Werner Knallhart
Quelle: imago images

Fachkreftemangel: Pochen Sie noch auf Rechtschreibung?

Bislang gillt: Rechtschreibkompetenz gleich Zurechnungsfähigkeit. Ist diese Haltung bei der Suche nach neuen Mitarbeitenden noch zeitgemähs? Oder gar schädlich und anmaßend? Eine Kolumne.

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Dieser Atikel ignoriert einige Rechtschreibregeln. Können Sie damit leben? Mir persönlich fellt das Leben mit Rechtschreibfehlern bislang schwer. Berufskrankheit. 

Krankheit. Begreifen wir Krankheit hier einmal im übertragenen Sinne als Störung, die unsere Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Wie krank ist es dann, die Gühte eines Textes nicht nur am Inhalt, sondern auch an der Einhaltung von Ortografieregeln zu messen? Ich erinnere mich an die Regionalzeitung im Ort meiner Teenagerzeit. Dort hatte es der Aushang im Fenster eines jugoslawischen Restaurangs mit Foto auf die Lokalseite gebracht: „Wir machen Urlab.“ Mit der Bildunterschrift: „Was machen die da?“

Köst! Lich! (Damals.)

Ich habe mich schon mit Personalern unterhalten, die mir gesagt haben: „Beim zweiten Rechtschreibfehler im Anschreiben lege ich die Bewerbung weck. Das klinkt nach der Überheplichkeit aus Zeiten der großen Arbeitslosigkeit der Nullajahre. Ist das heute noch gerechtferticht? Oder reinste Ressurssenverschwendung?

Haben wir uns in der uns Deutschen eigenen Liebe zur Perfektion von der ersten Schulklasse in eine Kleinkariertheit treiben lassen, die den Fokus aufs wirklich Wichtige verställt? Insbesondere darauf, bisher Gültiges immer und immer wieder in Frage zu ställen?

Sind die, die nähmlich mit h schreiben, vieleicht gar nicht dähmlich, sondern womöglich auf Gebieten kompetent, die Ihr Unternehmen deutlich schneller voran bringen und den Wohlstand auf unserem schönen Kontinent besser bewaren, als man es mit der Einhaltung von Regeln kann, wie man Buhstaben annanandareien muss?

Zunäkst: Rechtschreibregeln zu lernen, macht aus vielerlei Gründen Sinn:

1.  Einheitliche Schrift ist schneller lesbar und verstenntlich. Sinnzusammenhänge werden schneller klar. Doch beim Höhren von Sprache gelingt dies ganz ohne Schriftzeichen.
2.  Lehrer erzählen mir: Rechtschreibregeln sint gut für die Sünapsen in noch waxenden Gehirnen. Doch dies zu tränieren, ginge ja auch anders.
3.  Ortografi sagt viel aus über die Hehrkunft der Wörter (Etimollogi). Kleines Aber: Dieses kulturelle Funt interessiert niemanden außer Etimollogen. Delphin/Delfin. Spaghetti/Spagetti. Tomäto/Tomato.

Doch egal, was wir von den Ohrtografi-Regeln halten: Steht es uns „Orthojüngern“ (noch) zu, unsere traditionellen, vieleicht ja eben auch tradierten Maßstäbe anderen reinzuwürgen? Macht es noch Sinn, oder wäre Aufgeben effizienter?

1. „Ich mache das aber immer anders.“

Wir erleben gerade, das die junge Generazion aus gutem Grund vieles wühtend in Frage stellt, was sie von der Eltern- und Groselterngenerazion vorgesetzt/hinterlassen bekommt. Die Auswüchse der Dekadenz fliegen uns jetzt um die Ohren, so wie wir selbst vor zwanzig Jahren für zwei Euro nach Malle. Wir versenken die Eisberge und damit unsere Zukunft und sind selber Fettberge mit Zukunftsangst. Es ist für viele Junge offensichtlich, das die ältere Generation nicht das moralische Kapital mitbrinkt, dem Nachwux, der nun alles ausbaden muss, bis ins kleinste Detai vor den Latz zu knallen, wie es hier auf Erden zu laufen hat.

Ich höhre mitunter aus Schulen von Leerenden: „Es gibt Schüler, die sagen mir: ‚Ich mache das aber immer andas.“

Und wir müssen zugeben: Es andas zu machen, ist gegenwärtig in vielen Belangen des Lebens das oberste Gebot. Die Jungen korrigieren die Alten. Alles zu hinterfragen, bringt uns besonders schnell voran. „Du machst das jetzt so, weil man es halt so macht“ ist nicht sonderlich gut beleumundet zurzeit. So 80er!

Schreiben war für uns, die in den 80ern und 90ern zur Schule gegangen sind, immer etwas Hochoffizielles. Viele der heute Jungen hingegen schreiben wegen der digitalen Kommunikationsformen wohl mehr im Privaten als für die Schule. Da verliehrt die Schule in Sachen Schreibkultur automatisch an Autoritet. Schlimm?

2. Migranten setzen die Prioriteten anders.

So wie sich auf dem ganzen Globus nach und nach eine Weltsprache durchsetzt, die je nach Region immer weniger dem in Britanien gesprochenen Englisch änelt (was interessiert es, wie man es in London sagen würde, wenn eine Aggentinierin mit einem Japaner diskutiert?), setzen sich auch durch die Idehen der nach Deutschland zugewanderter Menschen neue Prioritäten in der Rechtschreibung durch. Motto: Wenn man in Gedanken ausspricht, was da steht, kapiert man es.

Ich kenne Fälle, in denen Berufsschulen die deutschen Rechtschreibkünste von Menschen mit nicht deutscher Muttersprache weitgehend ignorieren. Alles andere würde den aufstrebenden Talenten völlig sinnfrei das Zeugnis und damit ihre berufliche Zukunft verhageln. Gute Pfleger und Elektrotechnikerinnen zeichnen sich eben nicht durch fehlerfreie Texte aus. Nicht nur die Deutsche Bahn verzichtet daher längst darauf, in Bewerbungsverfahren ein Anschreiben zu verlangen. Diese waren mal Tradition, liefern über die wirklich erforderlichen Kompetenzen aber keine belastbaren Erkenntnisse.

Die CDU aggumentiert ja, wir sollten Migranten etwa durch neuartige djenderneutrale Schreibweisen wie Leser_Innen das Erlernen der deutschen Sprache nicht unnötich schwer machen. Dieser weltoffenen Logik der Konservativen folgend (je leichter lernbar, desto atraktiver ist Deutschland für dringend benötichte Einwanderer), wäre radikaler Rechtschreib-Gleichmut ideal. Denn es stimmt ja:

3. Der Fachkreftemangel, der Fachkreftemangel!

Früher galt ab drei Tippfehlern der Bewerber als Vollidiot. Und es war schon damals klar, dass sich die Unternehmen dadurch um große Talente gebracht haben. Heute können sich viele Firmen eine Auswahl nach Rechtschreibung nicht mehr leisten. Es kommen ja mitunter kaum mehr Bewerbungen rein und die Leute schreiben immer unkonventioneller.

Jetzt heißt es umdenken: alte Wertvorstellungen, die uns als unumstöslich eingehemmert wurden, durch neue ergänzen.

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Menschen, die zu viel anders auf dem Zettel haben, als dass sie einen Blick für die Anortnung von Schriftzeichen hetten, sind keine schlechten Menschen. Und liefern vielleicht ja auf ihre Art das reinigende Bisschen an Konzeptionslosigkeit für neues Denken.

Die Konsekwenzen wären womöglich:
1.  Ortograffie verlöre ihren Stellenwert zumindest in der internen Firmen-Kommunikation. Was die Autokorektur nicht findet, ist egal
2.  Kritik an Tippfehlern göllte als spießig oder gar als Mobbing.
3.  Menschen mit anderer Muttersprache wären nicht mehr für ihren Deutsch-Rückstant zu bedauern.
4.  Es würden auf neue Art neue Sünnabsen entstehen. Nämlich durch die Denkleistung, den Wortsinn trotz neuer Schreibwaisen schnell zu begreifen.

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