Wann sich Leistung lohnt „Individueller Leistungsaufwand garantiert Erfolg immer weniger“

Viele Arbeitnehmer wünschen sich mehr Anerkennung im Beruf. Dabei geht es nicht nur um die Bezahlung. Quelle: Imago

Vielen Beschäftigten fehlt die Wertschätzung ihrer täglichen Arbeit. Der Soziologe Wolfgang Menz spricht im Interview darüber, ob sich Leistung heute weniger auszahlt und warum es nie ganz gerecht zugehen kann.

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Wolfgang Menz ist Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Arbeit an der Universität Hamburg und Mitarbeiter am Institut für sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München.

Laut einer Studie der Bergischen Universität Wuppertal möchte nicht einmal jeder Zehnte der Baby-Boomer-Generation bis zur regulären Arbeitsgrenze arbeiten. Was treibt Arbeitnehmer zur Flucht in die Frührente?
Dafür gibt es zwei Gründe. Offensichtlich ist, dass sich das Rentenalter erhöht hat. Die Leute arbeiten heute länger als früher und verspüren nach einer gewissen Zeit das Bedürfnis, in Rente zu gehen. Allerdings ist das auch eine Frage der Leistungsorganisation in den Betrieben. Früher konnten Beschäftigte, die durch gute Leistungen aufgestiegen sind, ihren Status einfacher erhalten. Einmal erreicht, war die Position gesichert. Nun gibt es in Unternehmen schon seit längerem die Entwicklung, dass Leistung ständig getestet wird – Beschäftigte müssen sich immer wieder bewähren und zeigen, dass sie sich ihre Stellung zurecht erarbeitet haben. Sie haben den Eindruck, immer mehr Leistung bringen zu müssen, um ihre Stellung im Unternehmen und der Gesellschaft nicht zu gefährden. Eine Gegenreaktion ist aus diesem System auszusteigen, um sich dem Druck nicht weiter auszusetzen.

Müssen Arbeitnehmer ihre eigenen Leistungen denn wirklich ständig übertreffen, um ihre aktuelle Position zu sichern?
Statistisch betrachtet nehmen Positionsverluste nicht zu. Aber es steigt die Angst davor. Die Beschäftigten haben den Eindruck, dass sie sich auf früheren Erfolgen nicht ausruhen dürfen und immer mehr leisten müssen, um ihre derzeitige Stellung zu halten. Zielvereinbarungen bei Jahresgesprächen oder Verkaufsvorgaben spielen dabei beispielsweise eine große Rolle. Erreicht ein Arbeitnehmer die vorgegebenen Ziele, dann werden sie nächstes Jahr höher gesteckt: Was gestern noch Erfolg war, ist heute schon Versagen. Das wird als belastend wahrgenommen, führt zu Verunsicherung über die eigene Leistungsfähigkeit und letztendlich zu Unzufriedenheit. 

Diese Unzufriedenheit zeigt auch die Studie: 44 Prozent der Befragten gaben an, im Ruhestand mit einer Verbesserung ihres Lebens zu rechen. Warum ist Arbeit in Deutschland so unbeliebt?
Generell würde ich nicht sagen, dass Arbeiten unbeliebt ist – die Tätigkeiten vieler Beschäftigter sind sogar interessanter geworden. Aber Arbeitnehmer haben verschiedene Ansprüche an ihren Beruf. Beispielsweise möchte niemand, dass seine Würde verletzt wird. Früher haben Selbstverwirklichungsansprüche in der Arbeit eine prominentere Rolle gespielt, heute sind sie nur noch bei der Berufswahl relevant. Was nach wie vor sehr stark gewichtet wird ist die Leistungsgerechtigkeit, das Basisprinzip in Unternehmen und unserer Gesellschaft – und es ist erstaunlich dauerhaft. Obwohl die Beschäftigten wissen, dass es in der Praxis nicht funktioniert, fordern sie die Leistungsgerechtigkeit ein.

Was genau verstehen die Leute denn unter Leistungsgerechtigkeit?
In einer Sache sind sich alle einig: Engagement und Aufwand sollen belohnt werden, denn wer etwas leistet, der hat dafür auch etwas verdient. Bei allen weiteren Auffassungen gehen die Meinungen auseinander. Ein typisches Beispiel zur Veranschaulichung dieser Problematik sind Managergehälter. Manche vertreten die Ansicht, Manager trügen eine hohe Verantwortung. Andere sehen darin keine Leistung, da sie ohnehin auf die Beschäftigten übertragen wird – immerhin verlieren die ihren Job, wenn die Firma nicht mehr läuft. Boni und Prämien suggerieren, dass Leistung quantifizierbar ist. Und wir halten entgegen der Wirklichkeit an diesem Prinzip fest. Wir haben halt auch kein anderes. Wenn ich mehr Geld will, dann argumentiere ich mit meiner Leistung, nicht mit dem neuen Auto, das ich mir kaufen möchte. 

von Dieter Schnaas, Christian Ramthun, Benedikt Becker, Max Haerder

Beim Leistungsprinzip spielt auch die Wertschätzung der geleisteten Arbeit eine Rolle. In welcher Form kann man sie Arbeitnehmern entgegenbringen, wenn Leistung nicht quantifiziert werden kann?
Das ist eine fast unlösbare Grundfrage der Organisation. Anerkennung funktioniert nie primär über Geld, auf der anderen Seite aber doch. Arbeitnehmer fühlen sich ungerecht behandelt, wenn sich ihre Leistung nicht monetär ausdrückt. Andererseits ist Geld nicht genug, um Anerkennung zu fühlen - sie muss auch von Kollegen, Vorgesetzten oder Kunden gezeigt werden. Aber auch die Zufriedenheit mit der eigenen Leistung ist wichtig. Selbst wenn man wenig Anerkennung bekommt, kann man trotzdem mit der eigenen Leistung zufrieden sein. Abgesehen davon ist aber auch eine angemessene Vergütung wichtig, das eine geht nicht ohne das andere. Wenn Vorgesetzte, Kollegen, Kunden und der Angestellte selbst zufrieden mit seiner Leistung sind, dann verzichtet er sicherlich nicht auf den Lohn, schließlich hat er ihn sich verdient.

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