Werner knallhart
Großraumbüro: Warum man radikale Regeln braucht Quelle: Getty Images

Flop Großraumbüro: Warum sitzen Chefs eigentlich solo?

Die Idee vom kommunikativen Großraumbüro wurde zuletzt von einer Harvard-Studie entzaubert: Wer den Mund aufmacht, nervt. Da helfen nur strenge Großraum-Regeln und keine Scheu vor Ohropax.

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Hach, das Großraumbüro! Der Ansatz hat in der Theorie viel Schönes. Großraum, das riecht nach Teamwork, kurzen Wegen und Effizienz auf Zuruf über fünf Meter hinweg.

Kollege 1: „Chris? – CHRIS?“
Kollege 2: „Ja, was ist?“
Kollege 1: „Kriegst du die Dings-Präsi bis 15 Uhr fertig?“
Kollege 2: „Was ist Dings?“
Kollege 1: „Ja, hier, sag schnell, diese Dingsbums für Donnerstag in Göttingen.“
Kollege 2: „Ach so, ey, das wird ein harter Ritt, Stefan. Ganz ehrlich.“
Kollege 1: „Sonst lass dir doch von Julia helfen oder so.“
Kollege 2: „Julia, wie sieht es aus? Kannst du?“
Kollegin 3: „Von mir aus. Aber erstmal gehe ich was essen.“
Kollege 2: „Cool, danke. Guten Appetit. Was gibt’s heute? Hast du geguckt?“
Kollegin 3: „Irgendwas mit Tafelspitz.“

Bäng! Kommunikation, die per Gruppenmail mitunter Stunden dauert, braucht im Großraum zehn Sekunden. So geht Produktivität.
Das Blöde ist nur: Auf dem fünf Meter langen Weg von Stefan zu Chris, von Chris zu Julia und von Julia zu Stefan fliegt der Schall im Großraum oftmals zwei, drei anderen Kollegen um die Ohren, die mit der ollen Präsi aber auch so gar nichts zu tun haben.

Deshalb geht die Konversation oft weiter wie folgt:
Kollege 4 (aus der Mitte des Raumes): „Kinners, ihr seid nicht allein auf der Welt. Ich versuche hier gerade auch, was Wertschöpfendes auf die Beine zu stellen, was mein popeliges Gehalt rechtfertigt. Also geht bitte raus, wenn ihr über Tafelspitz rumbrüllen wollt.“
Kollegin 5 (aus der Ecke links hinten): „Wobei, Jürgen, wenn du jetzt jedes Mal noch kommentierst, was jemand sagt, dann potenzierst du den Horrorlärm hier auch noch.“

Wir könnten dieses Wortgefecht jetzt so lange fortspinnen, bis am Ende jemand heult. Weil Tränen am Arbeitsplatz aber nicht gut sind für die Atmosphäre, setzt bei vielen automatisch aus Rücksicht die Großraum-Stummheit ein: lieber nichts sagen, bevor es die anderen nervt. Selbst beim Öffnen und Schließen der Bürotür bekommt der eine oder die andere schon Herzklopfen, weil es ja nur zu peinlich wäre, die anderen mit einem unprofessionellen Bums zu provozieren.

Dass das Großraumbüro die Kommunikation killt, ist jetzt seit diesem Sommer per Harvard-Studie (Name: „Der Einfluss des ‚offenen‘ Arbeitsplatzes auf die menschliche Zusammenarbeit“) belegt: Entgegen der gut gemeinten Idee lassen Großraumbüros die Mitarbeiter wortkarg werden. Und zwar sehr. In dem Test nutzten die Forscher die Chance, die Belegschaft eines Unternehmens vor und nach dem Umzug von Einzelbüros ins Großraumbüro in ihrem Kommunikationsverhalten zu beobachten. Das Resultat: Im Großraum redeten die Kollegen 70 Prozent weniger miteinander. Von durchschnittlich 5,8 Stunden sank die Gesprächsdauer auf 1,7 Stunden. Selbst die Kommunikation von Kollegen, die sich nun im Großraum gegenüber saßen, ging zurück. Die Kommunikation über E-Mail und Messenger dagegen stieg bis zu 50 Prozent an.

Knigge für das Großraumbüro

Die Experten erklären auch, woran das liegt:
a.   Aus Sehnsucht nach Privatatmosphäre igelten sich die Leute ein.
b.   Um den Lautstärkepegel niedrig zu halten, wurden lieber elektronische Nachrichten verschickt.

Doch der störende Brabbel-Teppich von morgens bis abends ist ja nicht das einzige, was einen im Gemeinschaftsoffice zur Verzweiflung treibt. Sondern:
a.   Ein Telefon muss nun einmal klingeln, wenn jemand anruft.
b.   Was, wenn der eine das Fenster aufreißt („damit mal Sauerstoff reinkommt...“), der andere aber nicht gerne im Luftzug sitzt („Ich krieg davon sofort einen steifen Nacken.“)? Der Ventilator-Krieg ist als Variante vielen sicher bekannt aus diesem Sommer: Welches ist der beste Schwenkwinkel und welche Gebläsestufe löst im Schnitt am seltensten Nierenentzündungen aus? Und auch Klimaanlagen bieten Zoff-Stoff: „Mensch, Doris, wie oft muss ich noch sagen: Die trockene Luft lässt meine Kontaktlinsen austrocknen.“
c.   „Ich hoffe, es stört keinen, wenn ich eben mein Zwiebelfleisch von gestern Abend hier am Platz aufesse?“
„Nett, dass du fragst. Doch, stört.“
d. „Karin, Wenn du Daniel nach deinem Wochenende so viel tolle Erlebnisse aus deiner schillernden Freizeit zu berichten hast, dann ruf ihn doch künftig am Sonntag nach dem Tatort an. Ich zumindest muss noch was arbeiten.“

Radikale Regeln zugunsten aller

Kein Wunder, dass viele sagen: „Die besten Ideen habe ich meist unter der Dusche.“ Denn im Büro hat man dazu einfach keine Muße. All die Störfaktoren tragen dazu bei, dass sich viele kaum konzentriert einer mehrtägigen kreativen Projektentwicklung widmen können, weil sie alle paar Minuten von irgendetwas Kollegialem aus den Gedanken gerissen werden.

Nun werden Großraum-Fans sagen: Wenn ein Großraumbüro gut gemacht ist, läuft das ganz anders. Mit perfekt eingestellter Klimatisierung, guter Beleuchtung, Schallschutz-Trennwänden und -Decken sowie Rückzugsmöglichkeiten für vertrauliche Telefongespräche und spontane Kollegengespräche.

Das mag sein. Aber seien wir realistisch. Großraumbüro, das funktioniert in vielen Betrieben so: Wie viele Tische kriegen wir hier in einen großen Raum geschoben, bevor der Brandschutzbeauftragte wegen der Fluchtwege meckert? Es geht oft nicht um Kommunikation (die ja eh leidet, wie wir jetzt wissen), sondern um geringere Mieten für die Bürofläche.

Es kommt nicht von ungefähr, dass gerade die Chefs, die auf das Großraumbüro schwören, sich selbst ein Einzelbüro gönnen. Das mag in vielen Fällen sinnvoll sein, weil von dort aus im Alltagsgeschäft viele Vier-Augen-Gespräche stattfinden und externe Besucher empfangen werden - anders als im operativen Geschäft im Großraum üblich. Andererseits: Selbst für repräsentative Anlässe ließen sich auch die für alle nutzbaren Rückzugsräume nutzen - wenn die gut designt sind. Dass trotzdem dem eigenen Büro der Vorzug gegeben wird, zeigt, dass in vielen Führungsetagen der Großraum unterm Strich als Nachteil gilt.

Nun sind aber ja die Großräume trotz der neuesten Erkenntnisse zu ihrer Ineffizienz nun mal da. Wie also das beste draus machen? Ich würde sagen: mit radikalen Regeln zugunsten aller. Zum Beispiel:

1. Ohropax sind kein Symbol für „ihr könnt mich alle mal“, sondern Hilfsmittel für das Gefühl vom eigenen Büro im Kopf - für mehr Produktivität.
2. Keine warmen Gerichte am Schreibtisch, es sei denn, alle stimmen zu (nennen wir es den Zwiebelfleisch-Deal).
3. Smalltalk ist kein Zeichen von Faulheit oder von zu wenig zu tun, sondern fördert das Betriebsklima. Aber nur bei denen, die mitreden. Deshalb: Rückzug in die Laber-Lounge oder Ohropax für die Genervten.

Und so weiter. Was stört, muss man offen ansprechen. Das ist kein Affront. Sondern dient am Ende dem Erfolg des Teams.

Sollten Sie aber vor der Frage stehen: Führe ich ein Großraum ein oder nicht, weil Sie in Ihrem Unternehmen wirklich darauf angewiesen sind, schnell und ohne Zeitverlust persönlich Infos auszutauschen: Das geht auch mit Einzelbüros. Mit einem Tablet-Computer auf jedem Schreibtisch. Die Kollegen im Team rufen sich morgens in Gruppen über eine Videotelefonie-Anwendung an und halten die Verbindung dauerhaft. Das geht etwa demnächst per Facetime beim iPad ab iOS-Version 12. Apple will das Gruppenchat-Feature in einem Update nachreichen. So wird Facetime bald mit bis zu 32 Teilnehmern gleichzeitig möglich sein, was mehr als genug sein dürfte. Auch Anbieter wie Skype und Snapchat bieten verschiedene Gruppen-Videochats an.

Stellen wir uns eine Videochat-Gruppe von fünf Leuten vor. Jeder stellt dann sein Mikro auf stumm und aktiviert es nur, wenn er den anderen etwas sagen will. Ohne Anruf, ohne klingeln. Ad-hoc-Gespräche und Schnellabstimmung ohne Großraum. Und wer für einige Zeit Diskretion benötigt, schaltet für einen Moment auch die Kamera ab oder verdeckt sie.

Und so lassen sich auch Absprachen treffen mit Kollegen, die im Großraum eigentlich zu weit weg säßen für Infos auf Zuruf. Wer es mit den immer erhofften, aber widerlegten Kommunikations-Vorzügen des Großraums ernst meint, kann so dem Einzelbüro treu bleiben.

Nur mal so eine Idee. Entwickelt in meinem Home-Office.

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