Wann sich Leistung lohnt „Individueller Leistungsaufwand garantiert Erfolg immer weniger“

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Lohnt sich Leistung überhaupt noch?

Aber der Staat verdient mit: Normalverdienern werden hohe Steuern aufgebürdet und Leute mit geringem Gehalt werden relativ fast so stark belastet, als hätten sie ein Top-Einkommen. Inwiefern beeinflusst das Nettogehalt die Zufriedenheit im Beruf?
Geld ist in unserer Gesellschaft eine Art Anerkennungswährung. Daraus entsteht ein typisches Dilemma: Leute neigen dazu, das Bruttogehalt auf ihre Leistung zu beziehen und die Abzüge auf Umverteilung. Aber dass man dieses Gehalt überhaupt erzielt, kommt zum Beispiel daher, dass man eine Universität besucht oder das deutsche Schulsystem genutzt hat. Da hat der Staat mitgeholfen – das steht aber nicht auf dem Lohnzettel. Weiterhin sehen viele die Nutzung von Straßen und anderen öffentlichen Gütern als selbstverständlich an. Was als gerecht und zufriedenstellend empfunden wird ist unabhängig von rechenbaren Faktoren. An der Suche nach einem gerechten Steuersystem sind schon ganze Generationen von Betriebswirten und Soziologen verzweifelt.

Viele Steuerzahler nehmen den Fiskus als eine Art Robin Hood wahr, der ihnen den verdienten Lohn aus der Tasche zieht und an Bedürftige verteilt. Auf der anderen Seite schimpfen viele Menschen mit kleinem Einkommen über den Staat, der allerdings so viel umverteilt, wie noch nie. Wie passt das zusammen?
Statistisch nimmt das Ungerechtigkeitsgefühl in der Gesellschaft zu, eigentlich fühlen sich alle ungerecht behandelt, weil jeder sich selbst mehr zuschreibt. Aber die Leute betrachten sich auch selbstkritisch. Es ist nicht so, dass alle sagen, sie hätten mehr verdient, und sich wundern, warum sie so wenig bekommen. Eine Studie von uns zeigt, dass Arbeitnehmer ihre eigene Leistung prüfend reflektieren und geringeres Einkommen beispielsweise auch auf mangelnden Einsatz oder geringe Qualifikation zurückführen. Das Ungerechtigkeitsempfinden steigt trotzdem. Erstaunlich ist das Phänomen, dass die Leute immer weniger erwarten, dass die Politik tatsächlich Fragen der Gerechtigkeit und Leistung lösen kann. Sie vertreten häufig widersprüchliche Ansichten: Einerseits sagen sie „die Politik kann da eh nichts machen“ und andererseits sind „die Politiker an allem Schuld“. Es entsteht ein diffuses Ungerechtigkeitsgefühl - ohne Konzept, wie es besser wäre.

Wolfgang Menz ist Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Arbeit an der Universität Hamburg und Mitarbeiter am Institut für sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München. Quelle: Silvio Knezevic

Top-Performer werden von Kollegen häufig mit Missgunst gestraft, Geringverdienern bleibt oft nicht viel mehr, als sie durch Transferleistungen vom Staat bekommen würden. Lohnt sich Leistung noch oder sind die Anreize für Arbeit falsch gesetzt?
Eigentlich nicht. Die monetären Unterschiede, die man durch mehr Leistung erzielen kann, sind ja trotz allem sehr hoch. Die Ungleichheit ist in Deutschland lange Zeit gestiegen und stagniert derzeit auf vergleichsweise hohem Niveau. Da fehlt es nicht an Leistungsanreizen. Zugleich wird unsere Gesellschaft zunehmend erfolgsorientiert. Problematisch ist, dass der individuelle Leistungsaufwand Erfolg jedoch immer weniger garantiert. Fehlende Wertschätzung verstärkt dann die Unzufriedenheit der Leute.

Zehn Jahre wirtschaftlicher Aufschwung haben zu Reallohnerhöhungen geführt. Dennoch sagen Sie, viele Leute hätten das Gefühl, ihre Arbeit werde ungerecht beurteilt und nicht wertgeschätzt. Was sagt das über unsere Leistungsgesellschaft aus?
Das ist nicht ganz untypisch, Ansprüche entstehen oft in einer Aufwärtsbewegung. Viele glauben bei einer Verbesserung der allgemeinen Situation, nicht genug daran zu partizipieren. Die Frage nach dem Ungerechtigkeitsempfinden gehörte von Beginn an zu unserer Leistungsgesellschaft. Alle fühlen sich ungerecht behandelt – die einen glauben zu viel abgeben zu müssen, andere sind der Ansicht zu wenig zu haben. Die Gesellschaft setzt sich gar nicht mit den komplexen Strukturen dahinter auseinander. In welchem Verhältnis stehen zum Beispiel Leistung und Märkte? In der Gesamtheit betrachtet werden nicht diejenigen honoriert, die sich am meisten angestrengt haben. Trotzdem berufen wir uns weiter auf das Leistungsprinzip, weil Verteilung allein nach Bedürftigkeit oder Egalitätsprinzipien weder funktioniert, noch geteilter Wunsch ist. Wir machen beständig die Erfahrung von Ungerechtigkeit, halten aber am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit fest. Weil es ja irgendwie im Kleinen wie der Arbeitsgruppe oder dem eigenen Umfeld durchaus funktioniert. Eine leistungsgerechte Gesamtgesellschaft wird es allerdings nie geben.

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