Überleben im Büro Bleiben Sie authentisch

"Die Hölle, das sind die anderen." Für diese Erkenntnis genügt der Gang ins Büro. "Unter Kollegen - 44 Überlebensstrategien fürs Büro" gibt einen Einblick in den täglichen Wahnsinn. Kapitel zwei: Schein und Sein.

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Ein Männeroberkörper in einem Anzug Quelle: Przemyslaw Koch

Es ist eine Art ungeschriebenes Erfolgsrezept, dass wir dann im Job am effektivsten agieren, wenn wir von unserer Umgebung genau so wahrgenommen werden, wie wir uns selbst empfinden. Doch diese Kongruenz tritt leider nur ganz selten ein. Kurz bevor ihm seine mafiose Machtfülle entgleitet, leistet sich der Firmencapo Al Pacino alias Michael Corleone im zweiten Teil des Paten folgende Fehleinschätzung: "Eines habe ich gelernt von meinem Vater. So denken zu können, wie die Leute in meiner
Umgebung denken. Das ist die Basis von allem. Dann ist alles möglich." Man sieht: Auch zu viel Selbstvertrauen kann großen Schaden anrichten.

In der Regel vertrauen wir anderen mehr als uns selbst, flüchten in fremde Posen und entlehnen uns kurz mal die plauderselige Lockerheit von Thomas Gottschalk, den staatsmännischen Ernst von Helmut Schmidt, das hemdsärmelige Zupacken eines Horst Schimanski oder die breitbeinige Aussitzhaltung von Altkanzler Kohl. Und fertig ist die Quadratur des Kreises – fürs erste. Denn bald bröckelt die fragile Statue. Mag es einem Zauderer anfänglich auch gelungen sein, sich als entscheidungsfreudiger Rambo zu verkaufen, so wird die Zeit seinen feigen Charakter gnadenlos offenbaren. Und auch die humorigen Entree-Witzchen einer versteckten Cholerikerin werden bald ihre Strahlkraft einbüßen.

Cover Unter Kollegen Quelle: Presse

Etikettenschwindel und Kunstemotionen tragen uns nicht weit. Ein Starbucks ist nun mal kein Wiener Jugendstil-Kaffeehaus. Es bringt nichts, sich als jemand anders auszugeben und diesen Spagat zur Dauerhaltung zu erklären. Man sollte versucht sein, die Tugenden zu leben, für die man steht und wirbt. Ein Musterbeispiel dafür ist Angela Merkel. Sie lebt jene Tugenden, für die sie wirbt.

Sie ist hart zu sich, hart zu anderen, fleißig, machtbewusst, bescheiden, sachlich und befreit von jedweder störenden Genialität. Bei ihr weiß inzwischen jeder, Feind wie Freund, wo er dran ist, wofür sie steht, wie sie vorgeht, wie lange sie nachts in Brüssel aufbleibt und welche Loipen sie in Zukunft meidet. Und das ist im Prinzip das höchste Ziel von gelungener Wirkungssteuerung – nämlich seine Person und seine Haltung zu den Dingen klar, konkret und zweifelsfrei zu vermitteln. Auch Papst Franziskus hat in kurzer Zeit seine Interpretation des Amts definiert und bleibt bislang seinem Kurs durchaus treu.

Zur Person

Was nun zunächst ganz überzeugend klingt, stellt der Berliner Consulter Jürgen Kugele wiederum infrage: "Im Beruf ist vollkommene Authentizität überhaupt nicht erstrebenswert. Denn sie führt leicht zu einer Verschmelzung mit der Rolle. Wir sind zu identifiziert mit unserem Beruf und nehmen Dinge persönlich, die eigentlich auf organisatorischer Ebene gelöst werden müssten. Wer eine gewisse professionelle Distanz zu seiner beruflichen Rolle hat, ist nicht nur konfliktfähiger, sondern kann auch besser mikropolitisch und machttaktisch denken."

Das klingt nun erneut wie ein Freibrief für den sympathischen und liebenden Familienmensch, der dann aber montags ab 8 Uhr im Job zum unberechenbaren Despoten mutiert. Die allgemeine Verunsicherung bezüglich des eigenen Wirkungsbewusstseins führt dazu, dass enorm viele, meist männliche Führungskräfte einem fiktiven Image nacheifern, welches sie mehr oder weniger mit Autorität, Macht und beeindruckender Performance in Verbindung bringen und von dem sie annehmen, dass es so etwas wie ein rettendes Ufer darstellen könnte.

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