Überstunden oder Erholung? Diese Studie zeigt: So nutzen Beschäftigte die gewonnene Zeit im Homeoffice wirklich

Nur noch schnell die Mails checken, dann kann die Party starten? Die Deutschen nutzen ihre gewonnene Zeit im Homeoffice vor allem zum Vergnügen. Quelle: imago images

Ein Forscherteam hat ausgewertet, was Menschen mit der Zeit machen, wenn sie sich die Pendelei ins Büro sparen. In Deutschland entspannen Arbeitnehmer im Homeoffice so viel wie in keinem anderen untersuchten Land.

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Vom Bett ins Badezimmer, ein kurzer Zwischenstopp an der Kaffeemaschine und dann die Endstation am heimischen Schreibtisch. Für viele Arbeitnehmer sieht so oder ähnlich seit Beginn der Pandemie die neue Form des Pendelns aus. Statt am Gleis auf den mal wieder verspäteten Zug zu warten oder auf der Autobahn im Stau zu stehen, findet der Weg ins Büro an manchen Tagen in der Woche nur noch innerhalb der eigenen vier Wände statt.

Weitgehend unbeantwortet war bislang die Frage, wie viel Zeit Beschäftigte tatsächlich Tag für Tag sparen, wenn sie im Homeoffice arbeiten. Ein Forscherteam will die Zeitersparnis nun beziffern können: 72 Minuten bleiben Beschäftigten in 27 untersuchten Ländern im Schnitt pro Arbeitstag im Homeoffice übrig. In Deutschland sind es 65 Minuten. Die Studie, an der unter anderem Wissenschaftler aus Stanford, London und Chicago arbeiteten, ist beim US-amerikanischen National Bureau of Economic Research (NBER) und beim Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn erschienen.

Die Befragung zeigt: Die Zeit, die Arbeitnehmer im Homeoffice sparen, variiert je nach Land stark (siehe Grafik). Während Beschäftigten in Serbien 51 zusätzliche Minuten pro Tag bleiben, sind es in China mit 102 Minuten doppelt so viele. Die Forscher führen gleich mehrere Erklärungen für die deutlichen Unterschiede an. Etwa die Pendelwege. Je kürzer sie sind oder je schneller und pünktlicher die öffentlichen Verkehrsmittel fahren, desto geringer die Zeitersparnis im Homeoffice.



Ein anderer Grund ist die Verbreitung der Heimarbeit, in deren Genuss allen voran Wissensarbeiter kommen. „Die Zeitersparnis wird deshalb in Ländern mit einem niedrigeren Anteil an hochqualifizierten Arbeitnehmern tendenziell geringer sein, weil diese seltener aus dem Homeoffice arbeiten können“, sagt Cevat Giray Aksoy, Mitautor der Studie und Wissenschaftler am King’s College in London sowie bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

Für Beschäftigte und Arbeitgeber in Deutschland sind die Erkenntnisse des Forscherteams besonders spannend. Denn hierzulande nutzen Beschäftigte so viel der eingesparten Zeit für Freizeitaktivitäten wie in keinem anderen der 27 Länder. 46 Prozent der überschüssigen Zeit verbringen die Arbeitnehmer in Deutschland auf der Couch, beim Sport oder im Restaurant. Über alle Länder hinweg sind es im Schnitt nur 34 Prozent – und in Frankreich, Indien und Malaysia ist es sogar nur gut ein Viertel der gewonnenen Zeit (siehe Grafik).



Die Studie liefert auch Erkenntnisse zu der Frage, ob Beschäftigte im Homeoffice mehr arbeiten als an einem Tag im Büro. Die Vermutung liegt nahe, schließlich ist eine Mail abends von der Couch verführerisch schnell verschickt, das Büroprojekt beim privaten Internetsurfen immer nur einen Klick entfernt. Zudem fehlen die festen Abläufe wie der Arbeitsschluss zur immer gleichen Zeit, um auch bloß den Zug nach Hause zu erwischen. Und so warnten Gewerkschaften und Krankenkassen in der Vergangenheit immer wieder davor, dass das Homeoffice die Arbeitsbelastung und sogar die Ausbeutung der Beschäftigten befeuere. Die Erkenntnisse von Aksoy und seinen Kollegen zeigen: 40 Prozent der eingesparten Zeit nutzen die Beschäftigten in den 27 Ländern, um zu arbeiten.

Die Arbeitgeber profitieren

In Deutschland fließt jedoch weniger als ein Drittel (31 Prozent) der eingesparten Zeit wieder in den Job – der geringste Anteil im Ländervergleich. Nur in Spanien verbringen die Arbeitnehmer ebenfalls 31 Prozent der Zeit am heimischen Schreibtisch. Aksoy erklärt sich die teils deutlichen Unterschiede zwischen den 27 Ländern so: Die Arbeitskultur in asiatischen Ländern stehe in einem gewaltigen Gegensatz zu manchen Ländern in Europa, „wo die Ferienzeit lang und die durchschnittliche Arbeitswoche viel kürzer ist“. In Malaysia, Singapur und Taiwan nutzen die Arbeiter mehr als die Hälfte der überschüssigen Zeit, um statt zu pendeln einfach mehr zu arbeiten. In Indien und China sind es 47 und 46 Prozent.



Die Erkenntnisse dürften wohl viele Arbeitgeber überraschen, die zuletzt ihre Belegschaft zurück ins Büro beordert haben. Aus Angst, dass die Mitarbeiter im Homeoffice nicht so produktiv sind wie im Büro – und lieber den Haushalt schmeißen, statt der Arbeit nachzugehen. Tesla-Chef Elon Musk forderte die Belegschaft im vergangenen Jahr auf, mindestens 40 Stunden pro Woche ins Büro zu kommen. Apple führte im Sommer 2022 eine Regel ein, wonach die Beschäftigten zumindest drei Tage pro Woche am Firmensitz verbringen sollen.

Doch die Arbeitgeber profitieren vom Homeoffice, da ist sich Studienautor Aksoy sicher. „Lange Pendelzeiten, unvorhersehbare Fahrzeiten und überlastete Straßen senken die Produktivität der Arbeitnehmer“, sagt der Wissenschaftler.

Kaum Unterschiede zwischen Frauen und Männern

Die Forscher haben auch ermittelt, wie viel Zeit die Beschäftigten nutzen, um Kinder zu betreuen und Angehörige zu pflegen. Im Schnitt entfielen in den 27 Ländern elf Prozent der Zeitersparnis auf solche Aufgaben. In Deutschland waren es nur acht Prozent, in Griechenland und Italien 15 Prozent.

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Die Erkenntnisse zur Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen überraschten Aksoy während der Forschung am meisten. Die Forscher untersuchten nämlich auch die Lebensumstände der Beschäftigten. „Dabei zeigten sich interessante Muster“, so Aksoy. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind gar nicht so groß, wie man aufgrund der vielerorts noch immer gelebten, traditionellen Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern denken würde. Aksoy bezeichnet sie als „gering“: „Zwar nutzen Männer mehr Zeit für den Job“, sagt Aksoy. Allerdings liegt der Unterschied zu Arbeitnehmerinnen nur bei zweieinhalb Minuten pro Homeofficetag. „Männer nutzen außerdem etwa zwei Minuten mehr ihrer Zeitersparnis für Freizeitaktivitäten“, sagt Aksoy.

Lesen Sie auch: Diese sieben Grafiken zeigen, wie es Beschäftigten im Homeoffice wirklich geht.

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