Weiterbildung "Lernen muss Spaß machen"

Weiterbildung gilt als ein wichtiges Instrument gegen den Fachkräftemangel. Wenn das Lernangebot spannend und jederzeit erreichbar ist, stimmt das auch. Leider hält die Mehrheit der Chefs Weiterbildung für Privatsache.

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Weiterbildung - egal ob digital oder analog - muss Spaß machen, damit die Mitarbeiter gerne lernen. Quelle: dpa

Seit der kürzlich veröffentlichten Prognos-Studie beschäftigt das Thema Fachkräftemangel nicht nur Personaler und Arbeitsdirektoren. Auch die Politik äußert sich zum Thema. "Wir sind bei der Fachkräftesicherung gut vorangekommen. Aber die Herausforderung bleibt riesengroß", sagte auch Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) angesichts der prognostizierten Fachkräftelücke von rund 3,3 Millionen Menschen in den nächsten zwölf Jahren. Als eine zentrale Herausforderung für die Zukunft nannte ihr Ministerium noch größere Anstrengungen, um die Erwerbstätigkeit von Frauen zu erhöhen. Daneben müsse mehr in Bildung und in Weiterbildung investiert werden.

Lernen darf nicht mühsam sein

Tatsächlich bewegt sich bei der Weiterbildung in Unternehmen schon eine ganze Menge, wie Veranstaltungen, wie die Messe Learntec in Karlsruhe, immer wieder eindrucksvoll zeigen. Da wird geforscht, wie das ältere Gehirn funktioniert, um Weiterbildung für ältere Mitarbeiter passgenau zu entwickeln. Es gibt Gamification-Ansätze, damit Lernen Spaß macht und keine nervige Pflicht ist. „Lernen muss Spaß machen: Bei manchen sind es Sternchen, die sie für eine Lerneinheit gewinnen können, die sie motivieren, bei anderen ist es der reine Lernfortschritt. Aber es darf nicht mühsam sein“, bestätigt Nora Schoenthal, die bei Henkel für Learning und Talent Management verantwortlich ist.

Bei dem Konsumgüterkonzern hat Weiterbildung viele Formen angenommen, so gibt es beispielsweise Lernangebote, wo jüngere Kollegen den älteren Semestern ihren digitalen Alltag vorstellen. Reverse Mentoring heißt diese Art des Lernens. Anstatt Senior coacht Junior läuft es hier genau andersherum.

Seit Anfang letzten Jahres sind weltweit mehr als 160 junge, digitalaffine Nachwuchsmanager in die Mentoren-Rolle geschlüpft und haben sich mit mehr als 220 interessierten Führungskräften, ihren Mentees, getroffen. Einmal die Woche, einmal im Monat, jede Mittagspause – wie auch immer es den Tandems passte – erklärten die einen den anderen ihr persönliches Nutzerverhalten. „Bei einem Reverse-Mentoring-Programm habe ich als Mentorin meinen Mentees meinen digitalen Alltag vorgestellt und sie offensichtlich neugierig gemacht: Beim dritten Treffen hat mich einer der Mentees mit einer App überrascht, die ich selbst noch nicht kannte“, erzählt Mentorin Luisa Schott, Mitarbeiterin aus dem Bereich Beauty Care bei Henkel. Auch Schoenthal ist überzeugt, dass von diesem Lernformat beide Parteien profitieren. „Voneinander lernen ist in der digitalen Welt wichtiger denn je“, sagt sie.


Faktenwissen digital, Verhaltenstraining analog

Deswegen gebe es trotz Digitalisierung und mobilen Lernformaten auch weiterhin das klassische Seminar. „Wir setzen auf zehn Prozent formales, also klassisches Lernen, 20 Prozent soziales Lernen in der Gruppe und 70 Prozent Lernen im Job“, so Schoenthal. Wie das aussehen kann, beschreibt Schott.

Eine der Mentorinnen aus dem Reverse Mentoring-Programm: Luisa Schott. Quelle: Presse

„Ich habe vor kurzem an einem Leadership-Training teilgenommen. Da bestand der digitale Teil aus klassischem Textbuch-Wissen. Zusätzlich gab es praktische Übungen wie etwa Mitarbeitergespräche im Seminar.“

Viele Führungskräfte halten Weiterbildung für Privatsache

Für die digitalen Inhalte greift der Konzern unter anderem auf die Inhalte einer Online-Schulungsplattform zurück. „In meinem Job muss ich viele Daten visuell aufbereiten. Über die Plattform Lynda.com kann ich mich einfach über neue Tools informieren und mir Tutorials anschauen, wie sich etwas besser darstellen lässt. Das finde ich enorm hilfreich“, sagt Schott. Außerdem seien die Inhalte qualitativ hochwertig, wie sie sagt. „Ich muss nicht wie bei einer Internetsuche befürchten, dass eine Information veraltet oder falsch ist.“
Die Plattform, die zu dem Karrierenetzwerk LinkedIn gehört, wurde vor allem in den USA durch einfache Video-Lehrgänge bekannt. Wichtig sei, dass die Inhalte immer und von jedem abrufbar seien, so Schoenthal. Eine Maschine streikt? Dann muss ruckzuck ein Tutorial her, wie sie sich reparieren lässt. Gleiches gelte für die Visualisierungstools der Beauty-Kollegen. Für die Mitarbeiter in der Produktion gebe es dafür digitale Terminals, die während der Arbeitszeit erreichbar seien. Außerdem seien Projekte mit Virtual und Augmented Reality geplant.

„Ich lerne auch ganz klassisch in Seminaren, bei denen es vor allem um Rollenspiele und Feedback von anderen Kollegen geht. Das kann die Plattform garnatürlich nicht ersetzen. Aber zur Ergänzung von systematischem Lernen oder bei einer spontanen Frage ist sie super“, sagt Schott. Und vor allem gehe es schneller, als erst ein Buch auszuleihen oder einen Kurs zu buchen.
„Wichtig ist, dass jeder Mitarbeiter einfach an die Lerninhalte gelangt. Wir arbeiten daran, es in Zukunft den Mitarbeitern noch einfacher zu machen, jederzeit auf alle relevanten Informationen zuzugreifen“, so Schoenthal. Sie spricht in dem Zusammenhang von einer Demokratisierung der (Weiter-)Bildung. „Dass jemand einmal im Jahr zu einem Seminar geschickt wird und darüber hinaus keine Weiterbildung stattfindet, das ist nicht unser Anspruch. Daher ermutigen wir unsere Mitarbeiter, die vielen neuen digitalen Lernformen zu nutzen.“

Dafür braucht es aber nicht nur das Angebot und die Bereitwilligkeit der Mitarbeiter. Es braucht auch Führungskräfte, die das Lernen unterstützen – und es nicht als Vergeudung von Arbeitszeit ansehen. Was offenbar, zumindest bei sogenannten Wissensarbeitern, häufiger der Fall ist, wie die Studie „Wissensarbeit im digitalen Wandel. Neue Spannungs- und Handlungsfelder“ des Personaldienstleisters Hays zeigt.

Weiterbildung: Diese Förderungen gibt es vom Staat

Für die Studie wurden 1.215 Wissensarbeiter und Führungskräfte befragt. Das Ergebnis: 62 Prozent der befragten Angestellten sind selbst für ihre Weiterbildung verantwortlich. Wenn sie sich weiterbilden wollen, müssen sie in ihrer Freizeit und auf eigene Kosten Kurse besuchen oder online lernen. Auch 65 Prozent der befragten Führungskräfte halten die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter für deren Sache. Immerhin geht die Mehrzahl der Fach- und Führungskräfte noch nicht so weit, Lernen und Vernetzen als reine Freizeitangelegenheit zu betrachten. Dennoch befürworten 42 Prozent der befragten Führungskräfte und drei von zehn der befragten Fachkräfte diese Auslegung.

Wenn Unternehmen einen Fachkräftemangel befürchten oder schon jetzt spüren, ist das vermutlich keine gesunde Einstellung. Wer möchte, dass die Belegschaft immer auf dem neuesten Stand ist, muss sich eben auch dafür einsetzen. Anders lässt sich auch gar nicht nachhalten, wer was lernt. Und zumindest die Soft Skills, wie sie beispielsweise in Leadership-Trainings angeboten werden, die geforderten mentalen, sozialen sowie konzeptionellen Kompetenzen, die die Wissensarbeit der Zukunft ausmachen, lernt man eben nicht im Volkshochschulkurs. Dafür braucht es Angebote vom Arbeitgeber – digital und analog. Damit das funktioniert, ist offenbar vielerorts bei Mitarbeitern und Vorgesetzen ein Kulturwandel im Kopf nötig. „Nur weil jemand arbeitet, heißt es nicht, dass er nicht lernt und nur weil jemand lernt, heißt es nicht, dass er nicht arbeitet“, sagt Schoenthal.

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