Ob als Angestellter, der willens ist, regelmäßig einen Schritt auf der Karriereleiter nach oben zu machen, die sich aber zunehmend als Hamsterrad entpuppt, weil im Zuge von Rationalisierungsprogrammen immer mehr Aufgaben auf immer weniger Mitarbeiter mit immer höheren Zielvorgaben konzentriert werden. Wo erste E-Mails schon auf dem Weg zur Arbeit beantwortet, Anrufe vom Chef auch weit nach Feierabend entgegengenommen werden und Projekte nur mit Überstunden zu stemmen sind.
Oder als Unternehmer, mit der Verantwortung für Hunderte Mitarbeiter und das erfolgreiche Fortführen einer traditionsreichen Firmenhistorie – immer mit der Angst vor zunehmend globaler Konkurrenz und sinkenden Margen im Nacken.
Oder als Vater oder Mutter, die ihren Kindern optimale Bedingungen für ihre Entwicklung bieten wollen, ihnen bei den Hausaufgaben helfen und auch dann Elternsprechtage oder das Fußballturnier ihrer Kinder nicht verpassen wollen, wenn sich auf dem Schreibtisch die Arbeit türmt. 65 Prozent aller Eltern mit Kindern unter 16 Jahren haben das Gefühl, nicht allen Anforderungen gerecht zu werden. Das ergab die Vorwerk Familienstudie 2013, die das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) für den Staubsaugerkonzern aus Wuppertal erhoben hat. Vor allem berufstätige Mütter hätten gerne mehr Zeit für die Familie. Und laut einer Untersuchung des Personaldienstleisters Hay Group fühlt sich jeder zweite Mitarbeiter von seinem Unternehmen im Stich gelassen.
"Kultur der Sorglosigkeit"
Bernhard Badura, Gesundheitsforscher und Emeritus an der Universität Bielefeld, macht bei vielen Unternehmen „eine Kultur der Sorglosigkeit“ aus, wenn es um die Arbeitsüberforderung ihrer Mitarbeiter geht. In den vergangenen 20 Jahren ist die Zahl der psychischen Erkrankungen um 120 Prozent gestiegen und damit auch die durch sie verursachten Fehlzeiten bis 2011 – im Schnitt auf 22,5 Tage, heißt es im Fehlzeiten-Report 2012 der AOK. Und laut einer Studie der Bundespsychotherapeutenkammer sind psychische Erkrankungen bei fast jedem zweiten Frührentner der Grund für sein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Beruf.
Gleichzeitig, so schätzt Arbeitspsychologe Stefan Poppelreuter, leben in Deutschland rund 400.000 Menschen mit einer krankhaften Arbeitssucht – diese Menschen gönnen sich jenseits der Arbeit nur minimale Pausen fürs Schlafen, Waschen, Essen.
Was bei Müttern und Vätern zu kurz kommt
Der Beruf ist das Schlusslicht unter den Dingen, die Eltern zu kurz kommen: Gerade mal 12 Prozent der befragten Mütter und 8 Prozent der befragten Väter fanden, sie würden zu wenig Zeit in ihre Arbeit investieren.
Befragt wurden liierte Eltern von Kindern unter 16 Jahren, die angaben, nicht allen Anforderungen gerecht zu werden.
Quelle: Inst. für Demoskopie Allensbach
Ob die eigenen Freunde zu kurz kommen oder nicht, wird geschlechtsspezifisch differenziert wahrgenommen: Zwar findet auch fast ein Drittel (32 Prozent) der befragten Frauen, dass sie ihren Freunden nicht genug Zeit widmen, bei den Männern sind es mit 56 Prozent jedoch erheblich mehr.
Hier ist die Diskrepanz zwischen Mann und Frau nicht ganz so groß wie bei der unterschiedlichen Wahrnehmung in Bezug auf die Vernachlässigung von Freundschaften. Ein klarer Trend ist aber auch hier erkennbar. Nur 21 Prozent der befragten Männer glaubten, sie müssten eigentlich mehr im Haushalt tun. Bei den Frauen waren es hingegen 35 Prozent.
Weit über zwei Drittel der befragten Männer gaben an, ihre Kinder kämen in ihrem Zeitmanagement zu kurz. Bei den Frauen waren es 41 Prozent.
Auch die Partnerschaft kommt mehr Vätern als Müttern zu kurz: Zwar sagen 47 Prozent der befragten Frauen, ihr Partner bekäme zu wenig Zeit gewidmet, bei den Männern allerdings sind es 73 Prozent.
Dass sie selbst zu kurz kommen, finden 53 Prozent der befragten Männer und 56 Prozent der befragten Frauen.
„Die Unvereinbarkeit von Arbeit und Familie ist der größte Treiber für den Stress, den wir fast rund um die Uhr empfinden“, sagt Hartmut Rosa, Professor für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Entweder fühlt man sich gegenüber seinen Kindern schuldig, weil man die Aufführung der Schultheatergruppe verpasst. Oder man geht früher von der Arbeit nach Hause und lässt die Kollegin mit dem Projekt hängen.“
Kassierersyndrom
Was früher schnellere Maschinen und Transportmittel eingespart hätten, müssten jetzt die Mitarbeiter rausholen, sagt Zeitforscher Karlheinz Geißler. „Die Technik ist am Limit.“ Die Zeitverdichtung damit allgegenwärtig, die Arbeit nie erledigt, weil die nächste Aufgabe immer schon wartet. „Viele Arbeitnehmer messen einen erfolgreichen Tag am Erschöpfungszustand, seitdem feste Arbeitszeiten der Vergangenheit angehören.“
Tim Hagemann, Professor für Arbeitspsychologie an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld, spricht in diesem Zusammenhang vom Kassierersyndrom. „Je schneller der Kassierer ist, desto mehr Leute stellen sich in seine Schlange.“
Dies kann dank flexibler Arbeitszeiten zum Verhängnis werden. Denn diese Freiheit kommt nur demjenigen zugute, der auch damit umgehen kann. „Stechuhren können manche Menschen vor Selbstausbeutung schützen“, sagt Hagemann.