Und so inszenieren sie sich maskenhaft-cool, beherrscht, konzentriert, bemüht schlagfertig, einschüchternd, arrogant und aufgesetzt nachdenklich und versuchen, sich und andere stets eine gewisse Zeitnot zu signalisieren. Der obligate Dresscode unserer Fließband-Unikate: schwarze Schuhe, dunkler Anzug, dezente Krawatte, Messerhaarschnitt, schwarzer Rollkoffer, BC-Ticket, Handelsblatt. Abgerundet wird der kollektive Wackelwalk durch zeitgeistigen Businesstalk, diesen weichgespülten Pseudoexpertenbrabbelbrei aus Versatzstücken wie Synergieeffekt, nervöse Märkten, Grexit oder freigesetztes Humankapital.
Diese Flucht in ein konformes Rollenspiel kann wirklich nicht der Weg sein, um seine ureigene Wirkung überzeugend einzusetzen. Ebenso wenig werden einem Seminare der Art "Wie Sie Ihr individuelles Ausdrucksverhalten optimieren" weiterhelfen. Rundum plausibel scheint hingegen der megamodische Servicetipp zu mehr Authentizität, sprich sich ehrlich, echt, unverbogen, unverfälscht, ungekünstelt zu geben, eben so, wie man ist.
Wie Sie mit der eigenen Wirkung umgehen
Der optimale Fall ist eingetreten, wenn Sie so im Umfeld ankommen, wie Sie sind und sich selbst wahrnehmen.
Quelle: "Unter Kollegen. 44 Überlebensstrategien fürs Büro" von Wolf Reiser , 223 Seiten, Beltz 2015, 19,95 Euro, ISBN: 978-3-407-36601-6
Es ist prinzipiell klug, die privat-emotionale Seite von der beruflichen zu trennen – als Selbstschutz wie auch zur Versachlichung der Jobkultur.
Bloß authentisch zu sein ist keine Patentlösung. In manchen Fällen ist es ratsam, stattdessen eine Rolle anzunehmen.
Für ein gelungenes Wirkungsbewusstsein sollten Sie sich folgende Fragen beantwortet haben: Welche Werte bestimmen Sie? Wie lautet der Kern Ihrer Vision? Wofür stehen Sie?
Nur Persönlichkeiten, die mit sich im Reinen sind, pflegen einen fairen Umgang und dienen anderen als Orientierung und Vorbild.
Wirkungsbewusstsein heißt: klare Rede, schlichte Hauptsätze, eindeutige Botschaften, unverfängliche Texte.
Kleidung, Accessoires und Bürodesign sind Teil einer glaubhaften Identität, eines Gesamtpakets – deswegen ist der Porsche des linken Gewerkschaftlers Klaus Ernst kein gelungener Beitrag zur Wirkungssteuerung.
Geglücktes Wirkungsbewusstsein kommt in der Regel ohne Begründung, Rechtfertigung, Vorwärtsverteidigung oder Dauerpositionierung aus – es wirkt an und für sich.
Nur was macht ein geborener Intrigant, ein eiskalter Karrierist, eine charakterliche Null? Wie soll der bitte authentisch durchkommen? Um ein Minimum an beruflichem Erfolg zu haben, ist er doch dazu gezwungen, seine Defizite zu kaschieren. Authentisch klappt nur, wenn man von Natur aus eine soziale, gereifte und selbstbewusste Persönlichkeit ist – und das kommt nun mal nicht so oft vor in der freien Wildbahn.
Für alle anderen ist es unabdingbar, bei sich selbst zu beginnen. Es geht darum, egal mit welchen affirmativen Tricks, uns endlich anzunehmen und zu mögen, das lähmende Unterbewusstsein umzuprogrammieren, aktiv und permanent Selbstveränderung zu betreiben und uns so Schritt für Schritt auf die Schliche zu kommen. Erst nach dieser Mischtherapie aus Feuertaufe und Reifeprüfung wissen wir definitiv, was wir überhaupt empfinden, was wir anstreben, was uns antreibt. Erst danach sind all die diffusen Selbstzweifel und Missdeutungen ausgeräumt, ist unsere Position geerdet und zumindest eine Art Job-Identität definiert.
Eine solche Klarheit überträgt sich automatisch auf Kollegen und Vorgesetzte – egal, ob dies nun eine Frage der neu entdeckten Spiegelneuronen ist oder einfach nur eine der Menschenkenntnis. Wir alle spüren doch instinktiv, wenn jemand falsch spielt, lügt und dauerhaft gegen seine innere Wahrheit agiert. Eine solche Anti-Sinfonie in Mimik, Gestik, Körpersprache und sonstigem Signalchaos löst innerhalb von Sekunden ein archaisches Programm in uns aus. Wir brauchen uns bloß die so wahnsinnig "echten" Gefühle bei Oscar-Dankesreden oder die Scheinheiligkeiten politischer Sonntagsbekenntnisse in Erinnerung zu rufen.
Wirkungsbewusst zu handeln, setzt die Kenntnis seiner Widersprüche, seiner Stärken und Defizite, seiner Emotionen und Unwägbarkeiten sowie den souveränen Umgang damit voraus. Und dann kann man sich jene egozentrischen Spleens leisten, für die schon Goethe plädierte: "Unsere kleinen Irrtümer und die kleinen Schwächen sind es, die uns gegenseitig liebenswert machen."