Weihnachtsmann im Interview „Manche Weihnachtsfeiern eskalieren wirklich extrem“

Weihnachtsmann-Ausbilder Stefan Dößereck Quelle: privat

Stefan Dößereck tritt seit 25 Jahren als Weihnachtsmann auf – und bildet andere zu Weihnachtsmännern aus. Ein Gespräch über zerstörte Illusionen, betrunkene Angestellte und plaudernde Kinder.

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An diesem Vormittag im Dezember ist dem Weihnachtsmann jemand hintendrauf gefahren. Auf das parkende Auto, Mercedes C-Klasse. Eingeknickte Lenkmanschette. Immerhin: Dem Fahrer ist nichts passiert. Stefan Dößereck, der Weihnachtsmann-Darsteller und -Ausbilder, verspätet sich ein wenig. Und dann humpelt er auch noch: Sein linker Fuß steckt bis über den Knöchel in einer abnehmbaren Orthese. Fersen-Operation. „Für die Kinder: Unfall mit dem Schlitten“, sagt er.

Der 51-Jährige Kölner, studierter Maschinenbauer, betreibt unter Weihnachtsmann-Service.de eine Vermittlung von Weihnachtsmann- und Nikolaus-Auftritten. Er tritt auch selbst auf und bildet Interessierte zu Weihnachtsmann-Gehilfen aus. Ein Interview-Termin mit dem Weihnachtsmann im Dezember? Kein Problem, Stefan Dößereck nimmt sich eine Stunde Zeit.

WirtschaftsWoche: Herr Dößereck, vor 25 Jahren sind Sie zum ersten Mal als Weihnachtsmann aufgetreten, bei Ihrer Nichte. Mit Ihrem heutigen Wissen: Wie waren Sie so?
Stefan Dößereck: Aus der heutigen Sicht habe ich ganz viele Fehler gemacht. Das Kostüm hatte auf dem Dachboden gelegen, nach einem Waschgang war der Pelz dann rosa verfärbt. Und ich habe mir das Kostüm vorher nicht angezogen. Man muss das vorher mal eine Zeit lang tragen, um ein Gefühl für die Wärme zu bekommen. Vor allem aber hatte ich kein Vorgespräch geführt. Wie viele Kinder sind da? Wie viele Geschenke überbringe ich? Passen die alle in den Sack? Gibt es Tiere im Haus? Was soll ich aus dem Goldenen Buch vorlesen? Den Text hatte ich damals erst eine Minute vorher in die Hand gedrückt bekommen. Grundsätzlich muss ich immer zuerst die Frage klären: Was verbinden die Leute, die den Weihnachtsmann oder Nikolaus buchen, mit dem Auftritt? Und wenn die Intention eine falsche ist, bin ich nicht dabei.

Zum Beispiel?
Lustig aus der Torte hüpfen oder Mitarbeitern sagen, wie schlecht sie sind – solche Sachen mache ich nicht. Grenzwertig ist der Weihnachtsmann-Auftritt nachts um 2 Uhr in der Disco mit Sonnenbrille. Da kriegen sie nen Affen, wenn sie im Weihnachtsmannkostüm in einer warmen Disco rumrennen und alle Leute ihnen an die Wäsche wollen, weil die alle hoch alkoholisiert sind. Es gibt bei uns im Netzwerk aber Leute, die machen so was, die sind da total stressfrei.

Bereits in Ihrem zweiten Jahr als Weihnachtsmann-Darsteller haben Sie auch schon andere zu Weihnachtsmann-Gehilfen ausgebildet und fortan ein Netzwerk aufgebaut. Wie kam es dazu?
Ich bekam durch Mundpropaganda und Jobvermittlung der Studenten ganz viele Anfragen. Aber ich konnte die nicht alle annehmen. Ein Freund kam dann auf die Idee der Ausbildung. Die Ausbildung dauert rund drei Stunden, ich nehme 25 Euro Schutzgebühr, die hat man mit dem ersten Auftritt ja wieder drin. Und die Auftritte bekommen die Kursteilnehmer hinterher auch kostenlos vermittelt. Ich habe 250 Leute ausgebildet, aber die landen nicht alle im Netzwerk. Viele wollen gar nicht ins Netzwerk, die machen das nur privat. Einige melden sich auch ab, bei denen klappt’s mal ein paar Jahre lang nicht. Die Schulungen zielen auch nicht darauf ab, nur das Netzwerk zu befüllen. Es geht erst einmal darum, Wissen zu vermitteln und Menschen zu zeigen, dass ein Weihnachtsmann-Darsteller nicht einfach nur eine rote Mütze überzieht, irgendwo reinrennt und „Ho, ho, ho“ brüllt, sondern dass eine ganze Menge an Vorarbeit zu leisten ist und eine Verantwortung damit einhergeht.

Dass Sie Verona Pooth und Oliver Pocher zu Weihnachtsmann-Gehilfen ausgebildet haben, war aber reines Marketing, oder?
Von denen. Das Interesse von Prominenten an meiner Ausbildung ist Gott sei Dank über die Jahre zurückgegangen. Es macht zwar Spaß, bindet aber doch eine Menge Ressourcen. Natürlich kann ich entscheiden, ob ich’s mache oder nicht, aber dann gehe ich doch lieber zu zehn Kindern, als dass ich 20 Stunden mit einer Fernsehproduktion verbringe.

Pooth und Pocher sind also nicht in Ihrem Netzwerk?
Leider nicht.

Wie viel Geld verdient man denn so als Weihnachtsmann?
Ich muss das klarstellen: Ums Geld geht’s mir und meinen Kollegen überhaupt nicht. Es gibt mittlerweile auch Agenturen, die sich auf die Vermittlung von Weihnachtsmännern spezialisiert haben, die sind aber nicht mit dem Herz dabei, sondern – im Gegenteil – zum Teil Abzocker. Das ist der wesentliche Unterschied zu uns Weihnachtsmann-Darstellern. Es hat mal einer am 6. Dezember abends bei mir an der Haustür geklingelt, mit einem 500-Euro-Schein gewedelt und gesagt, ich solle jetzt mitkommen in seinen SUV und seine Kinder bespaßen. Aus der Not habe ich dann meinen Kostümverleih gestartet. Ich habe gesagt: „Das geht jetzt nicht. Ich habe aber eines meiner Ersatzkostüme, machen Sie‘s selber, und bringen sie’s mir gereinigt zurück.“

Aber ganz umsonst werden Sie’s nicht machen.
Ich arbeite nicht gewinnmaximiert. Bei Auftritten bei Privatpersonen entscheiden die selbst, was sie mir geben. Ich kann ja gar nicht ermessen, was bei der Familie da ist oder nicht da ist. Und es wird auch steuerlich angemeldet als Honorareinnahme, muss so sein, sonst mache ich mich strafbar. Die Individualität ist ja auch in den Auftritten enthalten, warum soll sie sich nicht auch in den Preisen widerspiegeln? Anders ist das bei Firmenauftritten, aber auch da mache ich die Preise aus dem Bauch. Eine große Kreditkartenfirma hat mal mit zweieinhalbtausend Leuten Weihnachten gefeiert. Da habe ich den halben Abend mitmoderiert und eine Verlosung gemacht. Da war der Preis auch nicht übertrieben, aber doch höher als beim Heizungssanitäranlagenbauer um die Ecke.

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