Unfallversicherung Warum Unfälle im Homeoffice selten versichert sind

Haftung bei Unfällen im Homeoffice: Stellen Sie sich vor, der Paketbote klingelt und Sie fallen vor Schreck vom Schreibtisch-Stuhl. Quelle: Getty Images

Viele haben die Arbeit von zu Hause schätzen gelernt. Dort ist die Grenze zwischen Beruflichem und Privatem fließend – mit Folgen für die Unfallversicherung. Wann zahlt sie? Und lohnt sich eine private Absicherung?

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Die meisten Unfälle, so lautet eine Lebensweisheit, passieren im Haushalt. Und so gesehen wäre der Arbeit am heimischen Schreib- oder gar Küchentisch eine weitaus gefährlichere als die im Büro. Auch wenn sich das statistisch nicht ganz nachweisen lässt: Zumindest das Risiko, dass die gesetzliche Unfallversicherung im Ernstfall nicht einspringt, ist im Homeoffice größer als im echten Office. Und so sollte, wer viel von zu Hause aus arbeitet, einige Regeln im Hinterkopf behalten, um im Zweifel nicht auf den hohen Kosten einer medizinischen Behandlung sitzen zu bleiben.

Bei Unfällen war das Homeoffice lange Zeit eine Arbeitsstätte zweiter Klasse. Die gesetzliche Unfallversicherung, die ausschließlich von Beiträgen der Arbeitgeber finanziert wird, deckte neben der Arbeit an sich nur sogenannte Betriebswege ab, die direkt mit dem Job zu tun haben. Wer beim Gang zum Schreibtisch die Treppe herab stürzte, war also versichert. Der Weg zur Toilette hingegen galt – anders als im Büro – generell als Privatsache. 2016 hatte das Bundessozialgericht das Holen eines Getränks im Homeoffice noch als „eigenwirtschaftliche Tätigkeit“ eingestuft und entschieden, dass die Unfallversicherung nicht zahlen muss.

Versicherungsschutz im Homeoffice

Als sich aber zur Eindämmung der Coronapandemie Millionen von Beschäftigte dauerhaft im Homeoffice einrichten, änderte der Gesetzgeber seine Haltung: Die Unterscheidung zwischen Büro und mobiler Arbeit lasse sich nicht mehr aufrechterhalten, hieß es in der Begründung zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz im vergangenen Sommer. „Das Gesetz bestimmt, dass bei mobiler Arbeit im selben Umfang Versicherungsschutz besteht wie bei der Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte“, erläutert Ronald Hecke von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), dem Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und Unfallkassen.

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Das Problem ist nur: Sogenannte „eigenwirtschaftliche oder privatnützliche Tätigkeiten“, wozu etwa private Telefonate oder Besorgungen zählen, sind grundsätzlich sowohl im Betrieb als auch im Homeoffice nicht abgedeckt. Das kann bei der Arbeit von zu Hause aus besonders schnell heikel werden. Denn bereits alltägliche Szenarien gefährden den Versicherungsschutz. Hecke nennt ein Beispiel: „Nehmen wir an, der Paketbote klingelt und möchte ein Paket abgeben. Sie stolpern auf dem Weg zur Tür auf der Treppe und verletzten sich. Dieser Unfall wäre dann kein Arbeitsunfall, wenn Sie während der Arbeitszeit ein privates Paket entgegengenommen haben.“

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von Jannik Deters

Häufig lässt sich aber vorab nicht klar unterscheiden, ob eine Handlung einem privaten oder beruflichen Zweck dienen wird. Was ist, wenn der Paketbote auch eine Sendung des Arbeitgebers bringen könnte? Oder wenn das Telefon am anderen Ende des Raumes klingelt und man nicht wissen kann, ob ein Kollege oder ein Verwandter anruft? Rechtsanwältin Nathalie Oberthür, Vorsitzende des Ausschusses Arbeitsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV), spricht in diesem Fall von einer „gespaltenen Handlungstendenz“. Hier „ist ein Unfall versichert, wenn die Verrichtung auch ohne die private Veranlassung erfolgt wäre – man geht zum Telefon, auch wenn man nicht mit einem privaten Anruf rechnet.“

Unfallschutz auch im Café

Pausen sind im Homeoffice ebenso wie im Unternehmen nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckt. Auf reguläre Arbeitszeiten besteht die Versicherung hingegen nicht. Eltern, die nachmittags ihre Kinder betreuen und erst wieder spätabends weiterarbeiten, müssen laut Hecke keine negativen Auswirkungen befürchten. „Wann die Arbeit verrichtet wird, spielt für den Versicherungsschutz keine Rolle“, sagt der Experte. Keine Gedanken müsse man sich machen, wenn man vom heimischen Arbeitszimmer in einen Coworking-Space oder sogar ein Café wechselt. „Grundsätzlich gilt: Beschäftigte, die infolge der versicherten Tätigkeit einen Unfall erleiden, sind versichert. Der Ort der Tätigkeit ist für den Versicherungsschutz nicht relevant“, unterstreicht Hecke.

Beschäftigte sind laut dem Experten zudem auf dem Weg zu und von dem Ort, an dem sie arbeiten, versichert. Das kann sogar entscheidend sein für Menschen im klassischen Homeoffice. Denn seit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz deckt die gesetzliche Unfallversicherung auch bei ihnen die Strecke zu und von einer externen Kinderbetreuung ab. Wer den Nachwuchs morgens zur Kita oder Schule bringt und auf dem Rückweg zum Beispiel von einem Auto angefahren wird, fällt unter den Schutz der Unfallversicherung.

Dabei sollte aber darauf verzichtet werden, einen kurzen Spaziergang einzuschieben oder noch schnell Brötchen zu holen. Sobald Beschäftigte von ihrem direkten Weg ins Homeoffice oder ins Büro abweichen oder diesen für etwas unterbrechen, das nichts mit ihrem Job zu tun hat, „erlischt der Versicherungsschutz für diesen Zeitraum“, gibt Hecke zu bedenken.

Doch selbst Experten sind sich bei speziellen Szenarien nicht einig, was den Versicherungsschutz angeht. Anwältin Oberthür warnt: „Der Weg zur Kita ist nur versichert, wenn im Homeoffice gearbeitet wird. Arbeitnehmer, die mobil im Café oder Coworking-Space arbeiten, sind auf diesem Weg nicht versichert.“ In dieser Hinsicht ist die mobile Arbeit ihr zufolge noch nicht gleichgestellt. „Dies müsste gesetzlich geregelt werden, ist aber nicht erfolgt“, erläutert Oberthür. Hecke betont hingegen auf Nachfrage: „Umwege auf dem unmittelbaren Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit, um Kinder wegen einer beruflichen Tätigkeit in fremde Obhut zu bringen, stehen grundsätzlich unter Versicherungsschutz.“ Wer häufig vor der Arbeit im Coworking-Space Nachwuchs zur Betreuung bringt, sollte sich lieber vom eigenen Versicherungsträger bestätigen lassen, welche Regeln für dieses Szenario gelten.

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