VDMA-Studie Das müssen die Ingenieure von morgen können

Digitalisierung: So werden Ingenieure fit für die Zukunft Quelle: Getty Images

Ein Ingenieur weiß viel über Maschinen und ihre Funktionsweise. Unternehmen wünschen sich für die Industrie 4.0 ein wenig mehr. Eine Studie zeigt: Der Ingenieur der Zukunft muss fast so smart sein wie die Maschinen.

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Künstliche Intelligenz und Vernetzung werden die Industrie umwälzen – eine nicht mehr ganz so neue Erkenntnis zum Thema Digitalisierung. Intelligente Maschinen werden größere Teile der Produktion übernehmen, Facharbeiter zum Teil nicht mehr oder in anderer Rolle gebraucht. Eine an diesem Dienstag vorgestellte Studie des Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA; Download hier), die der WirtschaftsWoche vorab vorlag, wirft den Blick auf diejenigen, die die neuen, intelligenten Maschinen bauen: die Ingenieure.

Welche Qualifikationen brauchen sie in der Industrie 4.0 eigentlich – und was ist dafür zu tun, fragten die Autoren der Impuls Stiftung des VDMA jene, die es wohl am besten wissen müssen: Unternehmen und Hochschulvertreter sowie Führungskräfte und Ingenieure aus dem Bereich Maschinen- und Anlagenbau. Neben Experteninterviews spielt eine Online-Umfrage unter 224 Unternehmen eine zentrale Rolle, aus der die Macher ein Soll-Profil für die Ingenieurin und den Ingenieur der Zukunft erstellt haben.

Unter Industrie 4.0 sind im Kontext der Studie „smarte“ Produktionselemente rund um die Fabrik zu verstehen: Ob die smarte Fabrik insgesamt mit vollautomatisierter Sensorik, flexible Produktionsprozesse und -steuerung, smarte und vernetzte Produkte, die auch beim Endverbraucher noch mit dem Hersteller in Verbindung stehen oder datenbasierte Dienstleistungen. Dass es die vollendete Definition nicht geben kann, ist geradezu Ausdruck der Digitalisierung, was die Autoren gleich zu Beginn klarstellen.

Entsprechend komplex sind die Anforderungen an Ingenieure unter den neuen Bedingungen. Betont wird die Durchlässigkeit der früheren Grenzen zwischen Fachbereichen und Betriebsabläufen. Spezialisierte Ingenieure heute müssten mit anderen spezialisierten Ingenieuren eng zusammenarbeiten, wie auch mit den Herstellern und den Kunden. Ziel sind Komplettlösungen vernetzter Produktion, die sich stetig weiterentwickeln müssen.

Die meisten der befragten Unternehmen sehen sich selbst auf dem Weg zu einer digitalisierten Produktionsweise. 92 Prozent schätzen, dass sie die Hälfte der Strecke dabei bereits zurückgelegt haben. Acht Prozent sehen die Entwicklung bei sich insgesamt weit fortgeschritten. Für den Bereich IT und Automatisierung sehen sich 28 Prozent der Unternehmen auf dem neuesten Stand der Möglichkeiten. Befragt wurden Unternehmen aus dem Bereich Werkzeugmaschinen/Fertigungssysteme, Komponenten und IT/Automatisierungstechnik.

Die Ingenieure müssen bei alldem bislang – so ist aus den Experteninterviews herauszulesen – Learning-by-doing betreiben. Denn selbst bei den jüngeren Jahrgänge spielte der digitale technologische Wandel kaum bis gar keine Rolle. „Man hat vielleicht zweimal etwas darüber gelesen [ …], aber nicht in dem Sinn, dass 4.0 oder diese Vernetzung im Unterricht angesprochen wurde. Man befasst sich dann eher mit kleineren Punkten aus dieser Vernetzung. Irgendeine Kommunikation oder irgendeine Programmierung oder so was halt in den einzelnen Fächern, aber als großer, übergreifender Punkt war es eigentlich im Studium nicht vorhanden“, erklärt ein Universitätsabsolvent in der Studie. Die Qualifikation erfolgt also bis dato in den Betrieben, angepasst an die jeweiligen Bedürfnisse.

Die Unternehmen gaben zu 79 Prozent an, mit den Fähigkeiten ihrer Ingenieure, wenn diese aus der Ausbildung kommen, zufrieden zu sein (Note: „ausreichend“). Das klassische Wissen über Maschinenbau etwa wird nach wie vor als wichtig erachtet, während 4.0-spezifische Qualifikationen nun lediglich „obendrauf“ gefordert sind. Kern des Ingenieurswissens sind demnach zum Beispiel weiterhin Technische Mechanik und Konstruktionslehre, Materialwirtschaft und Materiallehre. Die Industrie 4.0 erfordert dazu an erster Stelle Wissen über Automatisierung und Sensorik, vernetzte Produktion, Systems Engineering und Robotik. Als sehr nützlich bis unverzichtbar nannten die befragten Unternehmen zudem Kenntnisse in Remote Services und Condition Monitoring, Organisation von Datenaustausch mit Kunden oder Lieferanten, datenbasierte Dienstleistungen, Predictive Maintenance, Machine Learning, Künstliche Intelligenz und Entwicklung von mobilen Geräten.

Mehr interdisziplinäre Wissensvermittlung

Zusammengefasst wünschen sich Unternehmen von Ingenieuren also klassisches Fachwissen, für die Anforderungen der Industrie 4.0 ergänzt durch Kompetenzen in der Methode des System- und Prozessdenkens, in Informatik und Data Science, Kontextwissen und fächerübergreifende Kompetenzen. Zu Letzteren zählen analytisches Denken, Umgang mit Komplexität, Selbständigkeit und Eigenmotivation, Lernfähigkeit, Überblick, Anpassungsfähigkeit sowie interdisziplinäre Teamarbeit, um nur einige zu nennen.

Was bedeutet dies für die künftige Ausbildung von Ingenieuren an Universitäten und Fachhochschulen? Die Unternehmen wünschen sich hier die Vermittlung der oben genannten Grundlagen, insbesondere des ingenieurwissenschaftlichen Fachwissens sowie Informatik- und Data-Science-Kenntnissen. Ein befragter Personalleiter fasst es so zusammen: „Das Abschlusswissen des Berufsanfängers von heute wird nicht 50 Jahre halten. Sondern es wird sich permanent verändern müssen, [er wird] permanent dazulernen müssen und auch permanent mit anderen Umgebungen klarkommen müssen. Das gilt für nahezu alle Disziplinen.“

Bei Ausbildung und Rekrutierung wollen Unternehmen und Hochschulen in Zukunft noch enger zusammenarbeiten. Neben dem dualen Studium sehen Unternehmen den Hebel auch in der Kooperation mit Hochschulen bereits bei der frühen Verschränkung von theoretischen Studieninhalten und praktischen Erfahrungen in Unternehmen. Sie sehen sich dabei für den Praxisteil zuständig, erhoffen sich gleichzeitig frühzeitige Einblicke in den Stand der Forschung etwa im Bereich Big Data. Lern- und Praxisfabriken sind derzeit im Entstehen; von ihnen erhoffen sich beide Seiten wichtige Impulse, um mit der Entwicklung Schritt halten zu können.

Die Hochschulen stehen vor der Herausforderung, dass die rasante Entwicklung keine ewig gültigen Lehrpläne mehr rechtfertigen kann. So sehen sie ihre Aufgabe in der ingenieurwissenschaftlichen Kompetenzvermittlung und in Forschung und Entwicklung, hierbei vor allem in der Weiterentwicklung von Smart Products. Chancen werden in der voranschreitenden Qualität von Chips und Sensoren gesehen, die neue Grade der Vernetzung erlauben werden.

Dass die Ingenieurwissenschaft noch stärker interdisziplinär organisiert werden muss, sehen auch die Verantwortlichen in den Hochschulen. Überlappungen sehen sie besonders mit IT und Softwareentwicklung, Elektrotechnik und Data Science.

Wo neue Lerninhalte implementiert werden sollen, muss auch darüber nachgedacht werden, welche nicht mehr benötigt werden. Hier herrscht offenbar große Unsicherheit. Befragte aus dem Hochschulbereich nannten in der Studie zum Beispiel das Wissen über Halbleiter, Felder und Wellen, darstellende Geometrie oder Getriebelehre als verzichtbar. Schon bei der Frage, ob Studenten noch Maschinen mit der Hand zeichnen sollten, kommt Unsicherheit auf: „Der Student zeichnet noch mit Bleistift [ …], es ist ja zu Lehrzwecken gedacht. Es ist nicht dafür gedacht, dass der nachher noch zeichnen muss, das ist klar [ …]. Lässt man so was jetzt wegfallen? [ …] Ist das gut, wenn der Ingenieur gar keine technische Zeichnung mehr lesen kann nachher? Das wäre fatal.“

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