Tipps von einer Pokerspielerin So treffen Sie bessere Entscheidungen

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„Bereit sein zu raten“

Keine Angst vor Wahrscheinlichkeiten

Als Pokerspielerin überschlug Annie Duke jahrelang im Kopf, mit welcher Wahrscheinlichkeit welcher ihrer Gegner welche Karte hatte – und entschied danach, ob ihre Hand am Ende potenziell besser oder schlechter sein würde. In diesen gedanklichen Rahmen fasst sie jeden Beschluss, den sie trifft. Entscheidungen können positive und negative Konsequenzen haben. Wichtig ist zu wissen: Wiegt das potenziell Gute das potenziell Schlechte auf?

Um das zu beantworten, brauchen Entscheider zumindest ein grobes Maß dafür, welches Ergebnis mit welcher Wahrscheinlichkeit eintritt. Dazu fehle aber vielen Menschen schon das Vokabular, schreibt Annie Duke. Sie empfiehlt, sich mit den Begriffen der Forscher Andrew und Michael Mauboussin vertraut zu machen. Die beiden legten in einer Studie 1700 Menschen eine Liste mit Dutzenden Begriffen vor, die die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses beschreiben sollten, von „möglich" bis „häufig“, von „vielleicht" bist „könnte passieren“.

Anschließend sollten die Probanden beurteilen, welche prozentualen Wahrscheinlichkeiten sie diesen Worten zuschreiben. Einer „echten Möglichkeit" wurde dabei von unterschiedlichen Teilnehmern eine Eintrittswahrscheinlichkeit zwischen 20 und 80 Prozent zugeschrieben. Die Lektion daraus: Vor allem bei Entscheidungen, die man gemeinsam trifft, sind solche Aussagen keine allzu präzise Diskussionsgrundlage. Selbst über die Worte „immer“ und „nie“ gab es Uneinigkeit. Duke empfiehlt daher, für sich selbst die Begriffe so präzise wie möglich mit Prozentwerten zu füllen. Als Grundlage könnte man repräsentative Daten nehmen – etwa, dass 80 Prozent der Fitnessstudiokunden höchstens einmal pro Woche trainieren – und sie an das eigene Erleben anpassen.

Denken wie ein Bogenschütze

Gerade bei Fragen der Wahrscheinlichkeit gibt es ein Problem: Man muss sie schätzen – und dabei anerkennen, dass zwischen dem eigenen Wissen und der Wirklichkeit eine große Lücke klafft. Davon solle man sich aber nicht entmutigen lassen, so Duke. Sie sieht in der Unterscheidung zwischen ausschließlich richtig und falsch eines der größten Hindernisse für gute Entscheidungen. Diese setzten voraus, „dass man bereit ist zu raten.“ Denn Schätzungen seien nie Zufall, sondern meistens zumindest minimal genauer. Langfristig könne es viel wert sein, in vielen Fällen ein bisschen weniger schlecht zu entscheiden. Duke empfiehlt die Bogenschützen-Mentalität: Diese bekämen schließlich auch nicht nur Punkte, wenn sie die Mitte der Zielscheibe träfen. Aber sie nehmen sie natürlich bei jedem Schuss ins Visier. 

Wann ist Geschwindigkeit wichtiger als Gründlichkeit?

Was ziehe ich heute an? Was will ich heute essen? Was schaue ich heute auf Netflix? Laut Annie Duke verbringen Menschen mehr als 250 Stunden im Jahr mit eben diesen Fragen – ziemlich viel Zeit für Entscheidungen mit derart geringen Auswirkungen. „Analysis paralysis“ nennt Duke das, lähmendes Analysieren. Dabei weist sie auf einen tieferliegenden Zusammenhang hin: Länger über eine Handlung nachzudenken, kostet Zeit. Aber daran zu sparen, kostet Genauigkeit. Die goldene Mitte zu finden, ist alles andere als leicht.

Wie findet man also heraus, ob man sich beeilen kann? Duke empfiehlt den Glückstest – und der geht so: Vor einer Entscheidung fragt man sich, ob das Ergebnis, egal ob gut oder schlecht, das eigene Glück in einem Jahr, einem Monat oder einer Woche beeinflussen wird. Je häufiger man diese Fragen mit nein beantwortet, desto eher kann man sich beeilen. Auch bei sich wiederholenden Optionen muss man sich weniger Zeit lassen – die Entscheidung kommt sowieso wieder, etwa, ob man im Restaurant Fisch oder Fleisch bestellt, welchen Weg man zur Arbeit nimmt oder welchen Kurs man an der Uni wählt. 
Gerade bei Entscheidungen, bei denen die Unterschiede zwischen zwei Ergebnissen minimal sind, könne man sich unendlich lange den Kopf zerbrechen. Oder eben gar nicht. Zum Beispiel beim Urlaub: Hätte man perfekte Informationen über den persönlichen Glücksgewinn einer Reise und würde die Laune bei einem Trip nach Rom um 4,9 Prozent und nach Paris um 5,1 Prozent steigen - sollte man sich dann wirklich um 0,2 Prozentpunkte sorgen? 

Eine letzte Frage vor jeder Entscheidung

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Bei Quiz-Shows fragen Moderatoren gerne noch einmal nach, bevor sie die Antwort letztendlich einloggen: Sind Sie sich wirklich sicher? Bei Entscheidungen ist diese Frage überflüssig, argumentiert Annie Duke. Selbstverständlich ist es möglich, sich mit größtmöglichem Zeiteinsatz einer optimalen Entscheidung anzunähern. Die Frage ist nur: zu welchem Preis? Die meisten Menschen, so Annie Duke, würden versuchen, die Genauigkeit ihrer Entscheidung zu maximieren. Dabei wäre es meistens ausreichend, „gut genug“ anzustreben. Wirklich sicher könne man sich sowieso nicht sein. 

Stattdessen sei eine andere Frage wichtig: Gibt es da draußen irgendwo Informationen, die, wenn ich sie erführe, dazu führten, dass ich anders entschiede? Seien diese Informationen zu erträglichen Kosten erreichbar, sollte man diese bedenken, bevor man entscheidet. Bei vielen Entscheidungen gäbe es diese Informationen zwar, aber sie könnten sich als zu teuer erweisen. Vor einem Umzug herauszufinden, ob man sich in einer Stadt wirklich wohlfühlen würde. Oder vor einer Einstellung, ob jemand wirklich im eigenen Team harmoniert. Dafür bräuchte man dann wirklich eine Glaskugel.

Mehr zum Thema: Wer erfolgreich ist, begründet das gern mit Talent und Eifer, Disziplin und Mut – und unterschlägt, worauf es vor allem ankommt: auf den Zufall.

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