Umsteiger Ausstieg aus der Karriere

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Held? Heckenschütze?

Alexander Hartmann war früher Abteilungsleiter einer Schweizer Privatbank, heute ist er Sozialpädagogen-Azubi in einem Schweizer Waisenhaus. Quelle: Christian Schnur für WirtschaftsWoche

Für die anderen ist Smith ein feiger Verräter, der seinen persönlichen Frust wegen einer geplatzten Beförderung für eine Generalabrechnung nutzte. New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg etwa, dessen Unternehmen ein wichtiger Goldman-Sachs-Kunde ist, nannte die Vorwürfe „irrwitzig“.

Doch egal, ob Held oder Heckenschütze – mit seinem offenen Brief hat Smith deutlich gemacht: Spätestens seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 gibt es immer mehr Menschen, die der Finanzbranche erst jahrelang gedient haben – um ihr dann umso entschiedener den Rücken zu kehren. Entweder, weil sie gekündigt werden und den ursprünglich unfreiwilligen Bruch zur radikalen Neuorientierung nutzen.

Raus aus dem Hamsterrad

Oder weil sie ganz bewusst aus dem sprichwörtlichen Hamsterrad ausbrechen wollen. Sich dazu entscheiden, das Höher-Schneller-Weiter nicht mehr mitzumachen, Beförderungen ablehnen und ihre beruflichen Ziele herunterschrauben. Andere wiederum steigen ganz bewusst aus, weil sie keinen Sinn mehr darin erkennen können, Geld um des Geldes willen zu mehren. Oder weil sie sich gefangen fühlen in den Mühlen eines Konzerns, in dem Hierarchiedenken jede individuelle Kreativität tötet.

Sie verzichten auf dicke Dienstwagen, hohe Boni, öffentliches Blitzlichtgewitter; engagieren sich stattdessen unentgeltlich in Wohltätigkeitsorganisationen; werden Modehändler, Ökobauer oder eröffnen ein Restaurant.

10 Tipps für den Jobwechsel
1. Klarheit schaffenBevor Sie überstürzt kündigen, wagen Sie eine ehrliche Bestandsaufnahme: Wollen Sie wirklich den Job wechseln? Oder flüchten Sie vor temporären Problemen? Haben Sie diese Fragen für sich klar beantwortet, bewahrt Sie das vor einer Kurzschlussreaktion, die Sie im Nachhinein womöglich bereuen. Quelle: Fotolia
2. Rat holenFragen Sie enge Freunde, Kollegen oder professionelle Coaches um Rat. Stellen Sie eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf: Was geben Sie auf, was riskieren Sie - und was können Sie gewinnen? Außerdem sollten Sie Ihre finanziellen Reserven prüfen: Können Sie sich Einbußen leisten, kommt ein eventueller Umzug infrage? Quelle: dpa
3. Zukunft planenNicht jeder macht sich mit einer erfolgreichen Geschäftsidee selbstständig. Falls Sie sich in einer anderen Branche um einen festen Job bewerben, bereiten Sie sich schon mal auf kritische Fragen vor: In künftigen Vorstellungsgesprächen müssen Sie Ihre Entscheidung begründen. Sprechen Sie nicht von etwaiger Überforderung im aktuellen Job. Sondern machen Sie klar, dass der angestrebte Posten Ihren Talenten und Zielen entspricht. Quelle: Fotolia
4. Kündigen Sie korrektDie Kündigung muss schriftlich erfolgen, außerdem sollten Sie sie persönlich abgeben. In der Regel müssen Sie die Kündigung begründen, auch wenn das formal nicht erforderlich ist. Widerstehen Sie aber der Verlockung, in dem Schreiben abzurechnen: Es ist der neue Job, der Sie lockt – und nicht der alte, der Sie schockt. Quelle: Fotolia
5. Analysieren Sie die TrennungWelchen Anteil hatten Sie selbst an der Trennung? Hätten Sie etwas besser machen können? Wie können Sie sich künftig für solche Situationen wappnen? Die Antworten helfen Ihnen nicht nur dabei, sich vom alten Job zu lösen – sondern auch, sich auf eine neue Herausforderung einzulassen. Quelle: Fotolia
6. Bleiben Sie engagiertSeien Sie weiterhin pünktlich und zuverlässig, auch wenn es Ihnen schwer fällt. Bringen Sie Projekte zu Ende, verhandeln Sie wichtige Vorhaben selbst. Und bieten Sie an, einen eventuellen Nachfolger einzuarbeiten. Quelle: Fotolia
7. Schaffen Sie OrdnungUnd zwar wortwörtlich. Räumen Sie Ihr Büro auf, bevor Sie kündigen. Bringen Sie persönliche Dinge nach Hause – aber auch nur solche, die Ihnen wirklich gehören, löschen Sie private Dateien vom Computer. Nach der Kündigung haben Sie dazu vielleicht keine Gelegenheit mehr. Quelle: gms

Und warum das Ganze?

Wofür auch immer sich diese Menschen entscheiden: Welche Motive bewegen sie zu diesem radikalen Schritt? Warum ist er ausgerechnet in der Finanzbranche so häufig zu beobachten? Und was lässt sich daraus lernen?

Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, kann man etwa nach Herzebrock-Clarholz zu Stefan Roggenkamp fahren. Als der an diesem Montagmittag die schlichten Produktionshallen inspiziert, ist kaum etwas los auf dem 7.000 Quadratmeter großen Firmengelände im Gewerbegebiet der Kleinstadt in der westfälischen Provinz.

Einkochen, abfüllen, lächeln

Trotzdem huscht ein Lächeln über das Gesicht des 42-Jährigen. „Morgens einkochen und abfüllen, dann aufladen und ausliefern – so soll es sein“, sagt Roggenkamp. Und greift sich einen kleinen Becher „Feinste Bio-Eiscreme Erdbeere“, abgepackt in kleine 100-ml-Portionen, bestellt von einem Stuttgarter Feinkostladen.

„Man muss heute in der Lage sein sich selbst neu zu erfinden“, sagt der Unternehmer, der Fertiggerichte in Bioqualität herstellt und sich „eine steile Lernkurve“ bescheinigt. „Diese Realwirtschaft, das ist noch mal eine ganz andere Herausforderung als früher.“

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