wie Alter, Geschlecht, persönliche Gesundheitsvorsorge-Kosten oder körperliche Anstrengung bei der Arbeit. Angestellte in „Membership Organisations“, also beispielsweise politischen Parteien, Gewerkschaften oder Vereinen, belegen mit über 13 Prozent den achten Platz im Stress-Ranking.
UmweltschutzDer Kampf für die Umwelt und gegen Lärm, Verschmutzung und Urbanisierung ist oft nicht nur frustrierend, sondern auch stressig. Knapp 13,2 Prozent der beschäftigten Erwachsenen in dem Sektor gelten laut den Kriterien der Forscher als depressiv. In den USA betrifft das vor allem Beamte, denn die Hauptakteure im Umweltschutz sind staatliche Organisationen und Kommissionen. Quelle: AP
JuristenAls mindestens genauso gefährdet gelten Juristen. Von insgesamt 55 untersuchten Gewerben belegten Anwälte und Rechtsberater den sechsten Platz im Top-Stress-Ranking: Rund 13,3 Prozent der Juristen in Pennsylvania gelten für die Forscher der medizinischen Universität Cincinnati depressiv. Quelle: dpa
PersonaldienstleisterAuf Rang fünf liegen Mitarbeiter im Dienstleistungsbereich. Deren „Ressource“ ist der Mensch – und der ist anfällig: Denn der „Personal Service“ in Pennsylvania hat nach Lawson Wulsin und Co. eine Depressionsrate von knapp über 14 Prozent. Und nicht nur Kopf und Psyche sind von der Krankheit betroffen, sondern offenbar auch der Körper: Schon seit Jahren forscht Wulsin auf diesem Gebiet und geht von einer engen Verbindung von Depression und Herzkrankheiten aus. Gefährdeter als Menschen aus dem Dienstleistungsbereich sind nur vier andere Jobgruppen.

Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion hervor, aus der die RP zitiert. Demnach entstanden allein im Jahr 2014 rund 8,3 Milliarden Euro an Produktionsausfallkosten, weil Arbeitnehmer wegen "psychischer und Verhaltensstörungen" krankgeschrieben waren. Im Jahr 2013 waren es 8,2 Milliarden Euro. Diese Zahl steige seit Jahren stetig an. 2004 lagen die Produktionsausfallkosten noch bei 4,2 Milliarden Euro. Bei der Bundesregierung müssten "alle Alarmglocken" schrillen, sagte Klein-Schmeink dem Blatt. "Tun sie aber nicht."

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