Überforderte Arbeitnehmer Hilfe, mein Job bringt mich noch um

Nicht nur die Arbeit, auch das Familienleben und der Konsum scheinen uns immer mehr Zeit und Kraft zu rauben. Warum wir immer häufiger mit dem Job und dem Alltag überfordert sind und wie man sich Freiräume schafft.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die stressigsten Jobs der Welt
Taxen Quelle: dpa
Zeitungsjournalisten Quelle: REUTERS
Reporter Quelle: dpa
Vorstandsmitglieder Quelle: Fotolia
Pressesprecher Quelle: dpa
Event-Manager Quelle: dpa
Polizisten Quelle: AP

Samstags und sonntags mal so richtig ausschlafen – bis sieben Uhr: Was wie ein Widerspruch klingt, war für Sybille Knauf* mehr als 15 Jahre lang tatsächlich Luxus. Denn auch am Wochenende klingelte früh morgens der Wecker, musste die alleinerziehende Mutter doch an diesen beiden Tagen nachholen, was sie unter der Woche nicht schaffte: Wäsche waschen, sauber machen, Rechnungen überweisen, den Großeinkauf erledigen. Außerdem die Tochter zum Reitturnier fahren – und wenn irgend möglich, den mehrfach aufgeschobenen Friseurtermin dazwischen quetschen.

Von Montag bis Freitag ist Knaufs Nachtruhe schon um fünf Uhr vorbei. Dann heißt es ab unter die Dusche, Frühstück machen, die Tochter wecken, ihr Pausenbrot schmieren. Um sieben Uhr setzt Knauf die 14-Jährige am Bahnhof ab. Fährt weiter zur Arbeit nach Frankfurt, immer die Angst vor einem Stau im Nacken auf der mehr als 50 Kilometer langen Strecke.

Acht Stunden Teilzeit

Die Betriebswirtin ist Assistentin der Geschäftsleitung bei einer IT-Beratung. Obwohl sie nur in Teilzeit arbeitet, ist sie meistens acht Stunden im Büro – betreut die Außendienstler, plant Werbeaktionen, schreibt E-Mails, erstellt Abrechnungen. Nur donnerstags beginnt schon gegen 16.30 Uhr das Schielen auf die Uhr – und die bange Frage: Kann ich rechtzeitig Schluss machen? Schließlich startet pünktlich mit dem Feierabend um 17 Uhr das nächste Rennen gegen die Zeit: Knauf muss ihre Tochter einsammeln, zum Musikunterricht bringen und eine Stunde später wieder abholen. Zeit, die sie minutiös verplant hat – zum Einkaufen. Zu Hause angekommen, heißt es Abendessen kochen, die Hausaufgaben der Tochter kontrollieren, nach dem Essen die Küche aufräumen. Gegen 22 Uhr geht Knaufs Tochter ins Bett – für ihre Mutter der erste Moment des Tages, an dem sie ein wenig abschalten kann. Meist setzt sie sich dann aufs Sofa, nimmt ein Buch zur Hand – und nickt nach drei Seiten Lektüre ein.

„Ich lebte jahrelang im Hamsterrad“, sagt die heute 56-Jährige. „Meine Tage waren durchgetaktet.“

So klappt es mit dem Teilzeitjob
Gesetzliche RahmenbedingungenIn einem Unternehmen mit 15 oder mehr Mitarbeitern haben Arbeitnehmer, die länger als sechs Monate angestellt sind,  prinzipiell einen Anspruch auf die Reduktion ihrer Arbeitszeit. So sagt es das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Ziel dieses Gesetzes ist explizit eine Förderung der Arbeit in Teilzeit. Quelle: Fotolia
AntragDen schriftlichen Antrag auf Verringerung der Arbeitszeit muss ein Arbeitnehmer stellen,  drei Monate, bevor er mit der Teilzeitarbeit beginnen möchte. Dabei sollte er bereits einen Vorschlag zur Verteilung der Arbeitszeit machen. Der Arbeitgeber ist aufgefordert, sich mit dem Arbeitnehmer auf eine für beide Seiten zufrieden stellende Lösung zu einigen. Ist ein Kompromiss nicht zu realisieren, muss der Arbeitgeber den Antrag des Arbeitnehmers schriftlich ablehnen. Die Frist dafür endet einen Monat vor dem gewünschten Beginn der Teilzeit. Versäumt der Arbeitgeber diesen Termin, gilt der Vorschlag des Arbeitnehmers als festgelegt. Quelle: Fotolia
AusnahmeArbeitgebern schreibt das Gesetz vor, dem Wunsch nach Verringerung der Arbeitszeit zuzustimmen, sofern nicht betriebliche Gründe dagegen sprechen. Ein solcher Grund, dem Antrag auf Teilzeit zu widersprechen, liegt vor, wenn die Verringerung der Arbeitszeit die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt. Außerdem dürfen dem Arbeitgeber keine unverhältnismäßigen Kosten entstehen. Quelle: Fotolia
GleichberechtigungEin teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber hat dafür Sorge zu tragen, dass auch Teilzeitbeschäftigte an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen können. Quelle: Fotolia
EinbußenGehalt sowie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld bemessen sich an der verkürzten Arbeitszeit. Gleiches gilt für Urlaubstage. Außerdem sollten Arbeitnehmer sich darüber im Klaren sein, dass sie aufgrund des geringeren Einkommens auch geringere Rentenansprüche erwerben. Quelle: Fotolia
Zurück in die VollzeitEin festgeschriebenes Rückkehrrecht für Teilzeitbeschäftigte in eine Vollzeitbeschäftigung gibt es nicht. Allerdings müssen Mitarbeiter, die diesen Wunsch äußern, bei der Besetzung einer neuen Stelle bei gleicher Qualifikation bevorzugt werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, die Teilzeitarbeit von vorneherein zeitlich zu befristen. Quelle: Fotolia
Zwei TeilzeitstellenGrundsätzlich dürfen Arbeitnehmer für zwei Arbeitgeber in Teilzeit arbeiten. Der Zweitverdienst sollte den jeweiligen Arbeitgebern allerdings angegeben werden. Verboten sind allerdings Zweitjobs bei der Konkurrenz: Sie können den Arbeitgeber zur Abmahnung, fristlosen Kündigung oder sogar Schadenersatzansprüchen berechtigen. Quelle: Fotolia

Richtig anstrengend wird es für Knauf, wenn die monatliche Abrechnung ansteht – mit Auflistungen, welche Mitarbeiter wann und bei welchen Kunden im Einsatz waren. Für Knauf bedeutet das: Wochenendschichten, meist bis Mitternacht.

Überfordert

Der Grund für ihre Überstunden: Ihre Zielvereinbarungen sind identisch mit denen ihrer in Vollzeit tätigen Kollegen. Und sie braucht den Bonus, schickt sie ihre Tochter doch auf eine teure Privatschule – nicht nur, weil es an ihrem Wohnort keine Schule mit Ganztagsbetreuung gibt.

„Eine gute Ausbildung für meine Tochter war mir immer sehr wichtig“, sagt die Alleinerziehende, die in vielen Situationen den Druck verspürt, mithalten zu müssen mit den Möglichkeiten, die die Klassenkameraden ihrer Tochter haben: Deren Eltern finanzieren ihren Kindern selbstverständlich den Führerschein, das dazugehörige Auto und einen Auslandsaufenthalt. Auch Knaufs Tochter will mit 17 Jahren für zwölf Monate nach London. Ein Wunsch, den die Mutter ihr nicht abschlagen möchte. Der leibliche Vater ihrer Tochter zahlt zwar einen Teil der Aufenthaltskosten, dennoch muss Knauf an ihre Ersparnisse ran.

„Ich hatte nie genug Zeit, immer zu wenig Geld und deshalb ein schlechtes Gewissen“, sagt Knauf.

Ihr Fall ist typisch für die heutige Zeit: Ob alleinerziehende Mutter mit Teilzeitjob oder Familienvater mit 70-Stunden-Woche – die Zahl derer steigt, die sich überfordert fühlen von dem Versuch, ihr Leben mit all seinen Facetten im Griff zu behalten.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%