Treffen der Generationen „Zu meiner Oma gehe ich auch nicht in Badeshorts“

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Wettbewerb untereinander und klare Spielregeln für den Erfolg

Ein klassischer Mythos der Start-up-Kultur?
Müller: Sicherlich. Der lockere Umgang kann schnell zu Fehlinterpretationen führen. Viele sehen nicht, dass es sich trotzdem um ein kompetitives Umfeld mit Hierarchien handelt.
Berger: Zum Glück. Ohne Wettbewerb untereinander und klare Spielregeln miteinander wird Erfolg sich nach wie vor schwerlich einstellen.

Birgt dieser lockere Umgang die Gefahr, dass sich Mitarbeiter Ihnen gegenüber zu viel rausnehmen?
Müller: Das Risiko besteht. Zwar versuchen wir auf der einen Seite, Statussymbole von Führungskräften abzubauen, etwa durch eine Reisekostenrichtlinie für alle. Auch der Umgang miteinander darf nicht beeinflusst werden. Wer Chef ist, hat nicht das Recht, andere schlechter zu behandeln. Auf der anderen Seite ist es uns sehr wichtig, dass Hierarchien bei der Entscheidungsfindung gewahrt werden.

Was heißt das konkret?
Müller: Regeln zum Umgang miteinander und zu unserer Arbeitsweise haben wir in unserem sogenannten Kultur-Booklet festgehalten. Da steht unter anderem drin, dass wir den Input aller Mitarbeiter aufnehmen und respektieren. Aber wenn wir Entscheidungen fällen, dann wollen wir nicht, dass darüber noch ewig diskutiert wird. Gerade in einer etwas lockereren Atmosphäre muss klar sein, was geht und was nicht. Basisdemokratie in einer Firma führt zu Ineffizienz.
Berger: Da stimme ich Ihnen zu. Nur musste das früher nicht irgendwo niedergelegt werden. Es war klar, wer die Entscheidungen trifft und wer die anderen bei deren Umsetzung mitnehmen musste.

Sie halten nichts von flachen Hierarchien?
Berger: Doch. Wenn das Ziel klar ist, sollten die Mitarbeiter unbedingt frei sein in der Ausgestaltung des Weges dahin. Sie sind die Experten. Die Japaner haben in den Achtzigerjahren schon so gearbeitet: Bottom-up im multidisziplinären Team entscheiden, in der Hierarchie umsetzen. Sie waren uns damit weit voraus, vor allem in der Autoindustrie. Das ist ja der große Vorteil einer globalisierten Wirtschaft: Man kann sehr schnell von anderen Kulturen lernen.

Deshalb pilgern Manager heute ins Silicon Valley. Eine gute Idee?
Müller: Prinzipiell ist es immer sinnvoll, über den eigenen Tellerrand zu gucken. Man muss eben aufpassen, was man übernimmt. Die angelsächsische Kultur etwa ist sehr viel opportunistischer als die europäische. Mir gefällt das nicht. Dort werden nur die Leute gut behandelt, die in den nächsten sechs Monaten nützlich sind.
Berger: Genau. Im Silicon Valley geht es oft darum, wie man die billigsten und flexibelsten Mitarbeiter bekommt. Zum Dank gibt es ein Fitnessstudio und kostenlose Kekse. Mit Wertschätzung hat das nichts zu tun.

Leidet die Wertschätzung auch unter einer modernen, informellen Kommunikation?
Müller: Nein. Aber man muss schon aufpassen, dass die Wertschätzung nicht zugunsten von Schnelligkeit flöten geht. Ich kommuniziere mit meinen Mitarbeitern viel über WhatsApp. Das ist natürlich weniger formell, da fällt schon mal die Anrede weg. Manchmal kommt bei meinen E-Mails auch der komplette Text in die Betreffzeile. Die Angestellten wissen aber genau, dass ich das nicht schroff meine oder Befehle herabregnen lasse, sondern vor allem Zeit sparen will.

Herr Berger, hätten Sie diese Kanäle früher auch genutzt?
Berger: Ja. Alles, was die Übermittlung von Informationen beschleunigt, ist gut. Die Frage der Wertschätzung muss man unabhängig davon lösen, am besten im persönlichen Gespräch. Zu meiner Zeit waren viele Dinge anders, auch aus Gründen der Wertschätzung. Heute haben sich selbst Menschen meiner Generation daran gewöhnt, Geburtstagsgrüße per SMS zu erhalten. Zu besonderen Anlässen schreibe ich aber nach wie vor Briefe.

Zum Beispiel, als Joe Kaeser Siemens-Chef wurde.
Berger: Genau. Das war mir wichtig für unsere Beziehung und ihm anscheinend auch. Er hat mir zurückgeschrieben, er habe gemerkt, dass mein Brief von mir persönlich kam und nicht von einem Assistenten.

Wann haben Sie das letzte Mal einen Brief geschrieben, Herr Müller?
Müller: Von Hand? Ich weiß gar nicht, ob ich das überhaupt schon mal gemacht habe. Aber darum geht es ja auch nicht. Wertschätzung ist immer dann gegeben, wenn man sich Zeit für jemanden nimmt. Es gibt auch andere Formen, jemandem Zeit zu schenken, als einen Brief zu schreiben.

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