Überforderte Arbeitnehmer Hilfe, mein Job bringt mich noch um

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10 Tipps zum Nein-Sagen
Gemeinsame MaßstäbeNein sagen fällt vielen schwer - besonders dann, wenn die Bitte vom Chef kommt. Wird aber immer mehr gefordert, müssen Grenzen gesetzt werden. Wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt, kann man sich immer auf den gemeinsamen Arbeitsvertrag berufen. Außerdem gibt es Tarifverträge und Arbeitsschutzrechte. Da sind Arbeitszeiten, Urlaube und andere Dinge klar geregelt. Gegen das Gesetzt hat auch der höchste Chef keine Chance, allerdings sollten Sie damit vorsichtig sein. Nur wenn Sie ihre Rechte genau kennen, sollten sie sich darauf berufen. Quelle: dpa
Selbstvertrag Jeder Arbeitnehmer sollte sich einen Selbstvertrag aufsetzen. Zu was kann ich Ja sagen? Wobei fühle ich mich wohl? Wobei unwohl? Erst wenn Sie genau wissen, was Sie wollen und was nicht, können Sie es überzeugt dem Chef vermitteln. Dabei müssen Sie immer ihr eigener Zeuge bleiben. Wenn Überstunden an mehr als zwei Tagen die Woche nicht mit ihrer eigenen Überzeugung vereinbar sind, dann müssen Sie konsequent sein. Am einfachsten geht das, wenn Freunden oder Kollegen von ihren Richtlinien erzählen. Dann fällt das Nein-Sagen schon viel leichter. Quelle: dpa
Zeit nehmen Nehmen Sie sich Zeit, bevor Sie auf Fragen oder Forderungen reagieren. Viele reagieren reflexartig mit "Ja". Hier liegt der Fehler: Mahnen Sie sich selbst, sich Zeit zu nehmen. Bedenkzeit ist wichtig, um das Für und Wider abzuwägen. Gehen Sie nach ein paar Minuten zu ihrem Chef und teilen Sie ihm ihre Entscheidung mit. Dabei: Freundlich, aber bestimmt bleiben. Quelle: dpa
Mauer hochziehen Sollte ihr Chef das Nein nicht akzeptieren und immer weiter fragen, ziehen Sie eine Mauer hoch. Signalisieren Sie deutlich: Ich weiche keinen Schritt zurück. Das ist meine Meinung und dabei bleibe ich. Das entmutigt den Chef. Quelle: dpa
Alternativen geben Wenn Sie an einem Projekt sitzen und schon den vierten Tag in Folge Überstunden machen müssen, vermitteln Sie ihrem Chef: Das ist zu viel. Aber gehen Sie nicht einfach ohne die Arbeit zu beenden. Kommunikation ist wichtig. Geben Sie ihrem Chef Alternativen: Sie könnten ihre Prioritäten verschieben, in einem anderen Bereich weniger machen oder Kollegen an dem Projekt beteiligen. Sollte ihr Chef dem nicht zustimmen, schlagen sie vor stattdessen an anderen Tagen der Woche frei zu bekommen. Quelle: dpa
PrinzipienWenn ihr Chef Sie um etwas bittet und Sie nennen Gründe, können diese schnell abgeschmettert werden. "Sie wollen um 15 Uhr in die Mittagspause? Gehen Sie doch einfach um 17 Uhr." Prinzipien sind von außen allerdings nicht so leicht angreifbar. Wenn ihr Prinzip ist, dass Sie jeden Tag nach sechs Stunden Pause machen, kann das ihr Chef nicht so leicht anfechten. Quelle: dpa
Drehen Sie den Spieß um Sie sind überarbeitet, frustriert oder krank? Haben schon wieder zu viel gearbeitet und brauchen endlich mal einen Tag Urlaub? Dann ziehen Sie Grenzen. Sagen Sie ihrem Chef, dass Sie der Firma nur schaden und möglicherweise Fehler machen. Es nützt dem Unternehmen wenig, wenn Sie nicht voll einsatzfähig sind. Quelle: dpa

Und ob Top-Manager, Abteilungsleiter oder einfacher Angestellter: Die Hilferufe kommen aus allen Hierarchieebenen und verschiedensten Branchen. 80 Hamburger Staatsanwälte beschwerten sich im vergangenen Juni bei Justizsenatorin Jana Schiedek über regelmäßige 60-Stunden-Wochen, Verdi kämpft für überlastete Mainzer Briefträger, deren Zustellbezirke immer größer werden. Im Herbst warnten sechs Polizeipräsidenten aus Großstädten in Nordrhein-Westfalen im Namen ihrer Mitarbeiter vor dem Kollaps. Im Sommer 2012 verursachte eine Ärztin aus Krefeld einen Unfall, bei dem sie und eine andere Frau ums Leben kamen – sie war auf dem Nachhauseweg von einer 26-Stunden-Schicht. Und im vergangenen August starb ein deutscher BWL-Student, der sich im Internet selbst als „sehr wettbewerbsorientiert und ehrgeizig“ beschrieben hatte, während seines Praktikums bei der Investmentbank Bank of America Merrill Lynch an einem epileptischen Anfall, nachdem er drei Tage und Nächte durchgearbeitet hatte.

So weit wollte es Hector Sants offenbar nicht kommen lassen. Der Chef der Compliance-Abteilung der Londoner Großbank Barclays, der als harter Sanierer gilt und Skandale wie die Libor-Manipulation aufarbeiten sollte, ließ sich im vergangenen Oktober freistellen, um wegen Erschöpfung und Stress bis Januar eine Pause einzulegen. Doch dann überlegte er es sich anders – und kündigte Mitte November, weil er sich den Stressjob nicht mehr antun wollte. Und ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger verlässt trotz Konzernkrise meist zwischen 18 und 19 Uhr sein Büro, nimmt sich Zeit für Gartenarbeit sowie Spaziergänge mit Hund und Frau. Sein Smartphone hat er vom Esstisch verbannt, nachts schaltet er es immer aus.

Christian Fischeln* konnte von so einem Zeitplan viele Jahre nicht einmal träumen. Der Facharzt, angestellt in einer Klinik, „fuhr permanent am Limit“, wie er sagt. Der Grund: Das Krankenhaus hatte tägliche, unbezahlte Überstunden der Ärzte schon im Schichtplan einkalkuliert. 17 Tage in Folge Elf-Stunden-Dienste waren die Regel. Dass ausgerechnet Ärzte durch den immer stärkeren wirtschaftlichen Druck nicht nach der Qualität ihrer Arbeit gemessen wurden, sondern nur nach Fallzahlen, setzte Fischeln besonders zu: „Ich habe mich gefühlt wie in einer Schraubenfabrik.“

Die schlechtesten Jobs in Deutschland
10. Sozialarbeiter*Die errechneten Punktzahlen bestimmen, ob die positiven Faktoren eines Berufs die negativen überwiegen. Positive Punktzahlen bekommen die Berufe, bei denen die positiven Faktoren überwiegen. Die Maximalpunktzahl von 100 wäre erreicht, wenn ein Beruf bei Gehalt sowie Perspektiven die volle Punktzahl erzielt und gleichzeitig keinerlei negative Faktoren aufweisen würde. Quelle: Fotolia
9. Haushälter Quelle: Fotolia
8.Altenpfleger Quelle: AP
7. Kellner Quelle: AP
6. Kraftfahrer Quelle: AP
5. Elektriker Quelle: dpa
4. Küchenchef Quelle: Fotolia

Keine Zeit für die Pflege von Freundschaften

Die Folgen: ein „Totalverzicht auf Privatleben“ – für die Pflege seiner Freundschaften fehlte ihm schlichtweg die Zeit. Immer seltener konnte sich Fischeln nach dem anstrengenden Klinikalltag noch dazu aufraffen, Freunde zu treffen, wollte nichts mehr unternehmen und keine Anreise antreten. Warum Konzerttickets kaufen, wenn man sowieso damit rechnet, dass man abends auf Schicht ist oder zu müde, das Haus zu verlassen. Statt sich im Urlaub in exotischen Ländern von den Strapazen des Klinikjobs zu erholen, verbrachte Fischeln die angeblich schönste Zeit des Jahres damit, liegen gebliebene Rechnungen zu überweisen oder Treffen mit Freunden nachzuholen.

Bis er nicht mehr konnte. Und, mit Unterstützung seines Chefs, die Klinikgeschäftsführung verklagte, weil er seine Überstunden ausbezahlt haben wollte. Der Vergleich bescherte Fischeln den Löwenanteil seiner Forderungen. Weil danach auch die übrigen Ärzte Druck machten, musste das Krankenhaus schließlich Betten sperren, weniger Patienten aufnehmen und ein System für Freizeitausgleich installieren.

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