Urteil Bundesarbeitsgericht legt Vergütung von Überstunden fest

Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts bescherte einem Speditionsmitarbeiter 9534 Euro für Überstunden. Welche Folgen die Entscheidung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber hat, erklärt der Rechtsanwalt Steffen Scheuer.

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Das Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt Quelle: dpa

"Nicht klar und verständlich" erschien dem Bundesarbeitsgericht (BAG) die Regelung zur Überstundenvergütung eines Lagerleiters aus Sachsen-Anhalt. In seinem Arbeitsvertrag stand lediglich: "Der Arbeitnehmer ist bei betrieblicher Erfordernis auch zur Mehrarbeit verpflichtet" und weiter, "der Arbeitnehmer erhält für die Über- und Mehrarbeit keine weitergehende Vergütung". In einer jetzt veröffentlichten Urteilsbegründung des BAG, wird diese Klausel für unwirksam erklärt, weil der Arbeitnehmer bei Vertragsschluss nicht abschätzen konnte, "was auf ihn zukommt" und wie viel er für seinen Lohn tatsächlich arbeiten muss. Deshalb muss sein ehemaliger Arbeitgeber dem Lagerleiter alle 968 geleisteten Überstunden nachträglich bezahlen. Der Ex-Mitarbeiter freut sich über 9534 Euro.

Doch wer kann jetzt mit einem ähnlichen Geldsegen rechnen? Wie kann sich ein Unternehmen gegen solche Forderungen absichern? Und: Wie können Arbeitnehmer beweisen, dass sie Überstunden gemacht habe? Diese und andere Fragen beantwortet der Arbeitsrechtler Steffen Scheuer von Baker & McKenzie.

Wer kann nach diesem Urteil eine Nachzahlung von seinem Arbeitgeber verlangen, wer nicht?

Scheuer: Für Arbeitnehmer denen entweder im Arbeitsvertrag oder einem anwendbaren Tarifvertrag eine Überstundenvergütung zugesagt wurde ändert sich nichts. Sie haben auch weiterhin einen Anspruch. Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsvertrag entweder gar keine Regelung zu Überstunden enthält oder sagt, dass alle Überstunden vom Grundgehalt abgedeckt sind, gilt folgende Neuerung:  Wenn sie mehr als die Beitragsbemessungsgrenze von 67.200 Euro in Westdeutschland beziehungsweise 57.600 Euro in Ostdeutschland verdienen, haben sie in der Regel keinen Anspruch auf Überstundenvergütung.  Wer weniger als diese Beitragsbemessungsgrenzen verdient, hat grundsätzlich Anspruch auf zusätzliche Vergütung der geleisteten Überstunden, und zwar selbst dann, wenn im Arbeitsvertrag die Überstundenvergütung ausdrücklich ausgeschlossen wurde.

Warum werden Manager, Führungspersonal und Besserverdiener von dieser Regelung ausgeschlossen?

Das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass Gutverdiener, die mehr als  67.200 Euro verdienen keine „Vergütungserwartung“ für Überstunden haben. Das Gericht argumentiert, dass Mitarbeiter in dieser Vergütungsstufe eher für die Erfüllung ihrer Arbeitsaufgaben bezahlt werden  und nicht nach Arbeitsstunden. Es ist aus Gründen der Rechtsklarheit zu begrüßen, dass das Bundesarbeitsgericht uns eine recht einfach zu handhabende Leitlinie dafür aufgezeigt hat, welche Gruppe von Arbeitnehmern künftig keine Vergütungserwartung für Überstunden mehr hat.

Das Urteil wird ja auch in den Medien diskutiert. Müssen Arbeitgeber jetzt mit einer Klagewelle rechnen, weil sich die betroffenen Mitarbeiter hinsetzen und ihren Arbeitsvertrag genau unter die Lupe nehmen?

Das glaube ich nicht. Selbst wenn Arbeitnehmer unzulässige Klauseln in ihren Arbeitsverträgen finden, müssen sie beweisen, dass sie die Überstunden geleistet haben und dass der Vorgesetzte sie dazu angehalten hat. Das ist und bleibt im Nachhinein sehr kompliziert. Zu erwarten ist allerdings, dass das Urteil diejenigen Arbeitnehmer sensibilisiert, die weniger als die Beitragsbemessungsgrenze verdienen. Diese Gruppe wird künftig möglicherweise mehr Wert darauf legen, ihre Überstunden zu dokumentieren. 

 Wie können Arbeitnehmer die geleisteten Überstunden vor Gericht letztendlich nachweisen?

Einfach ist es dann, wenn der Arbeitgeber eine Zeiterfassung zum Beispiel per Stechuhr installiert hat. Gerade bei Bürotätigkeiten arbeiten viele Leute aber nach Vertrauensarbeitszeit. In solchen Fällen bleibt oft nur die Möglichkeit, sich Überstunden dokumentieren und einmal in der Woche vom Arbeitgeber abzeichnen zu  lassen. Das kann allerdings zu Konflikten mit dem Vorgesetzten führen und wird deshalb möglicherweise nicht für alle Arbeitnehmer eine realistische Option sein.

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