WirtschaftsWoche: Herr Berger, stellen Sie sich vor, ein Geschäftspartner erscheint in Flipflops und kurzer Hose. Was denken Sie?
Herr Roland Berger: Gar nichts.
Dieses Outfit würde Ihren ersten Eindruck nicht beeinflussen?
Berger: Es ist mir egal, was jemand anzieht. Eine Krawatte trage ich vor allem aus Gewohnheit. Weil ich mein ganzes Leben mit Menschen zu tun hatte, die gerne eine sehen wollten.
Herr Müller, Sie trugen tatsächlich Flipflops und kurze Hose, als Sie den stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Otto Gruppe zum ersten Mal trafen. Wie reagierte er?
Müller: Ihn hat das überhaupt nicht gestört. Interessanterweise war es der Pförtner, der mich zuerst nicht reinlassen wollte.





Warum haben Sie dieses Outfit angezogen?
Müller: Ich war damals 17 Jahre alt, und es war ein warmer Tag. Ich hatte zu der Zeit zwar schon eine relativ große E-Commerce-Firma aufgebaut, mir war aber trotzdem nicht bewusst, welche Stellung ein Vorstand hat und welches Outfit angemessen wäre. Ich hatte mich auf die Sache sehr gut vorbereitet, nicht aber auf den Gesprächspartner.
Herr Berger, hätten Sie sich das auch getraut?
Berger: In dem Alter sicherlich. Etikette muss man erst lernen – heute sind die Regeln eben anders als damals.
Inwiefern?
Berger: Die Einstellung der jungen Menschen zum Arbeitsumfeld hat sich gewandelt. Mit oder ohne Anzug – diese Frage stellte sich früher nicht. Heute müssen wir jungen Beratern zu Beginn oft erst mal erklären, dass viele Kunden Krawatten und Anzüge tragen. Und dass es nicht schlecht wäre, sich da kleidungsmäßig anzupassen.
Weil Kleidung auch etwas mit Respekt zu tun hat?
Berger: Ich denke schon. Der Kunde ist das Wichtigste, was wir haben. Er sollte das Gefühl haben, dass man seine Probleme versteht und nicht in einer völlig anderen Welt lebt. Und dazu gehört es, sich möglichst dessen Gepflogenheiten anzupassen.
Herr Müller, verbiegen Sie sich für Ihre Kunden und Geschäftspartner ebenfalls?
Müller: Verbiegen klingt so hart. Ich habe jedenfalls schnell die Erfahrung gemacht, dass es nicht hilft, sein Gegenüber zu irritieren – was so ein komplett anderes Outfit durchaus tut. Ich habe verstanden, dass nicht ausschließlich die Sache wichtig ist, sondern auch ein Verständnis für die handelnden Personen und Umstände. Insofern habe ich nach meinem ersten Otto-Termin auch meine Klamotten angepasst und mich besser auf meine Gesprächspartner vorbereitet.
Und jetzt sieht man Sie in Anzug und Krawatte?
Müller: Nein, das wäre nicht authentisch. Ein Hemd trage ich schon häufiger, aber das empfinde ich nicht als Verbiegen. Wenn ich meine Oma besuche, gehe ich da auch nicht in Badeshorts hin. Verbiegen muss ich mich trotzdem nicht. Es gehört eben dazu, dass beide Parteien eine möglichst entspannte Situation herstellen.
Herr Berger, wie viele Mitarbeiter durften Sie früher duzen?
Berger: Niemand. Ich habe viele alte Freunde, mit denen ich mich sieze – und viele jüngere auch.

Ist das nicht seltsam?
Berger: Nein. Zu unserer Zeit gingen der Duzerei nicht selten Quanten an Alkohol voraus. Diese Art von Kumpelei mochte ich nie. Warum duzen sich heute alle? Weil wir in einer angelsächsisch geprägten Welt tätig sind und sich dort alle mit Vornamen anreden. Die Deutschen meinen fälschlicherweise oft, das wäre gleichbedeutend mit Du.
Verändert die informelle Anrede die Zusammenarbeit?
Müller: Ob man sich duzt oder siezt, hat nichts damit zu tun, wie man miteinander umgeht.
Berger: Heutzutage duzen Berater sich untereinander. Das heißt aber keinesfalls, dass echte Freundschaft und guter Umgang überwiegen. Wettbewerb untereinander und teilweise unangemessene Verhaltensweisen gibt es trotzdem.
Müller: Da stimme ich zu. Es ist trügerisch, wenn Unternehmen das Duzen einführen und glauben, dass sich nur dadurch Umgang und Unternehmenskultur verändern. Das Duzen kann sicherlich eine Geste sein, um einen Veränderungsprozess symbolisch einzuläuten – mehr aber nicht.