Hach, das Großraumbüro! Der Ansatz hat in der Theorie viel Schönes. Großraum, das riecht nach Teamwork, kurzen Wegen und Effizienz auf Zuruf über fünf Meter hinweg.
Kollege 1: „Chris? – CHRIS?“
Kollege 2: „Ja, was ist?“
Kollege 1: „Kriegst du die Dings-Präsi bis 15 Uhr fertig?“
Kollege 2: „Was ist Dings?“
Kollege 1: „Ja, hier, sag schnell, diese Dingsbums für Donnerstag in Göttingen.“
Kollege 2: „Ach so, ey, das wird ein harter Ritt, Stefan. Ganz ehrlich.“
Kollege 1: „Sonst lass dir doch von Julia helfen oder so.“
Kollege 2: „Julia, wie sieht es aus? Kannst du?“
Kollegin 3: „Von mir aus. Aber erstmal gehe ich was essen.“
Kollege 2: „Cool, danke. Guten Appetit. Was gibt’s heute? Hast du geguckt?“
Kollegin 3: „Irgendwas mit Tafelspitz.“
Bäng! Kommunikation, die per Gruppenmail mitunter Stunden dauert, braucht im Großraum zehn Sekunden. So geht Produktivität.
Das Blöde ist nur: Auf dem fünf Meter langen Weg von Stefan zu Chris, von Chris zu Julia und von Julia zu Stefan fliegt der Schall im Großraum oftmals zwei, drei anderen Kollegen um die Ohren, die mit der ollen Präsi aber auch so gar nichts zu tun haben.
Deshalb geht die Konversation oft weiter wie folgt:
Kollege 4 (aus der Mitte des Raumes): „Kinners, ihr seid nicht allein auf der Welt. Ich versuche hier gerade auch, was Wertschöpfendes auf die Beine zu stellen, was mein popeliges Gehalt rechtfertigt. Also geht bitte raus, wenn ihr über Tafelspitz rumbrüllen wollt.“
Kollegin 5 (aus der Ecke links hinten): „Wobei, Jürgen, wenn du jetzt jedes Mal noch kommentierst, was jemand sagt, dann potenzierst du den Horrorlärm hier auch noch.“
Wir könnten dieses Wortgefecht jetzt so lange fortspinnen, bis am Ende jemand heult. Weil Tränen am Arbeitsplatz aber nicht gut sind für die Atmosphäre, setzt bei vielen automatisch aus Rücksicht die Großraum-Stummheit ein: lieber nichts sagen, bevor es die anderen nervt. Selbst beim Öffnen und Schließen der Bürotür bekommt der eine oder die andere schon Herzklopfen, weil es ja nur zu peinlich wäre, die anderen mit einem unprofessionellen Bums zu provozieren.
Dass das Großraumbüro die Kommunikation killt, ist jetzt seit diesem Sommer per Harvard-Studie (Name: „Der Einfluss des ‚offenen‘ Arbeitsplatzes auf die menschliche Zusammenarbeit“) belegt: Entgegen der gut gemeinten Idee lassen Großraumbüros die Mitarbeiter wortkarg werden. Und zwar sehr. In dem Test nutzten die Forscher die Chance, die Belegschaft eines Unternehmens vor und nach dem Umzug von Einzelbüros ins Großraumbüro in ihrem Kommunikationsverhalten zu beobachten. Das Resultat: Im Großraum redeten die Kollegen 70 Prozent weniger miteinander. Von durchschnittlich 5,8 Stunden sank die Gesprächsdauer auf 1,7 Stunden. Selbst die Kommunikation von Kollegen, die sich nun im Großraum gegenüber saßen, ging zurück. Die Kommunikation über E-Mail und Messenger dagegen stieg bis zu 50 Prozent an.
Knigge für das Großraumbüro
Im Großraumbüro sitzen die Menschen selten freiwillig zusammen oder weil sie sich besonders sympathisch sind – sondern, weil sie es müssen. Deshalb ist es wichtig, den Abstand zur Intimsphäre der Kollegen zu wahren. Der beträgt rund 80 Zentimeter. Absolut tabu: Sich auf den Schreibtisch des Kollegen zu setzen.
Ob Windhund oder Mops: Rein rechtlich liegt es in der Hand des Arbeitgebers, ob ein Hund im Büro erlaubt ist oder nicht. Studien belegen, dass die Anwesenheit von Hunden das kollegiale Klima befördert und das Wohlbefinden der Mitarbeiter fördert. Einerseits. Doch Hunde haben nicht nur weiches Fell und lassen sich ohne Unterlass streicheln – sie bellen schon mal und riechen auch nicht immer angenehm. Wen das stört oder wer gar unter Hundehaarallergie leidet, sollte den Kollegen darauf aufmerksam machen. Und zur Not auch den Chef mit ins Boot holen.
In fast jedem sozialen Gefüge gibt es besondere Charaktere, die einen besonderen Umgang erfordern – zum Beispiel Choleriker. Das Tückische: Der Ausbruch kommt oft völlig unerwartet. Ist es dann so weit, sollte man nicht noch Feuer ins Öl gießen. „Spielen Sie den Anlass nicht herunter, aber geben Sie auch nicht zu stark Kontra“, rät Knigge-Experte Horst Hanisch. Etwa indem man dem unreifen Schreihals zumindest in einigen Punkten recht gibt.
Einmal akzeptiert, gibt es keinen Weg zurück: Wer sich aufs Duzen einlässt, kann es nur sehr schwer rückgängig machen. Deshalb sollte man sich genau überlegen, wie nah man Kollegen verbal kommt. Wer deutlich macht, lieber erst mal beim Sie bleiben zu wollen, begeht keinen Fauxpas. Eine vorläufige Absage impliziert nämlich auch, dass sich das künftig noch ändern kann.
Ob Döner mit Knoblauchsoße, Schnitzel mit Pommes oder eine Stulle mit Leberwurst: Nahrungsmittel haben am Arbeitsplatz grundsätzlich nichts zu suchen. Und das nicht nur aus hygienischen Gründen: Das Mittagessen am Schreibtisch einzunehmen ist schlicht ungesund.
Wegen eines lockeren Spruchs sollte das Bürogefüge nicht gleich ins Wanken geraten. Aber nicht jeder Kollege kann mit flapsigen Bemerkungen umgehen. Also lieber eine Pointe zu wenig als eine zu viel.
Egal, ob der Kollege nebenan viel und laut telefoniert oder die Kollegin hinten links einen penetranten Klingelton eingestellt hat: Der Geräuschpegel ist Dauerstreitpunkt im Großraumbüro. Kleiner Trick, große Wirkung: Bitten Sie die Kollegen Bescheid zu sagen, wenn ein langes Telefonat ansteht – und kündigen an, das Büro während dieser Zeit zu verlassen. Dann sollte er merken, dass es Sie stört.
Jeder Mitarbeiter sollte seinen Arbeitsplatz sauber halten – abgekaute Apfelreste oder eine Sammlung leerer Pfandflaschen sind im Büro tabu.
Sprechen Sie Kritik immer als Ich-Botschaft aus: „Ich bin gegen Kälte sehr empfindlich – vielleicht könntest du das Fenster wieder schließen?“ So fühlt sich der Kollege nicht persönlich angegriffen.
Dieses Thema führt häufig zu Konflikten – Väter und Mütter schulpflichtiger Kinder wollen meist gleichzeitig frei nehmen, kinderlose Kollegen müssen die Stellung halten. Da empfiehlt sich frühzeitige Planung – am besten hängen Sie einen großen Plan sichtbar im Büro auf, dann sind alle auf dem gleichen Stand.
Karneval, Oktoberfest oder Halloween: Ob zu solchen Anlässen gefeiert werden soll, lässt sich in größeren Büros selten einstimmig lösen. Wenn jemand verkleidet im Büro erscheint, ist das meist in Ordnung. Wer aber auf laute Karnevals- oder Blasmusik und das Fässchen Bier nicht verzichten mag, eckt schon mal an. Am besten vorher erkundigen, wie die Kollegen das in der Vergangenheit gehandhabt haben.
Auch wenn es nur eine Büroklammer ist: Sich etwas ungefragt vom Tisch des Kollegen zu leihen ist tabu. Auch schlecht: Sich munter am Kaffee zu bedienen, ohne sich finanziell zu beteiligen.
Ob kurzes Röckchen, knielange Shorts oder schulterfreies Oberteil: Wer sich vom Anblick nackter Haut gestört fühlt, sollte das ansprechen. Weisen Sie den Kollegen einfach höflich auf den Büro-Dresscode hin.
Ein Großraumbüro ist nichts anderes als eine große, sozial sensible Zone – da muss jeder Mitarbeiter auch mal schlucken, was ihn nervt. „Stört aber etwas so penetrant, dass die eigene Arbeit davon beeinträchtigt wird, muss es natürlich angesprochen werden“, sagt Knigge-Experte Horst Hanisch.
Kollegen, die immer alles besser wissen, gibt es in jeder Bürogemeinschaft. Wenn es Ihnen zu viel wird, müssen Sie den Kollegen ansprechen. Weisen Sie höflich darauf hin, dass Sie seinen Rat sehr zu schätzen wissen, aber ihre Arbeit machen müssen.
Sie haben den Kollegen schon gefühlte 20 Mal auf seine nervigen Privattelefonate angesprochen und trotzdem beschallt er das Büro täglich mit seinen Problemen? Suchen Sie den Kollegen erneut auf und machen Sie deutlich, dass Sie sich ja nicht beim Chef beschweren wollen, aber langsam wisse man einfach nicht weiter. Passiert wieder nichts, suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Vorgesetzten.
Ein kurzes Gespräch mit dem Kollegen ist auch im Großraumbüro erlaubt – sollte es allerdings länger als ein paar Minuten dauern, ist es höflicher sich in die Küche oder einen Besprechungsraum zurückzuziehen.
Vom Rosenblüten-Raumspray bis zum Pausenbrot mit altem Gouda: Gerüche können so nerven wie die Lautstärke – jeder Kollege ist an anderer Stelle sensibel. Grundsätzlich sollten Sie auf Extreme verzichten – was den einen erfrischt, könnte der Büronachbar als unangenehm empfinden.
Jegliche Art von Bildern oder Sprüche mit sexistischen, politischen oder religiösen Motiven haben am Arbeitsplatz nichts zu suchen.
Frischluftfanatiker versus Heizkörperhocker – dieser Konflikt ist vermutlich genauso alt wie das Großraumbüro selbst. Da gibt’s nur eines: Miteinander reden und einen Kompromiss schließen.
Geben Sie ihren Kollegen immer erst die Chance, ihr Verhalten zu ändern. Direkt mit dem Gang zum Chef zu drohen schießt über das Ziel hinaus und wirkt auf Dauer unglaubwürdig.
Ob Einzelkemenate oder Massenbüro: Kranke Mitarbeiter sollten grundsätzlich zu Hause bleiben. Aber gerade im Großraumbüro kann ein mit Viren verseuchter Kollege verheerenden Schaden anrichten.
„Sprechen Sie Konflikte nicht im Eifer des Gefechtes an, sondern atmen Sie erst einmal tief durch und lassen Sie etwas Zeit vergehen“, sagt Knigge-Experte Hanisch. Suchen Sie das Gespräch an einem neutralen Ort, wie etwa der Kaffeeküche und nicht vor den anderen Kollegen.
Xenophobie – also die feindliche Einstellung gegenüber Fremden – hat im Großraum wirklich keinen Platz. Diese Kollegen sollten sich schleunigst ein Einzelbüro suchen.
Wenn der Kollege vor seinem Bildschirm regelmäßig einen Lachanfall bekommt oder das Video gar ohne Kopfhörer anschaut, sollten Sie das Gespräch suchen – am Arbeitsplatz hat das nichts verloren.
Der Schreibtisch sollte in erster Linie Arbeitsplatz sein und kein Ausstellungsort für Souvenirs, Porzellanpuppen oder andere Sammelleidenschaften. Grundsätzlich ist es positiv, wenn sich Menschen an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen, aber auch hier gilt: Die eigene Freiheit endet dort, wo die des Kollegen beginnt.
Die Experten erklären auch, woran das liegt:
a. Aus Sehnsucht nach Privatatmosphäre igelten sich die Leute ein.
b. Um den Lautstärkepegel niedrig zu halten, wurden lieber elektronische Nachrichten verschickt.
Doch der störende Brabbel-Teppich von morgens bis abends ist ja nicht das einzige, was einen im Gemeinschaftsoffice zur Verzweiflung treibt. Sondern:
a. Ein Telefon muss nun einmal klingeln, wenn jemand anruft.
b. Was, wenn der eine das Fenster aufreißt („damit mal Sauerstoff reinkommt...“), der andere aber nicht gerne im Luftzug sitzt („Ich krieg davon sofort einen steifen Nacken.“)? Der Ventilator-Krieg ist als Variante vielen sicher bekannt aus diesem Sommer: Welches ist der beste Schwenkwinkel und welche Gebläsestufe löst im Schnitt am seltensten Nierenentzündungen aus? Und auch Klimaanlagen bieten Zoff-Stoff: „Mensch, Doris, wie oft muss ich noch sagen: Die trockene Luft lässt meine Kontaktlinsen austrocknen.“
c. „Ich hoffe, es stört keinen, wenn ich eben mein Zwiebelfleisch von gestern Abend hier am Platz aufesse?“
„Nett, dass du fragst. Doch, stört.“
d. „Karin, Wenn du Daniel nach deinem Wochenende so viel tolle Erlebnisse aus deiner schillernden Freizeit zu berichten hast, dann ruf ihn doch künftig am Sonntag nach dem Tatort an. Ich zumindest muss noch was arbeiten.“
Radikale Regeln zugunsten aller
Kein Wunder, dass viele sagen: „Die besten Ideen habe ich meist unter der Dusche.“ Denn im Büro hat man dazu einfach keine Muße. All die Störfaktoren tragen dazu bei, dass sich viele kaum konzentriert einer mehrtägigen kreativen Projektentwicklung widmen können, weil sie alle paar Minuten von irgendetwas Kollegialem aus den Gedanken gerissen werden.
Nun werden Großraum-Fans sagen: Wenn ein Großraumbüro gut gemacht ist, läuft das ganz anders. Mit perfekt eingestellter Klimatisierung, guter Beleuchtung, Schallschutz-Trennwänden und -Decken sowie Rückzugsmöglichkeiten für vertrauliche Telefongespräche und spontane Kollegengespräche.
Das mag sein. Aber seien wir realistisch. Großraumbüro, das funktioniert in vielen Betrieben so: Wie viele Tische kriegen wir hier in einen großen Raum geschoben, bevor der Brandschutzbeauftragte wegen der Fluchtwege meckert? Es geht oft nicht um Kommunikation (die ja eh leidet, wie wir jetzt wissen), sondern um geringere Mieten für die Bürofläche.
Es kommt nicht von ungefähr, dass gerade die Chefs, die auf das Großraumbüro schwören, sich selbst ein Einzelbüro gönnen. Das mag in vielen Fällen sinnvoll sein, weil von dort aus im Alltagsgeschäft viele Vier-Augen-Gespräche stattfinden und externe Besucher empfangen werden - anders als im operativen Geschäft im Großraum üblich. Andererseits: Selbst für repräsentative Anlässe ließen sich auch die für alle nutzbaren Rückzugsräume nutzen - wenn die gut designt sind. Dass trotzdem dem eigenen Büro der Vorzug gegeben wird, zeigt, dass in vielen Führungsetagen der Großraum unterm Strich als Nachteil gilt.
Nun sind aber ja die Großräume trotz der neuesten Erkenntnisse zu ihrer Ineffizienz nun mal da. Wie also das beste draus machen? Ich würde sagen: mit radikalen Regeln zugunsten aller. Zum Beispiel:
1. Ohropax sind kein Symbol für „ihr könnt mich alle mal“, sondern Hilfsmittel für das Gefühl vom eigenen Büro im Kopf - für mehr Produktivität.
2. Keine warmen Gerichte am Schreibtisch, es sei denn, alle stimmen zu (nennen wir es den Zwiebelfleisch-Deal).
3. Smalltalk ist kein Zeichen von Faulheit oder von zu wenig zu tun, sondern fördert das Betriebsklima. Aber nur bei denen, die mitreden. Deshalb: Rückzug in die Laber-Lounge oder Ohropax für die Genervten.
Und so weiter. Was stört, muss man offen ansprechen. Das ist kein Affront. Sondern dient am Ende dem Erfolg des Teams.
Sollten Sie aber vor der Frage stehen: Führe ich ein Großraum ein oder nicht, weil Sie in Ihrem Unternehmen wirklich darauf angewiesen sind, schnell und ohne Zeitverlust persönlich Infos auszutauschen: Das geht auch mit Einzelbüros. Mit einem Tablet-Computer auf jedem Schreibtisch. Die Kollegen im Team rufen sich morgens in Gruppen über eine Videotelefonie-Anwendung an und halten die Verbindung dauerhaft. Das geht etwa demnächst per Facetime beim iPad ab iOS-Version 12. Apple will das Gruppenchat-Feature in einem Update nachreichen. So wird Facetime bald mit bis zu 32 Teilnehmern gleichzeitig möglich sein, was mehr als genug sein dürfte. Auch Anbieter wie Skype und Snapchat bieten verschiedene Gruppen-Videochats an.
Stellen wir uns eine Videochat-Gruppe von fünf Leuten vor. Jeder stellt dann sein Mikro auf stumm und aktiviert es nur, wenn er den anderen etwas sagen will. Ohne Anruf, ohne klingeln. Ad-hoc-Gespräche und Schnellabstimmung ohne Großraum. Und wer für einige Zeit Diskretion benötigt, schaltet für einen Moment auch die Kamera ab oder verdeckt sie.
Und so lassen sich auch Absprachen treffen mit Kollegen, die im Großraum eigentlich zu weit weg säßen für Infos auf Zuruf. Wer es mit den immer erhofften, aber widerlegten Kommunikations-Vorzügen des Großraums ernst meint, kann so dem Einzelbüro treu bleiben.
Nur mal so eine Idee. Entwickelt in meinem Home-Office.