Unternehmen im Klimastress „Großraumbüros sind für Behaglichkeit der worst case“

„Großraumbüros sind für Behaglichkeit der worst case“ Quelle: Getty Images

Marcel Schweiker erforscht, wie Menschen sich das optimale Arbeitsklima schaffen können. Im Interview wirbt er dafür, dem Körper die Chance zu geben, sich an Rekordtemperaturen anzupassen, statt sich nur noch in klimatisierten Räumen aufzuhalten.

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Marcel Schweiker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Bauphysik & Technischer Ausbau des Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Dort erforscht er im Laboratory for Occupant Behaviour, Satisfaction, Thermal Comfort and Environmental Research (kurz: LOBSTER), wie sich Menschen angesichts der Klimabedingungen in Gebäuden verhalten.

WirtschaftsWoche: Herr Schweiker, Sie erforschen seit vielen Jahren, wie Menschen ihre klimatische Umgebung steuern. Ab wie viel Grad schalten Sie die Klimaanlage an?
So lange wie möglich gar nicht. Ich tue mich allerdings schwer mit absoluten Temperaturen. Das Wärmeempfinden hängt nicht nur von einer bestimmten Gradzahl ab, sondern zum Beispiel auch von der Luftfeuchte, der Luftgeschwindigkeit, meiner Bekleidung und Aktivität. Hinzu kommen noch weitere Einflüsse: Ich habe mal eine Zeit lang in Japan gelebt und gearbeitet. Eines Abends war ich im Skype-Gespräch mit einem Kollegen in Dänemark, es herrschten in beiden Ländern knapp 29 Grad. Ihm war das zu heiß, ich empfand es dagegen fast ein bisschen frisch.

Woran liegt das?
Menschen erleben die gleiche Temperatur in Abhängigkeit von ihren Umgebungsbedingungen, ihrem körperlichen und psychologischen Zustand und ihren Erfahrungen sehr unterschiedlich. Ich versuche herauszufinden, wie sich das auf das Verhalten von Menschen in Gebäuden auswirkt. Mich interessiert zum Beispiel: Wie viel Kontrolle braucht der Einzelne über sein unmittelbares Klima?

von Benedikt Becker, Simon Book, Jan Guldner, Andreas Menn, Thomas Kuhn, Sven Böll

Und wie lautet ihre Antwort darauf?
Kontrolle ist ganz entscheidend. In manchen Studien konnten wir sogar zeigen, dass alleine die Möglichkeit, etwas am Klima verändern zu können, die Behaglichkeit erhöhen kann.

Das heißt, der Placebo-Effekt funktioniert auch beim Büroklima?
Ich würde den Placebo-Effekt als nicht erfolgsversprechend nennen wollen. Ein Schalter ohne Funktion kann ein paar Tage die Behaglichkeit erhöhen. Aber wenn man merkt, es passiert nichts, ist die Zufriedenheit noch niedriger, als wenn da gar kein Schalter wäre. Den größten Effekt haben einfach verständliche und effektive Kontrollmöglichkeiten.

Was genau meinen Sie eigentlich, wenn Sie von Behaglichkeit sprechen?
Das wird auch von Forschern unterschiedlich gesehen. Einige sehen Neutralität als behaglich an, also wenn man sich weder warm noch kalt fühlt. Unsere Studien zeigen jedoch, es kann auch warm sein und ich fühle mich behaglich. Im Sommer kann im Vergleich zum Winter ein frischer Luftzug behaglich sein. Das eine ist das Temperaturempfinden, das andere die Temperaturbewertung. Dazu kommt noch die Frage: Was bin ich bereit zu akzeptieren, wenn etwas unbehaglich ist. Wenn ich weiß, es könnte besser sein, aber ich müsste sehr viel Aufwand betreiben, um es zu verändern.

Wie stellt man nun die optimale Behaglichkeit her?
Geht es allein um den Komfort, ist es wichtig, dass jeder einzelne die Möglichkeit der Kontrolle über seine Bedingungen hat. Das muss nicht mal über die Technik sein, sondern geht schon bei der Bekleidung los. Wer im Sommer im Anzug im Büro sitzen muss, ist schon stärker eingeschränkt. Für Gebäude heißt Kontrolle: Ein Fenster muss immer geöffnet werden können. Heizung, Kühlung und Sonnenschutz müssen vom Nutzer übersteuert werden können. Die Grundfunktion kann automatisch sein, aber Eingriffe der Betroffenen müssen möglich sein.

Das spricht nicht unbedingt für das Arbeiten in Großraumbüros, in denen 30 Menschen der gleichen Temperatur ausgesetzt werden.
Aus Sicht der Behaglichkeit sind Großraumbüros der worst case. Hier wird es immer Unzufriedene geben. Man kann es nicht jedem recht machen, das liegt an den individuellen Präferenzen jedes Mitarbeiters. Lösungen wären aber energieeffiziente Ventilatoren oder andere individuelle Komfortsysteme, wie kühlende Stühle. Die sind günstiger als Klimaanlagen. Der Raum an sich ist dann zwar wärmer, aber die Ventilatoren, die jeder selbst bedienen kann, führen durch die erhöhte Luftbewegung und damit verbundene Verdunstungskühle dazu, das wir Menschen es als kühler empfinden. Hinzu kommt noch, dass diese Geräte nicht durchgehend laufen, sondern nur bei Bedarf.

„In wärmeren Ländern ist es auch normal, dass man es mittags ruhiger angehen lässt“

Man merkt, Sie sind kein großer Verfechter der zentral gesteuerten Klimaanlage.
Energetisch finde ich es schwierig, wenn jemand im Sommer bei 22 Grad im Büro sitzt. Auch wenn es seiner Präferenz entspricht, muss man sich fragen, ob das sein muss. Ich bin kein Freund von Verboten, aber würde versuchen durch Information zu überzeugen, nicht zu tief herunterzukühlen. Der Körper ist adaptionsfähig. Aber wenn ich mich immer in klimatisierten Räumen aufhalte, kann sich mein Körper nicht an wärmere Bedingungen anpassen.

Ein bisschen Schwitzen muss man also ertragen.
Studien zeigen, dass es für den Körper gut sein kann, wenn man aus seinem Komfortbereich rauskommt. Also den Organismus leicht zu fordern, aber dadurch zu stärken. Wenn wir immer in den gleichen Bedingungen hocken, verlernt der Körper, sich auf größere Schwankungen einzustellen, denn er vergleicht die aktuellen Sinneseindrücke ständig mit dem was er in der Vergangenheit erlebt hat. Wenn er also tagsüber nicht erlebt hat, dass es heiß war, dann lernt er auch nicht, wie er sich abkühlen kann. Dann empfinden wir die Abende im nicht klimatisierten zu Hause als noch wärmer, gerade weil wir es gewöhnt sind, dass es abends tendenziell kühler wird.

In diesem Jahr gab es wieder ausreichend Anlass, sich an heißere Temperaturen zu gewöhnen. Wie beeinflusst die Hitze überhaupt die Arbeit?
Unsere Produktivität sinkt, wenn wir in einer zu heißen Umgebung arbeiten. Man spürt das ja auch selbst. Aber die meisten Studien, die ich kenne, sind fokussiert auf einzelne Aspekte der Bürotätigkeit. Wie extrem aber der Effekt auf Nicht-Routinetätigkeiten ist, wie Sie und ich sie ausüben, ist nicht abschließend erörtert. Denn es gibt auch Tätigkeiten, die man bei höheren Temperaturen schneller macht, Tippen auf Tastaturen zum Beispiel. Die Frage ist also: Wie viel weniger produktiv werden wir wirklich. Es gibt in manchen Laborstudien dramatische Effekte, die sich in der Realität nicht so extrem darstellen.

Wie geht man damit um?
Klar, man kann Gebäude stärker klimatisieren. Aber man muss sich als Gesellschaft auch fragen, ob man das zu einem gewissen Teil nicht einfach akzeptieren muss. Bis heute ist es in wärmeren Ländern auch normal, dass man es mittags ruhiger angehen lässt. Warum sollten wir im Sommer nicht auch früher nach Hause gehen und mit einem kühlen Getränk auf der Terrasse sitzen, statt noch 100 Mails abzuarbeiten.

Ist das denn realistisch?
Ich weiß, das ist leichter gesagt, als getan. Das kann kein Mensch, kein Unternehmen, kein Land alleine durchsetzen. Das muss man als Gesellschaft klären. Muss man zu jeder Tageszeit volle Leistung bringen können? Ich denke, es muss daraus kein Schaden für die Gesamtwirtschaft entstehen. Ein Unternehmen alleine könnte natürlich darunter leiden. Aber vielleicht ist es auch eine Möglichkeit, motivierte Fachkräfte zu finden, die dann im Winter umso motivierter arbeiten.

Mehr zum Thema: Hitze, Dürre, Starkregen: Der Klimawandel begünstigt Extremwetterlagen und stresst Wirtschaft und Beschäftigte. Welche Folgen das hat – und wie sich Unternehmen auf die nächsten heißen Sommer vorbereiten.

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