Mehr als 70 Unternehmen und Organisationen mit mehr als 3300 Angestellten in mehr als 30 Sektoren nehmen an dem britischen Experiment zur Vier-Tage-Woche teil. Das Einkommen der Beschäftigten bleibt dabei unverändert. Der Haken: Sie müssen in der kürzeren Zeit dieselbe Leistung erbringen wie zuvor an fünf Tagen. Forscher der Universitäten Oxford und Cambridge sowie des Boston Colleges werden die Ergebnisse wissenschaftlich auswerten, die Organisation 4 Day Week Global und der Thinktank Autonomy betreuen den Versuch. Wir haben mit Kyle Lewis gesprochen, dem Mitgründer von Autonomy.
WirtschaftsWoche: In Deutschland träumen viele davon, nur noch vier statt fünf Tagen mit der Arbeit zu verbringen. Wenn Sie mal den Aufwand, Teilnehmer für Ihr Experiment zu gewinnen, als Indikator nehmen: Ist es in Großbritannien ähnlich?
Kyle Lewis: Wir waren überwältigt von dem großen Interesse. Wir hatten gehofft, dass sich 20 bis 30 Unternehmen beteiligen würden und rechneten damit, dass bei den Infoveranstaltungen etwa 100 Teilnehmer auftauchen würden. Am Ende mussten wir die Anzahl der Infoveranstaltungen aufgrund der großen Zahl interessierter Unternehmen dann aber verdoppeln. Und über 70 Unternehmen haben sich für die Teilnahme angemeldet. Das Interesse an dem Programm hat also unsere Erwartungen definitiv übertroffen!
Mussten die Unternehmen bestimmte Bedingungen erfüllen, um am Experiment teilzunehmen?
Wir haben lediglich festgelegt, dass die Unternehmen die Arbeitszeit verringern mussten – ohne Lohneinbußen für die Mitarbeiter. Und das vorzugsweise auf 28 bis 32 Stunden pro Woche.
In manchen Branchen lässt sich Arbeit leichter verschieben als in anderen.
Wir hatten gehofft, dass sich Unternehmen aus vielen unterschiedlichen Arbeitsumfeldern anmelden würde, aber darüber hatten wir keine Kontrolle. Glücklicherweise ist das dann eingetreten. Das Forschungselement des Programms wird mit Sicherheit durch die Vielfalt der teilnehmenden Organisationen bereichert.
Die Bandbreite der teilnehmenden Unternehmen ist recht hoch. Sogar ein Finanzunternehmen ist dabei.
Wir haben eher gehofft als erwartet, dass das passieren würde. Ich denke, das Interesse an dem Versuch spricht für seine Anziehungskraft. Das ist nicht nur etwas für privilegierte Büroangestellte. Das glauben zwar viele, aber unser Versuch lässt sich an eine Vielzahl von Arbeitsumgebungen anpassen. Wir hoffen, dass die Studie die belastbaren Beweise liefern wird, um Unternehmen mit traditionellen Arbeiterberufen dabei zu unterstützen, den Sprung zu wagen und die Vier-Tage-Woche einzuführen.
Ihre Organisation hat in der Vergangenheit bereits kleinere Testreihen durchgeführt. Was kam dabei heraus?
Die Ergebnisse waren alle sehr ermutigend in Bezug auf Produktivität, Mitarbeiterwohlbefinden sowie bei Personalgewinnung und Mitarbeiterbindung. Wir sind daher zuversichtlich, dass das Programm für die Mehrheit der teilnehmenden Unternehmen zu positiven Ergebnissen führen wird. Es gibt Studien aus aller Welt, die zeigen, wie effektiv kürzere Arbeitswochen sein können.
Aber ist es wirklich möglich, die Arbeitszeit zu verkürzen, ohne auch den Lohn zu reduzieren? Läuft das nicht zwangsläufig auf eine Verdichtung der Arbeit hinaus?
Es funktioniert nach dem 100-80-100-Modell – 100 Prozent Bezahlung, 80 Prozent Zeit, 100 Prozent Produktivität. Dieses Modell stammt von Andrew Barnes von der Treuhandgesellschaft Perpetual Guardian in Neuseeland. Er hat diese Strategie 2018 bei einem Vier-Tage-Wochen-Test umgesetzt. Indem man die Bezahlung und Produktivität beibehält, ändern man die Denkweise innerhalb eines Unternehmens von einem zeitorientierten Ansatz hin zu einem, der sich auf Leistung konzentriert. Durch die zusätzliche Freizeit sind die Mitarbeiter ausgeruhter und können sich gleichzeitig darauf konzentrieren, die Arbeit in kürzerer Zeit zu erledigen. Durch die geringere Arbeitszeit haben sie auch einen enormen Anreiz, effizienter zu arbeiten. Diese Strategie erfordert jedoch, dass die Organisation als Ganzes sie annimmt, indem sie technologische und kulturelle Veränderungen umsetzt, die erforderlich sind, um effizientere Arbeitsweisen zu ermöglichen.
Dennoch: Einige Experten warnen davor, dass das auch zu erhöhtem Stress führen könnte.
Das kann schon passieren, wenn man es falsch macht. Wir hoffen aber, dass wir das durch unsere Vorbereitungen und unsere Unterstützung für die Unternehmen abwenden können.
Ist ein Versuch mit der Vier-Tage-Woche auch schon einmal gescheitert?
Wir haben beobachtet, dass die erfolgreichsten Studien drei wichtige Merkmale aufweisen: Universalität, Zustimmung der Mitarbeiter und ein hohes Maß an Mitarbeit und Eigenverantwortung der Mitarbeiter während des Testprozesses. Traten bei Versuchen Schwierigkeiten auf, dann hatte das oft mit einem von oben nach unten ausgerichteten Modell zu tun, das diesen Prinzipien widersprach. Daher ist es äußerst wichtig, dass Studien einen Ansatz von unten nach oben verfolgen, der die Mitarbeiter in die Gestaltung des Prozesses einbezieht. Andernfalls läuft man Gefahr, ein Modell einzuführen, das die Wünsche der Mitarbeiter nicht erfüllt.
Es gibt bei dem Versuch auch Firmen, bei denen Mitarbeiter überwiegend oder ganz von zu Hause aus arbeiten. Wie stellen Sie sicher, dass die Leute wirklich nur vier Tage arbeiten?
Ich glaube nicht, dass es möglich ist, Menschen davon abzuhalten, in ihrer Freizeit zusätzliche Arbeit zu leisten. Ich denke jedoch, dass die Unternehmen versuchen werden, eine Kultur zu schaffen, in der sie ihre Mitarbeiter ermutigen, in ihrer Freizeit nicht zu arbeiten.
Die britische Regierung unterstützt die Studie aber nicht. Ganz im Gegenteil: Führende Vertreter der Regierung haben kürzlich sogar harsche Kritik daran geübt, dass viele Briten lieber weiter von zu Hause aus arbeiten. Was steckt dahinter?
Dass so viele Leute weiter von zu Hause aus arbeiten oder an vier Tagen in der Woche, das hat hier wohl eine leichte moralische Panik ausgelöst. Im Sinne von: Die junge Generation habe wohl Angst davor, hart zu arbeiten. Gewissen Wirtschaftsführern ist wohl auch ihr Portfolio an Gewerbeimmobilien abgesackt, daher üben sie Druck auf die Regierung aus, damit sie die Menschen zurück zur Arbeit bekommen. Wir hoffen darauf, dass die Regierung letztendlich darüber hinwegsehen wird und sich stattdessen mit den großen Vorzügen der Viert-Tage-Woche und des Homeoffice befasst. In Schottland werden in diesem Herbst übrigens sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor Vier-Tage-Woche-Versuche stattfinden. Das zeigt, dass es auf Seiten der Politik durchaus auch Unterstützung und Interesse gibt.
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