Im Fitnessstudio wird geduzt. Im Sportgeschäft nicht. Beim Tauch-Urlaub ja, im Schwimmbad nein. In der Medienbranche in der Redaktion ja, in der Verwaltung nicht automatisch. In der SPD schon, in der CDU nicht. Der junge Assistent wird im Geschäft wieder gesiezt, seitdem sich die Chefin auch nach Feierabend mit ihm trifft. Erkennen Sie in diesen Arten von Mitmenschlichkeit irgendein logisches System?
Es wird ja auch schon von vorne herein falsch angelegt. In der Schule werden die Schüler von den Lehrern geduzt und die Schüler siezen den Lehrer. Diesmal nach der Regel: Kinder werden geduzt und Erwachsene nicht. Ab einer bestimmten Klassenstufe aber haben dann die Schüler mitunter einen Anspruch darauf, von den Lehrern gesiezt zu werden, obwohl sie bislang von ihnen geduzt wurden. Dabei haben wir ja gerade schon festgestellt, dass ein Wechsel von Du auf Sie nichts anderes ist als ein Schritt von einander weg.
Dennoch: Man wächst sozusagen mit der Pubertät in den angeordneten Respekt hinein. Nach den Sommerferien ist man plötzlich Sie-reif. Ein vergiftetes Sie.
Ich erinnere mich noch, wie wenig das mit Höflichkeit und Respekt zu tun hat. Einer meiner Lehrer sagte damals: „Wollt ihr gesiezt werden? Aber ich sag es gleich: Ich duze oder sieze nur klassenweise. Den Scheiß mit einzelnen Ausreißern, die sich für was Besonderes halten, könnt ihr vergessen.“
Wir boten damals jedem einzelnen Lehrer an: „Sie können uns gerne weiter duzen, wenn wir Sie auch duzen dürfen.“ Raten Sie mal, wie viele Lehrer sich darauf eingelassen haben.
Antwort: null. Begründung: „Sie Arschloch geht immer noch schwieriger über die Lippen als du Arschloch.“ Wie bei den Polizisten: Die Befürchtung, zu viel Nähe ruiniere den Respekt. Oje! Wo ist da das Selbstvertrauen geblieben? Und als wenn am Ende das Sie den letzten Funken Respekt noch am Glimmen halten könnte.
Wie machen wir weiter? Lasst uns uns duzen. Erster Schritt: Lasst uns nicht mehr beleidigt sein, wenn wir geduzt werden. Nicht, weil wir uns alle so doll lieb haben, sondern weil diese Zwei-Klassen-Ansprache einfach nicht mehr zeitgemäß ist. Übrig geblieben aus dem alten Standesdenken, nachdem bei Hofe sogar die zweite Person Plural verwendet wurde („Habt Ihr noch Wünsche, gnädiger Herr?“), die sich auch längst erledigt hat.
Und weil das alberne Siezen-Duzen-Hickhack vor allem im Geschäftsverkehr in der aktuellen Übergangsphase nur zu Verunsicherung führt - und niemals zu mehr Souveränität zwischen Kollegen oder Kunden und Dienstleistern -, kann ein bisschen Tempo beim Abschaffen nichts schaden. Siezen nur noch als neue, dezente Art der Ablehnung - statt einer handfesten Beleidigung. Das hätte doch Stil.
Wie fühlen Sie sich, wenn ich Euch frage: Darf ich Euch Leser duzen? Komisch, ne? Schade eigentlich. War nämlich als Kompliment gemeint.