Türkische Fachkräfte kommen nicht Warum das Chaos an den Flughäfen weiter anhält

Aus der Türkei soll Personal an die Flughäfen kommen. Quelle: imago images

Seit Wochen herrscht Chaos an den deutschen Flughäfen und die Personaldienstleister können kaum aushelfen. Eigentlich sollte Personal aus der Türkei kommen und das Problem lösen. Das klappt aber nicht.

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Mitarbeiter für Flughäfen aus der Türkei anwerben und damit das Problem hier in Deutschland lösen? Thomas Richter ist der Mann, der die Sache angestoßen hat: Als er sich Anfang Mai mit einem Mandanten aus der Türkei unterhält, macht dieser ihn darauf aufmerksam, dass man das deutsche Flughafenproblem mit türkischem Flughafenpersonal lösen könnte. Eigentlich ist Richter Steuerberater in seiner Kanzlei Claus & Richter und betreut schon seit Jahren Unternehmen im Bereich der Flughäfen.

Für all jene, die in den Urlaub fliegen, ist der Beginn der schönsten Zeit des Jahres bislang noch ziemlich frustrierend: Das Einchecken dauert ewig, dann hat der Flug Verspätung – oder wird sogar häufig ganz gestrichen. Weil Personal fehlt: beim Check-in, in der Sicherheitskontrolle, bei der Gepäckabfertigung, auf dem Rollfeld. Thomas Richter setzt sich dafür ein, das zu ändern: Als Vorsitzender des Arbeitgeberverbands der Bodenabfertigungsdienstleister im Luftverkehr (ABL) hat er einige Kontakte in die Flugbranche und so ist er gemeinsam mit dem ABL, dem Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft sowie dem Flughafenverband ADV und dem Verband kommunaler Arbeitgeber VKA auf die Politik zugegangen.

Aber wie realistisch ist das?

Insgesamt wurden laut Personalmarktforschungsunternehmen Index Research im ersten Halbjahr 2022 rund 1400 Stellen für Sicherheitsleute und 910 Stellen für Flugzeug-, Gepäck- und Frachtabfertigung ausgeschrieben. „Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind das 261 Prozent mehr Ausschreibungen im Abfertigungsbereich“, sagt Jürgen Grenz, Geschäftsführer der Index Gruppe. Eigentlich „hätte das im November oder Dezember 2021 schon auf Hochtouren laufen müssen, um für die Sommersaison 2022 gewappnet zu sein“.

Zuverlässigkeitsprüfung: Die Personalhürde an Flughäfen

Nun, da deutlich ist, dass das Reisen ohne Einschränkungen wieder möglich ist – und die Menschen dazu auch Lust haben, zeigt sich das Dilemma: „Der Arbeitsmarkt ist aktuell leer“, sagt Ralf Eisenbeiß vom Personaldienstleister Franz und Wach, die Arbeitsplätze vermitteln. Während der Coronapandemie, in der viele Dienstleister aus der Branche Kurzarbeit angemeldet haben, suchten sich viele einen neuen Job. Die Anforderung alle Flughafenmitarbeiter sind hoch, wie Eisenbeiß erläutert: „Die EU sieht vor, dass wir eine lückenlose Abdeckung der Meldeadressen über die letzten zehn Jahre und jeden Arbeitsvertrag der letzten fünf Jahre von jedem potenziellen neuen Flughafenmitarbeiter vorlegen müssen. Insbesondere das Einholen sämtlicher Meldebescheinigungen von den Kommunen ist extrem zeitaufwändig.“

Das erschwert die Suche nach neuem Personal: „Normalerweise brauchen wir ungefähr zehn Wochen, um alle Unterlagen zu bekommen und neben der Zuverlässigkeitsüberprüfung die künftigen Mitarbeiter schon mal in Schulungen zu schicken“, so Eisenbeiß. Für Personal, das aus dem Ausland wie etwa der Türkei kommt, ist noch mehr Zeit nötig: „Das dauert mindestens sechs Monate und lohnt sich für Flughafenpersonal überhaupt nicht. Das funktioniert in der kurzen Zeit auch nicht“, erklärt Eisenbeiß.

Hilfskräfte aus der Türkei

Richter lässt sich davon nicht entmutigen. „Ich habe mit einem Logistik Unternehmen vom Flughafen Istanbul gesprochen und die haben mir zugesichert, dass 2000 Leute für das Be- und Entladen aushelfen können“, sagt er. Das Unternehmen versprach laut Richter, dass sie qualifiziertes Personal mit Führerschein, A2-Deutschkenntnissen und Gefahrgutschulungen zur Verfügung stellen werden kann.



Und doch sieht auch Richter die Hürde der Zuverlässigkeitsprüfung, die Eisenbeiß für die entscheidende beim Ad-hoc-Recruiting hält, und will diese gar nicht klein reden: „Die macht es schwierig, Leute aus dem Ausland zu holen“, sagt er. Denn diese strenge Auflage bedeutet: Jeder Bewerber, jede Bewerberin muss einzeln geprüft werden und ein polizeiliches Führungszeugnis ohne Einträge, einen lückenlosen Wohnortnachweis der letzten zehn Jahre sowie einen nahezu lückenlosen Nachweis der Erwerbstätigkeit der letzten fünf Jahre vorlegen.

Gemeinsam mit der Politik wurde eine Lösung gefunden, wie er berichtet: „Die Ministerien haben für die Türkei die Einzelfallprüfung ausgesetzt.“ Damit brauchen die Flughäfen und Dienstleister, welche Mitarbeitende aus der Türkei einstellen wollen, sich nicht jeden Einzelfall durch die Agentur für Arbeit genehmigen lassen, es gibt eine pauschale Genehmigung für drei Monate bis zum 6. November 2022. „Alle Mitarbeiter aus der Türkei müssen noch eine Luftsicherheitsprüfung machen. Das geht online. Und hier in Deutschland werden sie dann am Flughafen angelernt“, erläutert Richter.

Derzeit suchen laut Richter vor allem die Flughäfen Düsseldorf, Frankfurt am Main und Nürnberg sowie München, Münster/Osnabrück und Köln nach Personal. „Früher wurden die Flüge mehr über den Tag verteilt. Heute rücken die Spitzen, also die Zeitpunkte, in denen viele Menschen mit vielen Flugzeugen fliegen, immer näher zusammen“, sagt Richter. Damit brauche man zu den Zeiten auch mehr Personal und mehr Equipment – was bei Spitzenbelastung knapp wird. Durch das zusätzliche Personal aus der Türkei könnte es nun besser werden.

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Doch bei den zuständigen Behörden ist laut der Zeitung „Welt“ bisher kein Antrag aus der Türkei eingegangen: „Die Situation stabilisiert sich zwar. Die eingeleiteten Ad-hoc-Maßnahmen zeigen Wirkung. Dennoch sind wir nicht zufrieden. Die aktuellen Bedingungen entsprechen nicht unseren Ansprüchen“, sagte Ralph Beisel, Hauptgeschäftsführer des Flughafenverbands ADV demnach. Er gehe davon aus, dass erst ab Oktober mit Verbesserungen gerechnet werden könne. Dann aber sind die Ferien und die Hauptreisezeit schon vorbei.

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Transparenzhinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am 16. Juli 2022 veröffentlicht. Wir haben ihn aktualisiert.

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