Tipps von Betroffenen und Experten So gelingt Netzwerken für Introvertierte

Netzwerken für Introvertierte: So kommen Sie aus sich heraus. Quelle: Getty Images

Networking stresst Introvertierte enorm, das lässt sich sogar in klinischen Studien nachweisen. Eine Betroffene und ein Psychologe erklären, wie es trotzdem klappt – und für wen es sich überhaupt lohnt.

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Jeder Abendempfang, jeder Branchenkongress kann für Michaela Stauch zum Kraftakt werden. Schwitzen, zittrige Stimme und weiche Knie gehören bei der introvertierten Gründerin häufig dazu, wenn sie auf Veranstaltungen Kontakte knüpfen soll. „Das Unangenehmste für mich ist es, in einen Raum voller Leute zu kommen, in dem ich niemanden kenne“, berichtet die Firmenchefin. „Alle sind schon im Gespräch und man weiß nicht so recht, wo man sich jetzt dazu stellen kann. Insgeheim hoffe ich immer, dass mich irgendwer aktiv anspricht und ich das nicht machen muss.“

Stauch hat zwar schon einige Jahre Übung hinter sich. „Es ist durchaus schon besser geworden“, stellt die Mitgründerin und CEO des Schmuck-Start-ups Lifestein fest, der es damit geht wie den meisten Menschen mit dieser Charakterausprägung.

Dass sich introvertierte Menschen nicht einfach nur anstellen, bestätigt auch Forscher Hans-Georg Wolff. „Es kostet Konzentration und Energie, sich auf andere einzulassen, interessiert zuzuhören, sich selbst gut darzustellen“, erklärt der Professor für Organisations- und Wirtschaftspsychologie von der Universität zu Köln. Was extrovertierten Menschen häufig wie von selbst gelingt, erfordert für Introvertierte viel Planung. „Man muss Zeit und Gedanken investieren, man plant, muss Menschen im Gedächtnis behalten und wissen, was sie tun“, erläutert der Netzwerkexperte.

Tipps für Introvertierte

Dennoch dominiert die Vorstellung, dass Networking als soziale Interaktion quasi wie von selbst und nebenbei klappen soll. Das sorgt bei Betroffenen für Druck. „Ich habe oft das Gefühl, dass das als Freizeitaktivität angesehen wird, die man leicht noch zusätzlich zur regulären Arbeit leisten kann“, kritisiert Stauch. „Für mich zieht Netzwerken aber häufig wesentlich mehr Energie, als den ganzen Tag vor dem Computer zu arbeiten.“

Die Unternehmerin zog für sich die nötige Konsequenz. Sie erlaubt es sich, Netzwerken nun als tatsächliche Arbeit zu betrachten. 

Laborexperimente belegen die Belastung

Wie viel Netzwerken introvertierten Menschen tatsächlich abverlangt, lässt sich sogar im Labor nachweisen. Die Wirtschaftspsychologin Laura Wingender aus Wolffs Arbeitsgruppe wollte wissen: Stresst Networking Introvertierte stärker als soziale Interaktionen auf einer Party? Sie ließ Probanden beide Szenarien im Labor durchspielen. „Im Anschluss sollten die Personen Süßigkeiten testen“, berichtet Wolff. „Diejenigen aus der Networkingsituation hatten im Anschluss größere Schwierigkeiten mit ihrer Selbstkontrolle, sie konnten ihr Verlangen nicht zügeln und haben im Schnitt doppelt so viel Süßigkeiten gegessen.“ Der Grund: Die Introvertierten waren schlicht derart erschöpft, dass sie keine Energie mehr hatten, den Leckereien zu widerstehen.

Aber warum genau setzt Networking introvertierte Menschen so sehr zu? „Introvertierte können grundsätzlich schon netzwerken. Das erforderliche Verhalten selbst ist keine Kunst. Allerdings entspricht diese Art von sozialem Verhalten weniger den Gewohnheiten von Introvertierten. Sie sind für sie weniger belohnend und auf Dauer anstrengend“, erklärt Psychologe Wolff.

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Für Introvertierte ist es deshalb besonders wichtig, bei der beruflichen Kontaktpflege ihre eigenen Grenzen anzuerkennen. Das musste auch Stauch lernen, die sich vor einiger Zeit auf einen rund fünfwöchigen Networkingmarathon zu Messen und Kongressen quer durch Europa begeben hatte, um ihr Unternehmen zu bewerben. „Da habe ich so gut wie jeden Tag genetzwerkt“, erinnert sich die Unternehmerin. „Das war definitiv viel zu viel auf einmal und ich war nach dieser Zeit maximal erschöpft. Das werde ich in Zukunft besser über das ganze Jahr hinweg verteilen.“

Stauch zieht zudem grundsätzlich kleinere Veranstaltungen großen Branchentreffs vor. „Gigantische Messen sind oft sehr anonym und man geht in der Masse unter“, erklärt sie. Ihr Ratschlag an introvertierte Menschen, die sich endlich ans Networking herantrauen möchten: Mit kleinen Veranstaltungen beginnen. „Hier findet man wesentlich leichter den Anschluss. Dann kann man sich immer noch langsam steigern auf größere Events.“

Noch niedrigschwelliger seien Online-Angebote im 1:1-„Speeddating“-Format – und natürlich Netzwerken auf Jobplattformen. LinkedIn ist hier für Stauch essentiell und bietet für sie als introvertierter Mensch besondere Vorteile. „Hier kann man aus dem Komfort der eigenen vier Wände das Netzwerk pflegen. Liken, kommentieren, selbst posten und Nachrichten schreiben trägt dazu bei, dass du in Erinnerung bleibst“, meint sie.

Das traditionelle Netzwerken ersetzen können solche Aktivitäten aber nicht. „Die bisweilen geäußerte Hoffnung, Introvertierte könnten durch soziale Medien besser Kontakte aufbauen und pflegen, gilt inzwischen als falsch“, stellt Psychologe Wolff fest. Er rät Introvertierten dazu, in erster Linie an ihrer sogenannten Selbstwirksamkeit zu arbeiten. „Aus unseren Studien zu Networkingtrainings wissen wir, dass eigentlich jede Person meint, Networking sei wichtig. Wir müssen Personen also nicht davon überzeugen“, erläutert der Wissenschaftler. Dennoch würden einige Menschen nicht netzwerken. Der Grund sei häufig die mangelnde Zuversicht, es überhaupt zu können.

Passiv netzwerken

„Man sollte sich bewusst machen, dass Netzwerken keine Zauberei ist, sondern aus ganz alltäglichen Verhaltensweisen besteht, die prinzipiell jeder kann“, empfiehlt Wolff. Dabei hilft vielleicht die Erkenntnis aus Studien, dass Netzwerken häufiger als gedacht passiv beziehungsweise fast schon nebenbei funktioniert. Die meisten neuen Kontakte werden nämlich laut dem Experten auf Veranstaltungen oft gar nicht geknüpft, weil man jemanden aktiv angesprochen hat. „Vielmehr ist es die Regel, dass man sich zu denjenigen stellt, die man schon kennt und sich neue Kontakte dann über gemeinsame Bekannte ergeben. Wenn man sich dies vor Augen führt, ist das eigene Netzwerken vielleicht gar nicht mehr so unterirdisch“, beruhigt der Psychologe und streift damit auch Stauchs eingangs geschilderte größte Angst.

Die Unternehmerin arbeitet mit einem kleinen Mantra an ihrem Selbstvertrauen. „Sich jedes Mal aufs Neue in die Situation begeben. Daran glauben, dass man so besser zu werden“, empfiehlt sie anderen introvertierten Menschen. Ein weiterer Ratschlag lautet: „Nicht alleine auf ein Event gehen – immer eine Bezugsperson als 'Anker' mitnehmen.“

Je schwerer Netzwerken fällt, desto wichtiger ist es zudem, methodisch vorzugehen. „Setzen Sie sich klare Ziele, zum Beispiel wie viele Events man innerhalb welcher Zeit besuchen will. Oder um wie viele Personen man das Netzwerk bis zu welchem Datum erweitern will“, erklärt Stauch. „Wen will ich treffen? Was suche ich? Wie spreche Frau xy an?“, sind für Wolff weitere hilfreiche Fragen zur Vorbereitung. Introvertierte sollten zudem darauf achten, sich nicht zu verausgaben. „Sie können bewusst Pausen einplanen, auf Networkingevents zum Beispiel mal nach draußen gehen“, empfiehlt der Psychologe.

Nach einer Veranstaltung hilft es Stauch, Bilanz zu ziehen: Was ist gut gelaufen, was lässt sich optimieren? „Erfolgreich war ich, wenn ich aus einem Event mit mindestens einer handvoll guter Kontakte rausgehe, mit denen weitere Schritte der Vernetzung vereinbart wurden.“ Die Gründerin weiß aber: Netzwerken ist ein Marathon. „Ein gutes Netzwerk braucht Zeit, sowohl für den Aufbau als auch für die folgende Pflege“, gibt sie zu bedenken. Stauch bemisst ihren Erfolg deshalb auch daran, dass sie Kontakten nach Monaten oder gar Jahren so sehr in Erinnerung geblieben ist, dass die sich wegen eines Anliegens an sie wenden.

Sie achtet dabei nicht nur auf die schiere Zahl an Kontakten. „Ich glaube, für Introvertierte ist das Netzwerk eher auf Qualität statt Quantität ausgelegt“, sagt die Gründerin. „Das kann durchaus seine Vorteile mit sich bringen. Man hat weniger Kontakte, dafür regelmäßigeren, intensiveren Austausch.“ Psychologe Wolff sieht jedoch auch Nachteile darin, wenn das Netzwerk nicht so weit verzweigt ist. „Viele Kontakte sind im Sinne einer Reichweite günstig für manche Ziele, so etwa für die Jobsuche und Aufträge“, stellt der Wirtschaftspsychologe fest. „Hier sticht nach allem, was wir wissen, in der Regel Quantität die Qualität aus.“

Was bringt Networking wirklich?

Laut dem Forscher addieren sich die Vorteile und Ressourcen aus einem Netzwerk (von „Wie geht das in Excel?“ bis „Wo wird eine Stelle frei?“) mit der Zeit. Das könne im Laufe einer Karriere zu mehr Macht, Reputation und Sichtbarkeit führen. „In Branchen, in denen Arbeitsplatzwechsel häufig sind, ist Networking wichtig, um im Gespräch bei potenziellen Arbeitgebern zu bleiben“, unterstreicht Wolff. „Auch kreative Ideen entstehen oft durch Netzwerken.“

Vor allem aber sollten Introvertierte nicht allzu sehr mit ihren Hemmungen hadern. Denn viele Forscher glauben inzwischen sogar, dass der Wert von Networking für die Karriere überschätzt werde. „In den bisherigen Studien sind die Angaben zum absoluten Nutzen, den man aus den Netzwerken zieht, überraschend niedrig“, so Psychologe Wolff. Dem geht er gerade in einem Forschungsprojekt auf den Grund. Wie stark jemand von Networking profitiert, kann laut Wolff auch vom Geschlecht abhängen. „Frauen netzwerken nach Stand der Forschung nicht anders als Männer, aber die Ressourcen, die sie erhalten, sind geringer“, erläutert er. Es zeichne sich das Fazit ab: „Für Frauen ist Netzwerken scheinbar eine schlechtere Investition.“

Gründerin Stauch ist dennoch überzeugt, dass sich die Überwindung in ihrem Falle gelohnt hat. „Als junges Start-up ist Netzwerken essenziell“, unterstreicht sie. „Nur so lernt man die richtigen Leute kennen, die einem entweder direkt helfen oder weiter vernetzen können.“

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